Vereinbarkeit

Kitaplatzmangel in Mannheim: "Man verlässt sich darauf, dass die Frauen das schon regeln"

Fehlende Kitaplätze dürfen nicht allein das Problem der betroffenen Eltern sein, sagt die Frauen-Netzwerk-Vorsitzende Kristiane Palm. Die Ärztin sieht auch die Wirtschaft stärker in der Pflicht

Von 
Tatjana Junker
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Schnuller hängen an einem Brett in der Kita. Auch in Mannheim fehlen Betreuungsplätze, zuletzt wurden hier zudem die Öffnungszeiten reduziert. © dpa/privat

Mannheim. Frau Palm, Sie beschäftigen in Ihrer Praxis mehrere Mütter. Wie sehr nervt Sie als Arbeitgeberin die Betreuungsplatz-Not in Mannheimer Kitas?

Kristiane Palm: Wir sind ein Frauen-Team mit drei Ärztinnen und sieben angestellten Mitarbeiterinnen. Fünf davon haben kleine Kinder und sind auf Betreuung angewiesen. Jetzt könnte ich sagen: Das ist deren privates Problem. Aber ich sehe, dass das schlecht funktionierende Betreuungssystem zu enormem Stress führt - und der macht sich auch in der Praxis bemerkbar: Die Betroffenen können sich nicht voll konzentrieren oder nicht rechtzeitig bei der Arbeit sein. Andere wiederum haben keinen Ganztagsplatz in der Kita und sind nachmittags nur sehr eingeschränkt verfügbar.

Inwieweit verschärfen die neuen, reduzierten Kita-Öffnungszeiten das Problem?

Palm: Das erhöht natürlich den Druck. Wenn eine Mitarbeiterin zum Beispiel ihr Kind erst um 8 Uhr in der Kita abgeben kann, ist sie entsprechend noch nicht da, wenn wir die Praxis um 8 Uhr öffnen. In der Konsequenz müssen wir überlegen, unsere Sprechzeiten zu reduzieren. Viele andere Arbeitgeber stehen sicher vor dem gleichen Problem: Wenn die Kita erst um 8 Uhr öffnet, kann weder die Lehrerin pünktlich vor der Klasse stehen noch die Supermarkt-Mitarbeiterin punkt 8 Uhr an der Kasse sitzen. Und Fakt ist: Das Problem betrifft vor allem Arbeitgeber, die Frauen beschäftigen.

Kristiane Palm



  • Kristiane Palm ist 1. Vorsitzende des Netzwerks Business and Professional Women (BPW) Mannheim-Ludwigshafen.
  • Der Verein zählt nach eigenen Angaben weltweit rund 30 000 Mitglieder. Sein Ziel ist es, Frauen auf allen Hierarchieebenen und Branchen bei der Entwicklung ihrer beruflichen Potenziale zu unterstützen.
  • In der Region gehören dem BPW-Netzwerk rund 40 Frauen an.
  • Beruflich arbeitet Kristiane Palm als Frauenärztin in ihrer Praxis in Mannheim-Seckenheim. Als Mutter, Großmutter und Arbeitgeberin hat sie nach eigenen Worten 35 Jahre Erfahrung mit Kinderbetreuung.

 

Das Argument für die kürzeren Öffnungszeiten ist, dass dadurch insgesamt mehr Familien mit einem Kitaplatz versorgt werden können. Leuchtet Ihnen das ein?

Palm: Das ist ein schönes Argument. Aber hier wird Solidarität von einer ganz kleinen Gruppe erwartet: nämlich von den berufstätigen Müttern, die jetzt wieder schauen können, wie sie das alles jongliert bekommen. Das finde ich schwierig. Fehlende Kitaplätze gehen nämlich nicht nur die Betroffenen was an, sondern die ganze Gesellschaft. Und das Problem ist seit Jahrzehnten bekannt. Aber immer verlässt man sich darauf, dass die Frauen das schon irgendwie regeln. Und dann gilt man als unsolidarisch, wenn man als Arbeitgeberin jetzt sagt: Meine Beschäftigten sollen aber um halb acht ihr Kind abgeben können. Dabei bin ich überzeugt: Die Misere wäre lösbar, aber es fehlt der politische Wille.

Die Kommunen sagen: Es fehlen vor allem Fachkräfte.

Palm: Vielleicht will man es ja mal mit einer angemessen Bezahlung probieren? Wir argumentieren doch sonst immer marktwirtschaftlich: Wenn etwas knapp ist, in dem Fall Personal, dann steigt nun mal der Preis. Das ist eigentlich selbstverständlich, nur beim Thema Kinderbetreuung will man das nicht anerkennen. Aber mal ehrlich: eine dreijährige, unbezahlte Ausbildung zur Erzieherin – das muss man sich erstmal leisten können, selbst wenn man Interesse an dem Beruf hat.

Inzwischen gibt es auch die sogenannte praxisorientierte Ausbildung zum Erzieher/ zur Erzieherin, kurz PiA. Da verdient man schon während der Ausbildung.

Palm: Das stimmt, aber es werden zu wenige solcher PiA-Plätze angeboten. Ich finde, jede und jeder, der diesen Beruf erlernt, muss ein Ausbildungsgehalt bekommen. Das kostet natürlich Geld – aber ich sehe hier auch nicht nur die Kommunen, sondern auch die Wirtschaft in der Pflicht.

Inwiefern?

Palm: Ganz grundsätzlich würde ich mir wünschen, dass von den Arbeitgeberverbänden, der IHK und der Handwerkskammer, die ja alle nach Fachkräften rufen, mehr konstruktive Lösungsvorschläge zum Thema Kinderbetreuung kommen. Stattdessen wird immer nur auf die Stadt gezeigt. Für mich ist hier aber auch die Solidarität der Unternehmen gefragt. Schließlich profitieren wir alle davon, wenn es genügend Kitaplätze gibt. Letztlich ist das auch ein Standortfaktor. Wenn ausländische Fachkräfte, die ja oft kleine Kinder haben, mitbekommen, was das hier für eine Hängepartie ist, gehen sie lieber gleich woanders hin.

Wie könnte ein stärkeres Engagement der Wirtschaft aussehen?

Palm: Man könnte einen Fonds schaffen, in den alle Arbeitgeber einen Obolus pro Mitarbeiter bezahlen. Das muss ja nicht viel sein, aber wenn es alle machen, kommt einiges zusammen. Und mit dem Geld könnte man zum Beispiel allen, die sich für den Beruf Erzieher oder Erzieherin interessieren, die Ausbildung bezahlen. Es ist klar, dass kleine Betriebe keine eigenen Betriebskitas anbieten können, wie es Roche oder die BASF tun. Aber über eine solche Abgabe wären zumindest alle Arbeitgeber an der Lösung beteiligt – und nicht nur ihre Mitarbeiterinnen, die kleine Kinder haben.

Wo muss aus Ihrer Sicht noch nachgebessert werden?

Palm: Von allen wird heute in der Arbeitswelt erwartet, dass sie flexibel sind. Das muss aus meiner Sicht auch stärker für die Kitas gelten, zumindest für die städtischen. Es muss zum Beispiel möglich sein, eine Ganztagsbetreuung für einzelne Tage zu buchen, zum Beispiel nur Dienstags und Donnerstags. Dann können sich Familien einen Ganztagsplatz teilen. Hilfreich wäre auch, wenn die Fachkräfte in den Kitas stärker zeitversetzt arbeiten würden. Eine oder zwei Erzieherinnen könnten schon morgens um sieben Uhr anfangen und nachmittags früher gehen, während andere später kommen und dafür bis 17 Uhr bleiben. In den Randzeiten könnte das Fachpersonal dann von geeigneten Hilfskräften unterstützt werden. Sicher müsste man dazu die ein oder andere bürokratische Hürde nehmen – aber wenn man es wirklich will, gibt es sicher Lösungen.

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Zum Schluss: Den Kitaplatz-mangel scheinen vor allem die Mütter aufzufangen, während die Väter weiter Vollzeit arbeiten. Warum hält sich diese Rollen-verteilung so hartnäckig?

Palm: Ich sage immer: Viele werdende Eltern gehen als modernes Paar in den Kreißsaal und kommen als 1960er-Jahre-Paar mit klassischer Rollenverteilung wieder raus. Letztlich wird das gefördert durch die politischen Vorgaben. Das Modell, das bis vor kurzem galt und es ermöglicht hat, dass beide Eltern gleichzeitig zu Hause zu bleiben und Elterngeld beziehen, hat aus meiner Sicht falsche Anreize gesetzt: Paare, die es sich leisten konnten, haben zwei Monate gemeinsam Urlaub gemacht, und die Frau war dabei trotzdem zuständig fürs Kind. Danach ist der Vater wieder arbeiten gegangen und die Mutter weiter zu Hause geblieben. In dieser Zeit verfestigt sich die Rollenverteilung. Meine Vorgabe für das Elterngeld wäre, dass es nur für die ganze Zeit gezahlt wird, wenn sich Mutter und Vater die Elternmonate mindestens 50:50 aufteilen.

Redaktion Wirtschaftsreporterin

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