Mannheim. Als im vergangenen Sommer bekanntgeworden ist, dass Daimler Truck einen Teil der Produktion seiner Tochter Evobus ins Ausland verlagern will, war das Entsetzen in Mannheim groß. Bei der Gewerkschaft, dem Betriebsrat und bei der Belegschaft erst recht. Nach langen und intensiven Verhandlungen gibt es nun eine Vereinbarung für den Standort mit insgesamt rund 3200 Beschäftigten.
Zunächst muss man wissen: Das Mannheimer Werk verliert das Herzstück der Stadtbus-Produktion. Ab dem Jahr 2028 wird der Rohbau (Karosseriebau) komplett am tschechischen Standort Holysov gefertigt. Daran ist nicht zu rütteln.
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Im Gegenzug sollen betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2033 ausgeschlossen sein, die bisherige Regelung für Evobus galt bis 2024. Es seien harte Verhandlungen und Auseinandersetzungen gewesen, so Thomas Hahl, Chef der Mannheimer IG Metall. „Aber ich glaube, es hat sich gelohnt.“
Die Vereinbarung umfasst noch mehr: Bis Ende 2030 sollen etwa 150 Millionen Euro in die beiden deutsche Werke Mannheim (Busse für den öffentlichen Nahverkehr) und Neu-Ulm (Reisebusse) investiert werden. Wie genau dieser Betrag aufgeteilt wird, lässt sich nach Angaben von Daimler-Buses-Chef Till Oberwörder noch nicht sagen. Der Standort Mannheim soll künftig das Kompetenzzentrum für E-Stadtbusse werden. Ab 2024, so der Plan, werden hier nur noch elektrisch angetriebene Fahrzeuge produziert. Außerdem wird die Fertigung von Komponenten verstärkt.
Montage vor Ort gestärkt
Warum die Einschnitte, warum die Umstrukturierung? Der Bushersteller will Kosten sparen, um wieder ein „starker Player“ wie einst zu werden. Der Wettbewerb in der E-Mobilität ist hart, der Markt umkämpft, zuletzt sind vor allem die Kosten für Energie gestiegen. Bis etwa 2030 sollen rund 100 Millionen Euro jährlich gespart werden.
In Mannheim sind laut Oberwörder 650 Beschäftigte im Rohbau tätig. In der ersten Phase der Verlagerung, die jetzt sofort beginnt, sind zunächst 250 Beschäftigte betroffen. Diese sollen andere Aufgaben übernehmen – vor allem im Kompetenzzentrum – und dafür qualifiziert werden. In der zweiten Phase sollen rund 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für neue Aufgaben in der erweiterten Montage vorbereitet werden.
Nach Informationen dieser Redaktion konnte die Arbeitnehmervertretung tiefere Einschnitte in indirekten Bereichen wie der Verwaltung verhindern und eine von Evobus erwogene Deckelung der Montage abwenden. Zwar will Daimler Buses die Zusammenarbeit im europäischen Produktionsverbund ausbauen – und Stückzahlen je nach Auftragslage flexibel über alle Standorte verteilen. Allerdings ist für Mannheim und Neu-Ulm die Mindestgröße der Stammbelegschaft in der Produktion auf 1500 festgelegt. Auch die Zahl der Fahrzeuge, die hergestellt werden, soll nicht gedeckelt werden. Somit ist auch Wachstum möglich.
Die IG Metall hatte in den vergangenen Monaten befürchtet, dass durch die Verlagerung nach Tschechien in Mannheim weit mehr als 1000 Arbeitsplätze verlorengehen könnten. Gewerkschaft und Betriebsrat haben in den monatelangen Verhandlungen offensichtlich Schlimmeres verhindert – und müssen akzeptieren, dass der Rohbau aus Mannheim nach Tschechien verlagert wird.
„Eine Blockade hätte für Evobus in den kommenden Jahren nur noch mehr Unsicherheit gebracht und letztlich ein Sterben auf Raten bedeutet“, sagt der Mannheimer Betriebsratsvorsitzende Bruno Buschbacher. Man bedauere diesen Schritt, müsse der Realität aber ins Auge sehen. „Nun ist es die Aufgabe des Managements, die notwendigen Investitionen an den deutschen Standorten zu tätigen, für die vereinbarte Ersatzbeschäftigung zu sorgen und Evobus in eine erfolgreiche Zukunft zu führen.“ Die Belegschaft habe die Vereinbarung „sehr, sehr wohlwollend“ aufgenommen.
Lob aus der Politik
Dass Beschäftigte von Evobus ins Lkw-Montagewerk von Daimler Truck nach Wörth wechseln könnten – der Vorstandsvorsitzende Martin Daum hatte diese Idee ins Spiel gebracht –, ist vom Tisch. Altersteilzeit- und Freiwilligenprogramme gibt es bei Evobus nach wie vor. Dem Vernehmen nach könnten mit natürlicher Fluktuation über die nächsten Jahre, bis 2033, rund 300 Jobs in Mannheim wegfallen.
Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) hält die jüngst getroffene Vereinbarung für ein „sehr gutes Resultat“. „Das sind gute Nachrichten für den Industriestandort Mannheim“, teilen auch die Mannheimer SPD-Landtagsabgeordneten Stefan Fulst-Blei und Boris Weirauch mit.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Verlagerung bei Evobus ist ein gewaltiger Einschnitt