Gesundheitswesen

Eigene Praxis? Nein danke!

Immer mehr Ärztinnen und Ärzte finden es attraktiv, sich einem Verbund oder sogar einer Kette in Investorenhand anzuschließen. Warum die Einzelpraxis zum Auslaufmodell werden könnte

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
Lesedauer: 
Die Zahl der klassischen Einzelpraxen in Deutschland sinkt. Ein Grund sind immer höhere bürokratische Anforderungen. © Jens Büttner / dpa

Rhein-Neckar. 37 Standorte in 17 Städten der Metropolregion Rhein-Neckar - das sind die Zahlen von „ze:ro Praxen“, einem „Filialisten“ mit besonderem Geschäftsmodell. Das Unternehmen mit Sitz und zentraler Verwaltung in Schwetzingen ist der größte ambulante Gesundheitsversorger der Region.

Dass medizinische Angebote vor Ort bleiben, aber den Besitzer wechseln und unter das Dach eines Verbundes schlüpfen - wie das zuletzt von „ze:ro“ übernommene Bensheimer Zentrum für Nieren- und Hochdruckkrankheiten -, ist längst keine Ausnahme mehr. Rettungsanker, wenn keine Nachfolge in Sicht ist? Oder gewinnträchtiges Geschäftsmodell? Darüber wird kontrovers diskutiert.

Medizinische Versorgungszentren kämpfen mit Vorurteilen

Peter Rohmeiß, Gründer und Geschäftsführer von „ze:ro“, weiß um die Vorbehalte, wenn Medizinische Versorgungszentren (MVZ) ihre Standorte ausweiten. „MVZ ist aber nicht gleich MVZ“ , betont der Nephrologie-Professor und verweist darauf, dass der vor mehr als zwei Jahrzehnten gegründete regionale Verbund „ze:ro“ bis heute ein rein ärztlich geführtes Unternehmen ist - mit einem aus praktizierenden Medizinern bestehenden Gesellschafterkreis. Rohmeiß sieht solche Verbünde als „moderne Interpretation der bewährten Gemeinschaftspraxis“.

Moderne Interpretation der bewährten Gemeinschaftspraxis
Peter Rohmeiß Gründer und Geschäftsführer von „ze:ro“

Laut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gab es Ende 2021 deutschlandweit insgesamt 4179 zugelassene Medizinische Versorgungszentren - zehn Jahre zuvor waren es deutlich weniger als die Hälfte. Gleichzeitig haben Einzelarztpraxen stetig abgenommen. Dazu erläutert der Ökonom und Pressesprecher der KV Baden-Württemberg, Kai Sonntag: „Ärzte und Ärztinnen, die heute ins System kommen, wollen verstärkt als Angestellte arbeiten. Und wenn sie sich niederlassen, also selbstständig eine Praxis führen, dann eher nicht in einer Einzelpraxis.“

Newsletter "MM Business" - kostenlos anmelden!

Diesem gewandelten Bedürfnis kommen Verbünde entgegen. Als Vorteile für angestellte Ärzte und Ärztinnen in einem MVZ sieht „ze:ro“ die Variationsbreite von individuell zugeschnittenen Arbeitszeitmöglichkeiten. Innerhalb des eigenen Verbundes, zu dem über 30 haus- und fachärztliche Praxen sowie Dialysezentren gehören, liege die Teilzeitquote aktuell bei rund 70 Prozent.

Warum Ärzte oft keine Praxen mehr gründen 

Dass fachärztlich ausgebildeter Medizin-Nachwuchs zunehmend keine Praxis mehr gründet, hat viele Gründe: Nicht selten schrecken hohe Investitionen in eine medizintechnische Ausstattung verbunden mit unternehmerischem Risiko ab. Obendrein wollen immer mehr Ärzte und Ärztinnen ihre Zeit lieber den Kranken widmen - statt einer überbordenden Bürokratie. Wenn selbst bestens eingeführte Praxen, manchmal in zweiter familiärer „Doktor-Generation“, an einen Verbund gehen, dann ist der Vertragsunterschrift nicht selten eine jahrelange, aber letztlich erfolglose Suche nach einer Nachfolge vorausgegangen. Davon könnte Kai Sonntag so manche Geschichte erzählen.

Auch in der Zahnmedizin sind Versorgungszentren auf dem Vormarsch. Wie Holger Simon-Denoix, Sprecher der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, mitteilt, gibt es in dem Südweststaat 215 zugelassene zahnärztliche MVZ, davon 64 von Investoren geführt. Auch wenn der Sprecher erklärt, „die Zulassungsform einer Praxis sagt grundsätzlich nichts über die Art und Qualität der Behandlung aus“, so ist er überzeugt: Bei fachfremden Geldgebern „ist das Hauptinteresse primär auf Renditeerwartungen statt langfristiger versorgungspolitischer Ziele ausgerichtet“.

Mehr zum Thema

Gesundheitsserie

Wie Lungenpatienten ihr Leben nicht der Krankheit überlassen

Veröffentlicht
Von
Sibylle Dornseiff
Mehr erfahren

Ein externes Gutachten belege, dass sich zahnmedizinische Ketten mit Finanzfonds im Hintergrund überwiegend in meist schon gut versorgten Ballungszentren ansiedeln und kaum etwas zur Mundgesundheit pflegebedürftiger Menschen, beispielsweise in Heimen, beitragen.

Dass Investoren zunehmend Arztpraxen unterschiedlicher Fachrichtungen aufkaufen, ist längst Politikum. Im Frühjahr kündigte Gesundheitsminister Karl Lauterbach ein Gesetz an, das diese Entwicklung stoppen oder zumindest erschweren soll. Bereits heute dürfen ausschließlich Ärzte sowie Ärztinnen oder Kliniken ein Medizinisches Versorgungszentrum gründen. Allerdings bietet diese Regelung Spielraum. Holger Simon-Denoix berichtet von einer chirurgischen Belegarztklinik mit nur wenigen Betten, die sozusagen als Vehikel dient, um in einer 100 Kilometer entfernten einkommensstarken Region ein zahnärztliches MVZ zu etablieren.

Investoren kaufen teilweise hunderte Arztpraxen

Ob Herr oder Frau Doktor mit Einzelpraxis an der Behandlungsfront irgendwann verschwindet, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Allerdings zeichnet sich ab, dass Praxis-Ketten in einigen Fachgebieten besonders auf dem Vormarsch sind. Und so berichtete die Tagesschau im letztjährigen April von NDR-Recherchen, nach denen internationale Kapitalgeber in Deutschland hunderte Augenarztpraxen aufgekauft haben und dadurch in manchen Städten, beispielsweise Kiel, aber auch in Landkreisen, bereits eine monopolartige Stellung besitzen.

Freie Autorin

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke