Mannheim. Herr Bauer, hat es Sie überrascht, dass die Mannheimer MVV als erstes deutsches Stadtwerk angekündigt hat, 2035 die Gasversorgung privater Haushalte einzustellen?
Matthias Bauer: Ja und nein. Überrascht haben mich die vielen Anfragen von Verbrauchern und Medienvertretern aus dem Rhein-Neckar-Raum. Denn die Frage, was mit dem Gasnetz passiert, ist schon länger aktuell. Die Fachleute diskutieren sie bereits seit Anfang 2020 und verstärkt seit 2023 mit der Einführung des neuen Gebäudeenergiegesetzes (GEG). Das sagt klar: Wir müssen in Deutschland die Versorgung mit Wärme auf zwei Wegen durchführen: mit Wärmenetzen oder mit Einzelmaßnahmen, sprich der Wärmepumpe. Das ist schon im Klimaschutzgesetz festgelegt, das noch unter der großen Koalition 2021 beschlossen wurde. Seit das GEG am 1. Januar 2024 in Kraft getreten ist, wissen wir, dass ab 2045 keine fossilen Brennstoffe mehr benutzt werden dürfen. Daher müssen sich Energielieferanten wie die MVV Gedanken machen, wie sie ihre Kunden mit Wärme beliefern.
Matthias Bauer
- Jurist und Berater Matthias Bauer hat in Tübingen Jura studiert und war als Rechtsanwalt tätig.
- Seit 2016 ist er bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg tätig und leitet den Bereich Bauen, Wohnen, Energie.
- Dazu gehört die Beratung zu allen Fragen rund um Energie wie Verträge, Aspekte rund um die Heizungswende oder Photovoltaik. dik (BILD: Wolfram Scheible)
Rechnen Sie damit, dass andere Stadtwerke schnell folgen werden?
Bauer: Ja, das müssen alle. Aus Sicht des Verbraucherschützers erfüllt die MVV eine wichtige Aufgabe der Daseinsvorsorge. Sie muss langfristig die Versorgung mit Wärme und Strom sicherstellen. Bisher kenne ich neben der MVV nur noch die Stadtwerke Augsburg, die sich öffentlich geäußert haben, wann sie die Gasversorgung einstellen wollen. Aber das hat nicht so hohe Wellen geschlagen. Klar ist: In einem Industrieland wie Baden-Württemberg muss das Thema ausdiskutiert werden.
Muss es unbedingt 2035 sein?
Bauer: Hinter dieser Jahreszahl steht nach meiner Einschätzung, die Dringlichkeit vor Augen zu führen. Wir müssen sehen, dass der Zeitplan eng ist. Jetzt müssen unbedingt die Weichen gestellt werden, und wir müssen den sozialen Ausgleich sicherstellen und jede Verbraucherin und jeden Verbraucher mitnehmen. Es darf nicht passieren, dass sich finanziell Bessergestellte aus den Gasnetzen verabschieden und diejenigen übrig bleiben, die sich den Umstieg nicht so schnell leisten können. Denn denen drohen besonders hohe Preissteigerungen Die MVV sagt zu Recht, dass es für sie nur zwei Wege gibt: die Wärmenetze und die Wärmepumpen. Gas hat ausgedient. Wir brauchen Rechtssicherheit für die Verbraucher. Und das sind nicht nur die Eigenheimbesitzer, sondern auch die Mieter, die drohen, die Verlierer zu werden. Wir müssen alle mitnehmen.
Können Sie nachvollziehen, dass die Ankündigung der MVV viele Hausbesitzer in Sorge bis Panik versetzt hat?
Bauer: Das zeigen schon die Beschwerden in unserer Beratung, die schlagartig hochgegangen sind. Verbraucher fragen dezidiert: Dürfen die das? Das kann ich nicht beantworten, sondern nur sagen, was auch die MVV vermisst: Die Politik muss uns klar sagen, was die Versorger dürfen - Kündigungsrechte, Rückbauverpflichtungen, Betriebszwänge.
Was raten Sie einem Hausbesitzer, der heute seine defekte Gasheizung ersetzen muss?
Bauer: Das hängt davon ab. Das GEG sagt eindeutig: Wenn eine Gasheizung zu reparieren ist, darf dies geschehen. Nur wenn sie havariert, bin ich gezwungen, eine Heizung nach den Vorschriften des GEG einbauen zu lassen.
Ist dann eine gebrauchte Gasheizung eine Möglichkeit?
Bauer: Ja, das lässt das GEG zu. Deswegen ist für Verbraucher die kommunale Wärmeplanung wichtig. Sie müssen wissen, welche Möglichkeiten die Kommune in ihrem Quartier schafft. Verbraucher sollten sich dringend jetzt schon beraten lassen, auch wenn sie meinen, dass sie ihre Gas- oder auch Ölheizung noch ein paar Jahre nutzen können, damit sie vorbereitet sind, was sie im Fall einer Havarie machen oder wenn das Laufzeitende der Anlage erreicht ist.
Frage ich da am besten gleich einen Energieberater?
Bauer: Ja, ich lege den Verbrauchern eine unabhängige Beratung ans Herz. Wir haben schon im letzten Jahr gesehen, dass sie sehr schlecht beraten waren, noch eine neue Gas- oder auch Ölheizung einzubauen. Bundesweit wurden noch hunderttausende fossile Heizungen eingebaut. Gerade aus Mannheim hören wir, manchem dämmere jetzt, dass er eine Fehlinvestition gemacht hat, auch weil in den Medien Stimmung gemacht wurde gegen das GEG. Die Entwicklung war erwartbar. Mancher verweist darauf, wie toll es die Dänen machen. Die haben aber schon vor 30 Jahren mit dem Umstieg begonnen. Wir sind jetzt erst auf den Trichter gekommen und wollen in weniger als in 20 Jahren umstellen. Das ist sportlich.
Sie halten nichts von einem Vertrauensschutz für Verbraucher, die in letzter Zeit eine neue Gasheizung angeschafft haben?
Bauer: Wir haben in unserer Beratung immer gesagt: Vorsicht mit Gas- und Ölheizungen. Uns ist klar, dass nicht jeder Verbraucher schnell wechseln kann. Auch dürfen wir betagte Hausbesitzer nicht mit dem Problem allein lassen. Aber klar ist: Allein steigende CO2- und Energiepreise werden das fossile Heizen enorm teuer machen. Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass die Diskussion so schnell kommt.
Sie halten also das Argument für berechtigt, dass die Gaspreise in absehbarer Zeit deutlich steigen?
Bauer: Ja. Und man darf nicht übersehen: Wenn sich weiter so viele von der Gasversorgung verabschieden wie in den letzten Jahren, steigen die Netzentgelte so gewaltig, dass schon das einen riesigen Preisschub bringt. Es gibt zwar Diskussionen in der Politik, sie teilzusubventionieren. Aber da gibt es bisher nichts Habhaftes, und ich weiß auch nicht, wie es aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden sollte.
Haben diejenigen das große Los gezogen, die schon ans Fernwärmenetz angeschlossen sind oder sich anschließen lassen können?
Bauer: Seit 2022 haben sich auch da die Preise teilweise sehr negativ entwickelt. Auch da hat die Politik viel zu tun. Denn viele der bestehenden Netze werden noch rein konventionell mit fossiler Energie beheizt, hier in Baden-Württemberg mit Steinkohle und Gas.
Was halten Sie von Technologie-offenheit bei der Heizung?
Bauer: Das ist überwiegend illusorisch. Es war uns schon immer klar, dass Wasserstoff nicht die Rettung ist. Vor allem grüner Wasserstoff wird eine Anwendung durch die Industrie bleiben. Fürs Heizen von Privathaushalten ist er viel zu teuer. Das gleiche gilt für E-Fuels und ähnliches.
Bleibt nur die Wärmepumpe für diejenigen, die sich nicht ans Fernwärmenetz anschließen lassen können?
Bauer: Die Wärmepumpe ist unseres Erachtens eine der besten Möglichkeiten. Sie kann mehr, als viele meinen. Dafür ist eine ordentliche Planung dringend nötig, also sich unabhängig beraten zu lassen, am besten von einem Energieberater vor Ort. Denn wie sehen die Alternativen aus? Das Heizen mit Strom mag bei einem super gedämmten Haus funktionieren. Aber sie ist viel zu teuer. Pellets oder Holz können gut sein. Aber dafür ist Lagerplatz nötig. Das ist eher nichts für Städter. Außerdem müssen Pellets oder Holz aus der Region kommen. Die Heizung mit Solaranlage oder Erdwärme klingt gut. Aber sie funktioniert kaum vollständig, und der Speicher braucht viel Platz. Also nichts für Innenstädte.
Haben Hausbesitzer nach Ihren Erfahrungen realistische Vorstellungen über die Investitions- und auch die laufenden Kosten einer neuen Heizung?
Bauer: Das ist ein großes Problem. Früher war Energie so günstig, dass sich die Hausbesitzer damit gar nicht groß auseinandergesetzt haben. Noch bis Herbst 2021 habe ich von vielen in der Beratung gehört, dass sie das nicht interessiert. Das hat sich geändert. Die Nebenkostenabrechnungen haben mit Zeitverzögerung auch die Mieter eingeholt. In Probleme kommen Menschen mit niedrigen Einkommen über dem Niveau des Bürgergelds. Die klagen jetzt in unsere Beratung, sie könnten die Energiekosten nicht mehr bezahlen. Darunter zählen wir Großfamilien, Alleinerziehende oder Witwen.
Was raten Sie denen?
Bauer: Erst einmal sorgen wir dafür, dass ihnen die Wärme nicht abgedreht wird, und schicken einen Energieberater vorbei um zu sehen, was sich einsparen lässt. Aber viele haben schon reagiert. Zum Teil haben sie teure Anbieter. Die Preisschere geht weit auseinander. Aber die Leute haben teilweise auch Angst, den Anbieter zu wechseln, weil sie wissen, dass es viele zweifelhafte Anbieter gibt. Der Energie- und Strommarkt ist für Verbraucher sehr kompliziert geworden.
Was wünschen Sie sich beim Thema Heizung von der nächsten Bundesregierung?
Bauer: Die Politik muss sich ehrlich machen. Eine neue Bundesregierung ist nicht gut beraten, die Kernkraft wiederzubeleben. In Baden-Württemberg ginge das gar nicht, schon weil die Atomkraftwerke zurückgebaut werden. Sie sollte im Detail nachsteuern, aber nicht alles anders machen. Damit wir in ein ruhiges Fahrwasser kommen und die Leute sehen, dass sie noch etwas Zeit haben und planen können. Es wäre gut zu sagen: Das neue GEG mag ein etwas problematisches Konstrukt sein. Aber wir müssen jetzt die Aufgaben anpacken und durchziehen. Der Fokus muss auf dem sozialen Ausgleich liegen. Es ist wichtig für unsere Gesellschaft, dass wir niemanden hängenlassen.
Heißt das mehr staatliche Förderung oder eine andere?
Bauer: Wir müssen weniger die Begüterten fördern. Von der Förderung von E-Autos haben hauptsächlich gut verdienende Verbraucher profitiert. Es war wichtig, dass ins GEG die soziale Komponente eingebaut wurde. Haushalte mit niedrigen Einkommen bekommen mehr. Wir müssen denen helfen, die in schlecht sanierten Wohnungen leben, und das bei Eigentümern wie bei Mietern. Wohnen muss bezahlbar bleiben.
Die Ölheizung taucht bei der Diskussion kaum auf. Aber da stellen sich doch die gleichen Probleme.
Bauer: Da rate ich, den Kaminfegermeister zu fragen, wie alt die Ölheizung ist und wie die festen Werte für die maximale Nutzung sind, nämlich 30 Jahre. Dazu kommt, dass der Ausbau der Anlage viel Geld kosten kann. Das Problem gibt es übrigens auch bei der Gasheizung. Früher war die Stilllegung teilweise kostenlos. Heute kann sie in Baden-Württemberg bis zu 3000 Euro kosten. Wir haben Zweifel, ob das so zulässig ist.
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