Mannheim. In Wirtschaftsstrafverfahren geht es um Geld, häufig um viel Geld. Es blitzen aber auch Lebenswege auf. Und die können sich abrupt wie krass ändern, wenn kriminelle Machenschaften auffliegen und Untersuchungshaft folgt. Das offenbart sich in dem am Landgericht Mannheim gestarteten Prozess wegen Einschleusens illegaler Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Ländern, vorwiegend aus Usbekistan, Kasachstan und Tadschikistan.
Neben dem Hauptangeklagten, einem 39-jährigen Unternehmer mit mehreren Firmen in Mannheim, darunter für Personalüberlassung sowie Baugewerbe und Solaranlagen, müssen sich zwei in Deutschland lebende Algerier wegen Beschaffens gefälschter Ausweise verantworten. Alle drei Männer befinden sich in U-Haft, verteilt auf unterschiedliche Gefängnisse. Wieder auf freiem Fuß ist jene Lohnbuchhalterin, die das betrügerische Geschäftsmodell unterstützt haben soll.
Sprung in die Selbstständigkeit gewagt
Als am zweiten Verhandlungstag die 1972 in Istanbul geborene, aber in Mannheim aufgewachsene Angeklagte von ihrem Leben berichtet, schildert sie die Erfolgsgeschichte einer frühen türkischen Gastarbeiterfamilie. Dem Vater, ein Facharbeiter, war Bildung wichtig. Die Tochter machte Abitur, studierte mit dem Abschluss Diplom-Betriebswirtin, wagte 2003 den Sprung in die Selbstständigkeit und unterrichtete nebenher in einem interkulturellen Bildungszentrum.
Mit dem Unternehmer, der für sie auf vielfältige Weise zum Schicksal werden sollte, kam sie über eine Mandantin in Kontakt. Zunächst war es eine rein geschäftliche Beziehung, betont die Angeklagte. Aber daraus sei sehr viel mehr geworden - zumal ihre Ehe gescheitert war.
Über ihre Verteidigung räumt die Lohnbuchhalterin ein, dass sie zwar nicht sofort, aber allmählich Zweifel an der Korrektheit der im (Büro-)Rechner hinterlegten Ausweise beschlichen haben. Anwalt Edgar Gärtner führt aus, seine Mandantin habe sich aufgrund der „emotionalen Nähe“ zu dem Unternehmer einer „Selbsttäuschung hingegeben“ und nicht wissen wollen, was ablief.
Erst nach der Verhaftung habe sie „die Dimension“ begriffen. Wie der Verteidiger erklärt, ist die wegen Beihilfe angeklagte Bürokraft bereit, „strafrechtliche Verantwortung“ zu übernehmen. Allerdings bestreite seine Mandantin, als Mitglied einer Schleuserbande gemeinschaftlich gehandelt zu haben.
Mir machen Schuldgefühle zu schaffen - vor allem gegenüber meiner Familie.
Sichtlich aufgewühlt erzählt die frei schaffende Betriebswirtin, wie ihr die Zeit im Gefängnis zugesetzt habe. Wegen Panikgefühlen, Schlafstörungen und Essproblemen befinde sie sich in psychologischer Behandlung. „Mir machen Schuldgefühle zu schaffen - vor allem gegenüber meiner Familie.“ Dazu kämen sie belastende Schulden, insbesondere bei der Schwester. Die Angeklagte macht keinen Hehl daraus, dass ihr Leben komplett zusammengebrochen ist. Während sie ihren Absturz schildert, vermeidet der Hauptangeklagte Blickkontakt. Er hat (wie berichtet) bereits beim Prozessauftakt einen Großteil der Vorwürfe eingeräumt.
Am zweiten Verhandlungstag äußert sich ebenfalls einer der beiden Ausweisbeschaffer. Der ältere der aus Algerien stammenden Brüder gibt an, die Aufträge als „Beitrag zum Familieneinkommen“ übernommen zu haben. Er lebe zwar seit vielen Jahren geduldet und damit legal in Deutschland, dürfe aber nicht arbeiten – weshalb die Frau das Geld verdienen müsse. Dies belaste ihn: „Ich bin ein stolzer Mann.“ Der vorbestrafte Endvierziger berichtet, für die ID-Karten jeweils Name und Unterschrift von dem Unternehmer erhalten zu haben. In dessen Büro seien die Passfotos gemacht worden.
Pro gefälschtem Ausweis 400 bis 450 Euro vergütet
Laut Anklage wurden die Fälschungen pro Exemplar mit 400 bis 450 Euro vergütet. Der Beschaffer gibt an, dass davon lediglich 100 bis 120 Euro hängenblieben – weil die Werkstätten in der Türkei je Auftrag gut 300 Euro verlangt hätten. Die Verteidigung betont, über die Ausweise hinaus hätten keine Geschäftsverbindungen bestanden. Die beiden Brüder – der Jüngere will sich noch äußern - sollen, so die Vorwürfe, in 90 Fällen bei türkischen Schwarzmarktwerkstätten Dokumente geordert und bei rund 30 Einschleusungen illegaler Arbeitskräfte mitgewirkt haben.
In dem bis Ende September terminierten Prozess dürften auch Bundespolizisten gehört werden. Erste Hinweise auf Nicht-EU-Arbeitskräfte mit falschen ID-Karten ploppten bei Kontrollen am Frankfurter Flughafen auf. Nach Ermittlungen folgte mit Beteiligung des Zolls im letztjährigen September in Mannheim und der Region eine große Razzia. Der damals verhaftete Unternehmer mit pompösem Lebensstil soll 67 Männer illegal eingeschleust haben. Laut Anklage ist Sozialversicherungsträgern knapp eine halbe Million Euro an Beiträgen verloren gegangen. In dem Verfahren geht es auch darum, ob die Arbeitskräfte ausgebeutet wurden. Beispielsweise durch geringen Lohn und überzogene Abzüge für Unterkunft und Schwarzmarktpapiere.
Die Beweisaufnahme beginnt mit der Präsentation gefälschter ID-Karten und dazu gehörenden Lohnzetteln, die offenbaren: Viele der Männer waren mehr als 30 Wochen auf Baustellen im Einsatz - häufig zwischen 50 und 54 Stunden pro Woche.
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