Wie hat Südzucker während der Zeit des Nationalsozialismus (1933-1945) agiert? Um diese Frage zu beantworten, lässt der Mannheimer Konzern seine Vergangenheit aufarbeiten. Und zwar von Manfred Grieger, Professor an der Georg-August-Universität Göttingen. Grieger ist bekannt dafür, Unternehmen und ihre Rolle im Nationalsozialismus zu beleuchten, lange war er Chef-Historiker bei Volkswagen. Erstmals hat Grieger nun Ergebnisse seiner Studie zu Südzucker vorgestellt - im Marchivum Mannheim auf Einladung der Frankfurter Gesellschaft für Unternehmensgeschichte. Die wichtigsten Punkte.
Was genau ist in der Studie untersucht worden?
Die Studie beschäftigt sich unter anderem damit, welche Reibungen es mit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) sowie deren Funktionären und Regulierungsstellen gab. Außerdem stehen der Umgang mit jüdischen Anteilseignern und die Verdrängung von Juden aus den Unternehmensorganen im Vordergrund. „Hier zeigte sich sehr deutlich, dass das Unternehmen oder seine Manager die Vorteile nutzten, die das NS-Regime ihnen ermöglichte“, erklärt Grieger. Seine Studie, die Südzucker 2022 in Auftrag gegeben hatte, wird im Frühjahr 2025 als Buch erscheinen.
Unter welchen Rahmenbedingungen stand die damalige Zuckerproduktion?
An sich unter günstigen. 1934 verkündete Reichslandwirtschaftsminister Richard Walther Darré unter typisch nationalsozialistischem Tonfall die „Erzeugungsschlacht“. Das Reich sollte sich so weit wie möglich selbst versorgen können und von Importen möglichst unabhängig machen - gerade im Hinblick auf einen neuen Krieg. So stieg auch der Anbau von Zuckerrüben im Reichsgebiet deutlich an. Die Kalorienversorgung der deutschen Bevölkerung war insgesamt wichtig, um keine Aufstände zu riskieren.
Wie hat das NS-Regime Südzucker gesehen?
Generell lässt sich sagen: Die Süddeutsche Zucker-AG, der größte Zuckerkonzern im Dritten Reich und die Vorläufergesellschaft der heutigen Südzucker AG, hat ihre Handlungsfreiheit im Großen und Ganzen behalten. Doch heißt das nicht, dass Konflikte mit dem Regime ausgeblieben sind. Aufgrund der Aktionärsstruktur (Flegenheimer, Montesi-Gruppe) betrachteten die Nationalsozialisten Südzucker durchaus als „jüdisches und ausländisches Unternehmen“. Also wurde auch hier eine „Arisierung“ und „Nationalisierung“ vollzogen. Die Familie von Albert Flegenheimer, lange Jahre eine dominante Persönlichkeit bei Südzucker, war jüdischer Herkunft. Ab 1935 drohte die Reichskanzlei offen mit Nachteilen für das Unternehmen, sollte Flegenheimer Vorstandsmitglied bleiben und seine Brüder weiter im Aufsichtsrat fungieren. Trotz lange aufrecht erhaltener Loyalität anderer Manager wurden die Flegenheimers im Geschäftsjahr 1937/1938 aus allen Organen hinaus gedrängt, ihre Aktien über die Deutsche Bank verkauft. Wer mehr über das Schicksal der Familie erfahren will, kann im Buch „100 Jahre VSZ - Die Stimme der süddeutschen Rübenanbauer“ (Fred Zeller) weiterlesen: Albert Flegenheimer floh 1937 zunächst nach Italien, nachdem er ein Angebot zum Erhalt eines „Arier-Ausweises“ durch einen Vertrauten Hermann Görings - dem Oberbefehlshaber der Luftwaffe - abgelehnt hatte. Später siedelte er nach Kanada über.
Hat Südzucker während der NS-Zeit Zwangsarbeiter beschäftigt?
Zwangsarbeiter wurden überall, sei es in der Landwirtschaft oder in den Zuckerfabriken, in großer Zahl eingesetzt - Kriegsgefangene ebenso wie osteuropäische „zivile“ Arbeitskräfte. Die Menschen kamen aus Polen, Russland, Frankreich, England. Mit der Beschäftigung von zwangsverpflichteten deutschen Juden oder Sinti und Roma, etwa in der Zuckerfabrik Stuttgart, „überschritt das Unternehmen eine weitere Grenzlinie“, wie Historiker Grieger erklärt. „Unternehmen sahen in der staatlich organisierten Bereitstellung von ausländischen Ersatzarbeitskräften minderen Rechts eine unhinterfragte Möglichkeit, ihre Produktion oder Geschäfte fortzusetzen oder gar auszuweiten.“
Wie stark wurde Zwangsarbeit eingesetzt?
Bei der Süddeutschen Zucker-AG sei während der Kampagne der Ausländeranteil an der Belegschaft mit mehr als der Hälfte sogar noch weit höher als der reichsweite Durchschnitt gewesen, der 1944 bei rund einem Viertel lag, berichtet Grieger. Es habe sich gezeigt, dass die Fortsetzung der Zuckererzeugung im Krieg ganz wesentlich auf Zwangsarbeit basierte. „Damit stand das Unternehmen stellvertretend für die zunächst als Provisorium doch alsbald auch als Dauerlösung des Arbeitskräftemangels dienende Ausbeutung unfreier Arbeiterinnen und Arbeiter.“
Wie erging es den Zwangsarbeitern?
Bemerkenswert: Die Mannheimer Hauptverwaltung hat offenbar nie genauer hingeschaut oder Zahlen erhoben. Hauptsache, Arbeitskräfte waren vor Ort auf den Feldern und in den Fabriken verfügbar. Laut Grieger existieren auch keine anderen detaillierten Quellen, wie es den Zwangsarbeitern ergangen ist. Grundsätzlich stellt er klar, es sei harte körperliche Arbeit unter Mangelernährung gewesen - mit Sicherheit habe es Todesfälle gegeben.
Wie reagiert das Management von Südzucker auf die Erkenntnisse?
Vorstandsvorsitzender Niels Pörksen ist überrascht über den hohen Anteil von Zwangsarbeitern bei Südzucker in der NS-Zeit, ebenso über die „Herkunftsvielfalt“. Dass es auch jüdische Zwangsarbeiter gegeben habe, sei für ihn neu. Grundsätzlich sagt er: „Wir sind uns unserer historisch gewachsenen Verantwortung bewusst, wir nehmen sie an und wir nehmen sie ernst. Die Auseinandersetzung (. . .) ist hier ein wichtiger und notwendiger Schritt.“
Welche Folgen zieht Südzucker aus der Geschichte?
Das Unternehmen will noch in diesem Jahr das Programm „Informiert, couragiert, engagiert! Eine gemeinsame Initiative gegen Antisemitismus“ der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) starten. Beschäftigte können freiwillig daran teilnehmen. Sie sollen Wege erarbeiten, Antisemitismus zu erkennen und im (betrieblichen) Alltag zu reagieren. Je nachdem, wie das Angebot angenommen wird, soll es weiter ausgerollt werden.
Was hat es mit der Stiftung EVZ auf sich?
Südzucker trat bereits im Jahr 2000 der Stiftung bei. Ihr Ziel war zunächst, für Zwangsarbeiter und andere Geschädigte der NS-Zeit eine zumindest symbolische Entschädigung in Form einer einmaligen Geldzahlung bereitzustellen. Seit Ende dieser Auszahlungen finanziert die Stiftung diverse Projekte zur Erinnerung an die Bedrohung durch totalitäre Systeme. EVZ-Fachreferentin Johanna Sokoließ sagt, Antisemitismus sei oft unsichtbar und für Betroffene alltagsprägend. Verschwörungstheorien, die dieser Tage vor allem von rechtspopulistischen Parteien verbreitet werden, seien eine große Gefahr. Denn solche Theorien haben aus der Sicht von Sokoließ oft antisemitische Bezüge.
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