Mannheim/Walldorf. Arbeitsgericht Mannheim, Saal 4. Der ehemalige Betriebsratsvorsitzende der SAP SE wechselt erst ein paar Worte mit seinem Anwalt, dann setzt er sich hin, schaut konzentriert zur Richterin. Und wirkt dabei so, als hätten ihn die vergangenen Wochen ziemlich mitgenommen.
Der ehemalige Betriebsratsvorsitzende soll einem Kollegen dabei geholfen haben, Unregelmäßigkeiten bei Arbeitszeiten zu verschleiern. Der Verdacht des Lohnbetrugs und der Urkundenfälschung steht im Raum. Nach einer internen Untersuchung hatte SAP dem Mann außerordentlich fristlos gekündigt. Dagegen klagt er nun (Az.: 2 Ca 106/21).
Protokolle verfälscht
Während des Gütetermins, das ist schnell klar, wird es keine Annäherung beider Seiten geben. Die SAP-Rechtsanwältinnen Barbara Reinhard und Merle Langhammer sprechen von massivem Fehlverhalten und kaufen dem Mann nicht ab, in „Augenblicksversagen“ gehandelt haben zu wollen. Der ehemalige Arbeitnehmervertreter habe die Aufklärung bei SAP „ganz erheblich erschwert, verhindert und verzögert“, über einen längeren Zeitraum Mails unterdrückt und gelöscht sowie Betriebsratsprotokolle verfälscht. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit sei nicht mehr möglich. Zu keiner Zeit habe es dem ehemaligen Arbeitnehmervertreter zugestanden, „hochherrschaftlich in die Daten einzugreifen“, heben die beiden SAP-Anwältinnen hervor.
In einem internen Dokument, das dieser Redaktion vorliegt, spricht SAP sogar von „krimineller Energie“, über die man „erschüttert“ sei. Zudem seien Kolleginnen und Kollegen unschuldig in den Verdachtsstrudel geraten. „Nichts von alldem kommt einem ,Augenblicksversagen’ wie beim Überfahren einer roten Ampel gleich.“
Der Anwalt des Mannes, René von Wickede, wehrt sich. Sein Mandant habe Eingriffe in bestimmte Dokumente eingeräumt. Aber er habe diese auch wieder rückgängig gemacht und sich mehrfach entschuldigt. „Es gab einen sehr ernsthaften Willen, an der Aufklärung mitzuwirken.“
Am 1. Dezember ist nun ein erster Verhandlungstermin vor der Kammer des Mannheimer Arbeitsgerichts angesetzt. Dann könnte eine Beweisaufnahme starten. Vorher wäre alternativ auch ein außergerichtlicher Vergleich möglich – beide Seiten zeigen sich hierfür zumindest grundsätzlich gesprächsbereit.
Brisant: Nach wie vor sitzt der ehemalige Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat des Walldorfer Softwarekonzerns. Er hat ein Mandat über den Deutschen Bankangestellten-Verband (DBV), also unabhängig von einer Anstellung bei SAP. Aufgrund der massiven Vorwürfe hat der Aufsichtsrat kürzlich die Abberufung beim Amtsgericht Mannheim beantragt. Vor Ende September sei sicher nicht mit einer Entscheidung darüber zu rechnen, erklärt eine Sprecherin.
Der Kollege des ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden hat das Unternehmen mittlerweile verlassen und sein Mandat im Aufsichtsrat abgegeben – „im gegenseitigen Einvernehmen“. Der Mann spielt zudem eine Rolle in einem Verfahren vor dem Heidelberger Landgericht (Az.: 2 O 17/16). Es geht um mögliche Manipulationen bei der SAP-Aufsichtsratswahl 2012. Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen wegen versuchten Prozessbetrugs.
Kritik an Skandalen
Am Stammsitz Walldorf haben diese Affären für Unruhe gesorgt – umso mehr, als Betriebsräte bei SAP von Natur aus nicht so stark etabliert sind wie bei anderen Unternehmen. Klaus Merx, der neue Betriebsratsvorsitzende der SAP SE, hatte zuletzt frischen Wind angekündigt: Skandale hätten die an sich wertvolle Tätigkeit überlagert. „Individuelles Fehlverhalten sollte nicht länger die Sicht auf die gute Arbeit des 43-köpfigen Gremiums verdecken. Ich möchte dazu beitragen, dass die betriebliche Mitbestimmung bei SAP wieder positive Impulse liefert.“ Im Frühjahr stehen die nächsten Wahlen an.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich der Walldorfer Softwarekonzern juristische Auseinandersetzungen mit Arbeitnehmervertretern liefert. SAP hatte schon im Sommer 2019 einem Betriebsratsmitglied außerordentlich gekündigt. Dieses soll über innerbetriebliche Rundschreiben Beschäftigte diffamiert und den Betriebsfrieden gestört haben. Daraufhin klagte das Betriebsratsmitglied auf Wiedereinstellung, später einigten sich beide Seiten in einem Güteverfahren.
Besonderer Schutz
Für Betriebsratsmitglieder gilt zwar ein besonderer Kündigungsschutz. Doch wie bei anderen Arbeitnehmern auch ist eine außerordentliche Kündigung zulässig, wenn wichtige Gründe vorliegen und wenn dem Arbeitgeber jede weitere Zusammenarbeit nicht mehr zuzumuten ist.
Bei der Frage, ob die fristlose Kündigung des ehemaligen SAP-Betriebsratsvorsitzenden vor Gericht Bestand hat, geht es juristisch vor allem darum, ob es sich bei den mutmaßlichen Verfehlungen um Betriebsratsinterna handelt – oder aber um Dinge, die den Arbeitsvertrag an sich tangieren. jung
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