Gesundheit

Interview: Über die große Gefahr von E-Zigaretten

Stefan Andreas, Chefarzt der hessischen Lungenfachklinik Immenhausen, warnt vor einer Verharmlosung des Rauchens durch die Tabak- und Nikotinindustrie.

Von 
Stefanie Ball
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Mit Begriffen wie „rauchfreie Welt“ erweckt die Tabakindustrie den Anschein, ihre neuen Produkte wie E-Zigaretten seien harmlos. © Marijan Murat/dpa/dpa-tmn

Dass Zehntausende Menschen in Deutschland jedes Jahr an den Folgen des Rauchens sterben, ist aus Sicht wichtiger medizinischer Fachgesellschaften nach wie vor der starken Einflussnahme der Tabaklobby zuzuschreiben. Ein Gespräch mit Stefan Andreas, Chefarzt der Lungenfachklinik im hessischen Immenhausen, über die gefährlichen Strategien der Tabak- und Nikotinindustrie.

Herr Prof. Andreas, die Tabakkonzerne wollen eine „rauchfreie Welt“. Das müsste Sie als Lungenfacharzt doch freuen?

Stefan Andreas: Die Aussage von der „rauchfreien Welt“ wurde von der Tabakindustrie und ihren Lobbyisten geprägt. Vapen – das klingt harmlos. Aber erstens ist E-Zigarettenrauch auch Rauch, und zweitens enthalten E-Zigaretten ebenfalls krebserregende und andere gesundheitsschädliche Substanzen.

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Es gibt Studien, die scheinen das Gegenteil zu belegen. Was also stimmt?

Andreas: Eine Vielzahl von hochrangig publizierten Übersichtsarbeiten kommt zu dem Schluss, dass das Rauchen von E-Zigaretten gesundheitsschädlich ist. Es gibt demgegenüber Publikationen, die zu dem Ergebnis kommen, dass das Rauchen von Zigaretten nicht gefährlich sei. Das Problem: Viele dieser Studien sind von den Tabakkonzernen finanziert, und das viel größere Problem ist, dass selbst für Experten oft nur schwer zu erkennen ist, wer die Auftraggeber sind und wie die Studie designt wurde, wer also befragt wurde und welche Fragen wie gestellt wurden. Das beeinflusst mithin stark das Ergebnis einer Untersuchung.

Die Tabak- und Nikotinindustrie nutzt das Wort „Harm Reduction“, Schadensbegrenzung, um zu propagieren, dass ein Umstieg von der Zigarette auf die E-Zigarette sinnvoll sein könne. Auch ein Ausstieg über die E-Zigarette sei möglich. Ist das so?

Andreas: Die These der Tabakindustrie, E-Zigaretten seien zu 95 Prozent weniger gefährlich, ist mittlerweile widerlegt. Das Rauchen von E-Zigaretten kann die Lungenkrankheit COPD auslösen, das Herz-Kreislauf-System wird geschädigt, und es gibt erste Studien, die nachweisen, dass auch E-Zigaretten krebserregend sind. Was E-Zigaretten darüber hinaus besonders gefährlich macht, ist ihr hohes Nikotinabhängigkeitspotenzial. Es gibt eine aktuelle Studie, die zeigt, dass das Nikotin in E-Zigaretten fast noch schneller im Gehirn anflutet als bei normalen Zigaretten. Das ist eine wirkliche Gefahr, denn dadurch erhöht sich die Suchtgefahr. Dass E-Zigaretten also gesünder seien oder eine Strategie zur Rauchentwöhnung, ist Quatsch.

Lungenfacharzt Stefan Andreas sieht einen Einfluss der Tabaklobby auf die Wissenschaft. © Mike Auerbach

In Deutschland sterben im Jahr 127.000 Menschen vorzeitig an den Folgen ihres Tabakkonsums. Müsste hier nicht mehr passieren, um das zu verhindern?

Andreas: Auf alle Fälle. Wer in andere Länder blickt, weiß auch, dass mehr Prävention funktioniert, die Zahl der Raucher sinkt. Dass in Deutschland Zigaretten noch immer vergleichsweise günstig sind und für Prävention Geld und Aufmerksamkeit fehlen, hat sehr viel mit dem Einfluss der Tabaklobby auf politische Entscheidungsträger zu tun. Dies ist gut belegt durch den Tabaklobby-Index, den das Deutsche Krebsforschungszentrum alle zwei Jahre herausgibt. So werden wichtige Maßnahmen verhindert.

Einige medizinische Fachgesellschaften haben sich kürzlich einen Kodex zum Umgang mit der Tabak- und Nikotinindustrie gegeben. Warum ist der Kodex so wichtig?

Andreas: Die Tabak- und Nikotinindustrie nimmt seit Jahrzehnten Einfluss auf die Wissenschaft, und die Bemühungen, die Wissenschaft zu schützen, sind nach wie vor unzureichend. Deshalb ist es wichtig, dass die medizinischen Fachgesellschaften Stellung beziehen und das Thema damit auch in die Öffentlichkeit rücken. Die Industrie macht das geschickt, sie sagt nicht: „Wir sind die Tabakindustrie“. Die sagen: „Wir wollen, dass die Menschen mit dem Rauchen aufhören und bieten zur Entwöhnung ein tolles Produkt an“, nämlich die E-Zigarette oder Nikotinbeutel beziehungsweise Nikotinpouches, die im Übrigen in Deutschland – noch – verboten sind. Wer sich nicht so gut auskennt, der glaubt das. Auch einzelne Ärztinnen und Ärzte glauben das.

Freie Autorin

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