Viernheim. Dieses Training wirkt manchmal wie ein Tanz: Wenn Derya Vehrenkamp-Abd Rabo für die Übungen des Kickboxens mit leisen Worten ihre Anweisungen erteilt, dann verwandeln ihre Kurs-Teilnehmerinnen die trockenen Worte - fast wie beim Tango - in Bewegungen, die immer fließender und schneller werden: Boxhandschuhe treffen auf Boxhandschuhe oder werden gekreuzt, um den Fußkick des Gegners auf Hüfthöhe abzuwehren. Trainerin Derya Vehrenkamp-Abd Rabo erklärt: „Das moderne Kickboxen und das Muay-Thai-Training schulen Kondition, Konzentration, Ausdauer, Präzision, Körperbeherrschung und Disziplin.“
Gemeinsam mit ihrem Mann Armia Abd Rabo und dem Trainer Andreas Thomas hat Derya Vehrenkamp-Abd Rabo die neue Filiale der „Black Scorpions“ in Viernheim gegründet. Das Trio verfügt über reichliche Wettkampferfahrung: Armia Abd Rabo errang bei der Weltmeisterschaft des K1-Kickboxens den zweiten Platz. Seine Frau Derya und Andreas Thomas nahmen vielfach an deutschen und europäischen Meisterschaften teil.
Den Kampfsport im Alter von acht Jahren begonnen
Derya Vehrenkamp-Abd Rabo gehört zu den Pionierinnen, die das Kickboxen für Frauen und Mädchen aus der Außenseiternische in den normalen Mainstream überführt hat. Sie selbst hat mit acht Jahren den Kampfsport begonnen: „Meine Mutter hat mich einfach angemeldet. Sie hatte das Gefühl, dass der Kampfsport mein Selbstbewusstsein stärken würde.“ Ganz sicher hatte Mutter Petra recht. Derya sagt: „Mit dem Training ändert sich automatisch die Körperhaltung. Man strahlt mehr Selbstvertrauen aus. Man weiß, wie man mit seiner Kraft umgehen kann. Dann kommt erst gar niemand auf die Idee, einen anzugreifen.“
Diese Kindheitserfahrung von Derya wird inzwischen durch Studien bestätigt: Kinder gewinnen oft schon nach wenigen Wochen oder Monaten des Kickbox-Trainings mehr Selbstvertrauen. Manche Kinder ändern die gebeugte Körperhaltung des möglichen „Opfers“ zu einer aufrechten Haltung. Armia Abd Rabo erzählt: „Nach Schulprojekten in Mannheim haben wir schon viel positive Rückmeldungen von Lehrern und Eltern erhalten. Der Sport stärkt bei Kindern und Jugendlichen die Konzentration. Manchmal haben die Kinder sogar ihre Noten verbessert.“
Derya Abd Rabo erinnert sich: „Als Kind und Jugendliche habe ich als einziges Mädchen in einer Jungengruppe trainiert und auch gegen Jungen gekämpft.“ Egal, das Training hat ihr so viel Spaß gemacht, dass sie bis zu ihrem 20. Lebensjahr streng und hart trainiert und an Wettkämpfen teilgenommen hat. Sie lächelt: „Das war aufregend. Man empfindet ein Gefühl der Bestätigung, wenn man auf dem Treppchen steht und einen Pokal in den Händen hält.“ Dennoch hat sie nach dem Abitur erst einmal Architektur studiert und arbeitet nun sowohl als Trainerin wie auch als Architektin.
Auch ihr Mann Armia hat schon als Kind mit dem Kampfsport-Training begonnen. Er hatte schon früh den Traum, eine eigene Kampfsport-Schule zu führen. Doch den Eltern zuliebe absolvierte er zunächst eine Ausbildung zum Konstruktionsmechaniker. Aber 2006 war es dann soweit: Mit Hilfe der damaligen staatlichen Unterstützung für Existenzgründer wurde sein Mannheimer Start-up mit einem eigenen Kickbox-Studio zum Erfolg. Armia sagt: „Ich bin stolz darauf.“
Frauen können sich in den neuen Bewegungen frei ausprobieren
Derya erklärt: „Schon in Mannheim haben wir eigene Gruppen eingerichtet, in denen Frauen andere Frauen unterrichten. Auf diese Art und Weise können sich Frauen in den neuen Bewegungen frei ausprobieren. Später können die Frauen frei wählen, ob sie weiter in einer Frauen- oder in einer gemischten Gruppe trainieren möchten. “ Derya selbst unterrichtet auch in Viernheim eine neue Frauen-Gruppe.
Was ist für Anfänger wichtig? Die Haltung der Fäuste: Die Daumen sind außen und nicht innen, die Handgelenke werden nicht geknickt, sondern immer gerade gehalten. Ansonsten geht es um den Aufbau der Kondition. Die dreifache Mutter Derya Vehrenkamp-Abd Rabo springt mit „ihren“ Frauen in die Höhe und anschließend sofort in die Liegestütze - im rasanten Wechsel. Es folgen einhändige Liegestützen, rasche Hampelmann-Figuren und Dehnübungen für Bauch, Schultern und Arme. Man gerät schon beim Zuschauen völlig außer Atem.
Teilnehmerin Marina aus Mannheim hatte den Kickbox-Sport über ihre Tochter kennengelernt: „So habe ich schon früher Kickboxen trainiert.“ Doch aufgrund einer beruflichen Fortbildung hatte sie keine Zeit mehr. Jetzt steigt die Buchhalterin neu ein: „Wenn ich diesen Sport nicht habe, dann fehlt mir etwas. Ich komme mit Freude zum Training und gehe mit Freude. Es ist der perfekte Ausgleich zum Alltag.“
Teilnehmerin Susan hat das Kickboxen wie Derya als Jugendliche kennengelernt, aber dann mit Beginn der Ausbildung aufgehört. Die Praxismanagerin einer Zahnarztpraxis hat das Kickboxen nun in Viernheim ebenfalls neu für sich entdeckt. Sie sagt: „Das macht Spaß. Hier kann ich den Kopf vom Alltag abschalten.“
Das Training startet an diesem Abend damit, dass die Frauen mit ihren Boxhandschuhen auf die riesigen Boxsäcke einschlagen, während sie auf den Zehen trippeln. Bei den Partner-Übungen sagt eine Frau zunächst: „Ich trau mich nicht, zu schnelle Bewegungen zu machen, ich habe Angst, meine Gegnerin zu verletzen.“ Ihre Kampfpartnerin kontert: „Du kannst schnell zuschlagen, ich schaffe das schon.“
Bei den Übungen deckt eine Kämpferin ihr Gesicht mit beiden Fäustlingen, während die andere erst rechts und dann links zuschlägt. Sofort schützt die Frau anschließend mit den gekreuzten Fäusten ihren Bauch mit der Leber, so dass ihre Gegnerin mit dem Schienbein nur auf die Fäustlinge trifft. Es folgt der Partnerinnenwechsel mit den gleichen Schlag- und Schrittfolgen. Mit leiser Stimme sagt die Trainerin immer neue Kombinationen von Schlägen und Schritten an - den Teilnehmerinnen strömt der Schweiß über das Gesicht.
Nie andere angreifen, sondern sich höchstens im Notfall verteidigen
Dann darf jede Teilnehmerin das Zuschlagen auf die Trainerin mit den Thaipratzen üben: Laut hallen die Schläge durch die Halle, wenn Fäuste, Beine oder Füße auf die Pratzen auftreffen. Es gilt: 2,5 Minuten Üben - 30 Sekunden Pause. Regelmäßig mahnt die Trainerin: „Nicht die Luft anhalten, atmen, atmen, atmen - mit dem Atem zuschlagen.“ Zwischendurch fragt sie die Kämpferinnen: „Alles gut?“ Die Antwort kommt schnell: „Absolut.“
Es gibt Gruppen für jedes Alter. So trainieren auch die drei Kinder des Ehepaars Derya und Armia Abd Rabo schon mit. Die drei Jahre alte Tochter ist bei den Minis dabei und erlernt spielerisch die Techniken der Selbstverteidigung. Ihre Mutter erklärt: „Die Kinder wissen, dass sie mit diesen Techniken im Alltag nie andere angreifen, sondern sich höchstens im Notfall verteidigen dürfen.“ Dieser Notfall ist aber bisher noch nie eingetreten.
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