Viernheim. „Herr Niebler . . .“ Ein Zeigefinger schnellt empor: „Ich bin der Fritz.“ Okay, Fritz. Das wird ein unverkrampftes Gespräch. Fritz Niebler ist mit seinen 1,58 Meter nicht wirklich groß, aber Erscheinung und Ausstrahlung machen die Zentimeter locker wett: kraftvoll, athletisch, stolz und voller Lebensfreude. Als Ringer hat der heute 66-Jährige an zwei Olympischen Spielen teilgenommen. Er ist damit der bislang einzige Olympionike aus Viernheim. Und er hat viel zu erzählen.
Niebler war 17, als er 1976 mit dem Deutschen Ringerbund zu den Olympischen Spielen nach Montreal in Kanada reiste. Niebler strahlt in der Erinnerung: Seine Mutter habe ihn geweckt, er solle mal in die Zeitung gucken, da stünde sein Name. Das konnte nur ein Irrtum sein. War es nicht. Der jugendliche Niebler las mit verschlafenen Augen, dass er für die deutsche Ringer-Mannschaft in Montreal antritt.
Er ruft einen Vertrauten beim Ringerbund in Frankfurt an, er kann es nicht glauben. „Halt die Gosch, Fritz, Du bist dabei!“, habe der gesagt. Niebler erzählt solche Geschichten, als wäre es gestern gewesen. Und in sein eigentlich stets fröhliches Gesicht – der Mann hat den Schalk im Nacken – mit sich doch Wehmut: Was waren das für aufregende Zeiten für so einen jungen Kerl.
Für die Spiele vier Jahre später, 1980 in Moskau, war er wieder gesetzt. Und hatte die Koffer schon gepackt. Doch aus Moskau wurde nichts. Nachdem die russische Armee 1979 in Afghanistan einmarschiert war, boykottierten die deutschen Olympioniken die Spiele in Moskau. „Als Entschädigung hat jeder von uns 3000 Mark bekommen“, sagt er. Und das Maskottchen der Spiele in Moskau, den Olympia Bären. Der steht neben zahllosen Medaillen, Pokalen und Urkunden in einer Vitrine im Untergeschoss.
Dafür klappte es 1984 in Los Angeles wieder. Für eine olympische Medaille hat es jedoch nie gereicht. Aber wie lautet das olympische Motto: Dabeisein ist alles.“ Einen zweiten Platz bei einer Europameisterschaft hat der Fliegengewichtler um ein Haar verfehlt. Das Fliegengewicht endet bei 52 Kilo. Last but not least: Niebler war ganze 16 Mal Deutscher Meister. Mit 14 hat er die Schülermeisterschaft geholt. Damals brachte er 31 Kilo auf die Waage. Heute sind es 60.
Schon als Kind zu den Viernheimer Ringern gegangen
Mit neun oder zehn Jahren ging er zum Viernheimer Stemm- und Ringclub SRC. Zuvor hatte er Fußball gespielt, aber beim Ringen ist er hängen geblieben. „Das Ringen war mir in die Wiege gelegt.“ Fritz Niebler ist in Texas aufgewachsen, einem etwas problematisches Viertel in Viernheim. Na, da kann es ja nicht schaden, wenn man sich zu wehren weiß. „Nein, ach wo, uns hat keiner Probleme gemacht. Wir sind zehn Geschwister, vier Mädchen und sechs Jungs – und die haben alle gerungen. Es gab keine Probleme damals in Texas.“
Der Vater legte diesen Sport wohl auch in die Wiege seiner beiden Kinder. Tochter Laura holte einen zweiten und einen dritten Platz bei der Deutschen Meisterschaft. Sohn Sascha wurde zwei Mal Deutscher Meister. Man darf gespannt sein, ob es die beiden kleinen Enkelkinder ebenfalls auf diese Ringer-Matte zieht.
„Ich habe die halbe Welt gesehen, war ständig auf Achse.“ Etwa die Hälfte des Jahres sei er unterwegs gewesen. Den Lohnausfall des gelernten Dachdeckers hat die Deutsche Sporthilfe ausgeglichen. Für ein paar Jahre trat Niebler auch für Lampertheim und Reilingen an. Aber seinem SRC Viernheim ist er bis heute tief verbunden. Die Wettkämpfe in der Waldsporthalle schaut er sich alle an. Und unter anderem dort trifft er auf die Kameraden von damals, die Kontakte sind erhalten geblieben. „Du musst immer der bleiben, der du warst. Auch wenn du bei den Spielen warst.“
1986 hat Fritz Niebler Schluss gemacht. Eigentlich. Er ließ sich reaktivieren für die Deutsche 1988. „Du haust die alle weg“, habe einer vom Ringerbund zu ihm gesagt. Und siehe da – der kleine Herr der Matte wurde ein letztes Mal Deutscher Meister. Da ist er wieder, der Zeigefinger: „Ohne Punktverlust.“
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