Mannheim. Was haben Isabel Cademartori, Melis Sekmen, Gökay Akbulut und Konrad Stockmeier gemeinsam? Genau, sie vertreten Mannheims Bürgerinnen und Bürger aktuell im Bundestag in Berlin. Was dabei auffällt: drei von ihnen haben einen sogenannten „Migrationshintergrund“. Laut Statistischem Bundesamt trifft das auf eine Person zu, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde. Der Begriff ist also vor allem für Statistiken wichtig. Aber er hat es auch in den alltäglichen Sprachgebrauch geschafft. Neben der statistischen Bedeutung hat der Ausdruck häufig einen stigmatisierenden Beigeschmack. Deshalb wird er immer wieder kritisch diskutiert und in diesem Text mit Anführungszeichen verwendet.

Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt.
46 Prozent mit Migrationshintergrund
In Mannheim haben 46 Prozent der Stadtbevölkerung einen „Migrationshintergrund“. Damit liegt die Quadratestadt deutschlandweit auf Platz zehn. Das Zusammenleben vieler verschiedener Kulturen hat in Mannheim eine lange Tradition. Bereits nach dem Dreißigjährigen Krieg war die Stadtbevölkerung erheblich geschrumpft. Um dem entgegenzuwirken, lockte Kurfürst Karl Ludwig damals Zuwanderer mit Privilegien an Rhein und Neckar. Es kamen vor allem Franzosen, Niederländer und Portugiesen. Die Grundstücke wurden dabei so vergeben, dass sich die Konfessionen und Nationen durchmischten.
Über Joschka Moravek
- Podcasts sind seine große Leidenschaft. Nicht nur privat, „bevor das Medium jeder kannte“, wie er sagt, sondern auch beruflich. Der 25-Jährige lernte in seinem Volontariat an der Deutschen Journalistenschule in München intensiv, was einen guten Podcast ausmacht, von der Recherche bis zum Sounddesign. Und auch Mannheim kennt der Projektvolontär schon länger: Von 2016 bis 2020 studierte er Geschichte an der Universität Heidelberg. Seit einem Praktikum Ende 2018 arbeitete er als Freier Mitarbeiter für den „Mannheimer Morgen“.
- Die Idee zu einem Podcastformat mit Geschichten von Menschen mit Migrationserfahrung fasziniert Moravek schon seit Längerem. In „Migrationsstadt Mannheim“ will er das Thema anhand persönlicher Geschichten greifbar machen: keine Statistiken, keine Scheindebatten über Kriminalität oder Asylrecht – die Protagonistinnen und Protagonisten stehen im Fokus.
Heute steht besonders die Gegend um den Marktplatz für kulturelle Vielfalt. Sie wird wegen vieler orientalischer Restaurants auch „Little Istanbul“ genannt. Diversität hat sich die Stadt Mannheim seit ein paar Jahren in Form der „Mannheimer Erklärung für ein Zusammenleben in Vielfalt“ auf die Fahne geschrieben. 344 Vereine, Kirchen und Religionsgemeinschaften haben das Dokument mittlerweile unterzeichnet.
Migrationsthemen sind vielfältiger als Konflikte, Kriminalität und Krisen
Doch wenn in Deutschland über Themen rund um Migration gesprochen wird, stehen dabei meistens Konflikte und Probleme im Vordergrund. Migrantinnen und Migranten werden schnell mit Kriminalität in Verbindung gebracht und haben mit Vorurteilen zu kämpfen. Das hat sich gerade erst zum Jahreswechsel an der Debatte über die Silvesternacht in Berlin gezeigt. Oder an der Diskussion über die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts in Deutschland. Dabei rücken die Mehrheit der eingewanderten Menschen und somit auch ihre Anliegen in den Hintergrund. Migrationsthemen sind vielfältiger als Konflikte, Kriminalität und Krisen. Genauso wie die Gründe, warum Menschen ein Land verlassen (müssen) und in ein anderes einwandern. Ob aus Flucht vor einem Krieg, wirtschaftlicher Not oder der Hoffnung auf ein besseres Leben.
Die Folgen von "Migrationsstadt Mannheim"
Folge 1 „Schicksal“ ab 19. Januar: Merve Uslu ist in Mannheim geboren und aufgewachsen. Lange hat sie ihre türkische Biografie verdrängt. Doch am Ende ihres Bachelorstudiums fliegt sie in den Süden der Türkei. Dorthin, wo ihre Großväter aufgewachsen sind. Sie fragt nach, warum sie damals nach Deutschland ausgewandert, aber ihre Brüder zurückgeblieben sind.
Folge 2 „Friss oder stirb“ ab 26. Januar: Giuseppe Londero kam in den 1950er-Jahren mit seinen Eltern aus Italien nach Deutschland. Als Kind musste er sich in einem fremden Land zurechtfinden. Im Podcast erzählt er davon, wie er Liebesbriefe für Gastarbeiter schrieb und wie ein spontaner Urlaub fast seine Zukunft kaputt gemacht hätte.
Folge 3 „Die Unmündigen“ ab 2. Februar: In den 90er-Jahren wachsen in Deutschland viele Nachkommen von Gastarbeitern auf. Sie sind hier zur Schule gegangen, aber ohne deutschen Pass sind sie politisch benachteiligt. Also schließen sich in Mannheim, im Jugendkulturzentrum Forum, junge Migranten zusammen, um etwas dagegen zu unternehmen.
Folge 4 „Vergessen“ ab 9. Februar: Safet Zivkovic floh vor den Jugoslawienkriegen nach Deutschland. Mit seiner Familie wurde er in einer Asylunterkunft auf der Schönau untergebracht. Dort will an Christi Himmelfahrt 1992 eine aufgebrachte Menge die ehemalige Gendarmeriekaserne stürmen.
Folge 5 „Erinnern“ ab 16. Februar: Nach den Ereignissen auf der Schönau ist Mannheim in Aufruhr. Am Pfingstsamstag 1992 eskaliert eine Demonstration in der Mannheimer Innenstadt. Es kommt zu Straßenschlachten zwischen Demonstrierenden und der Polizei. Thomas Reutter war damals vor Ort und wurde sogar selbst verletzt.
Folge 6 „Gast auf unbestimmte Zeit“ ab 23. Februar: Ein Jahr ist vergangen, seit Russland die Ukraine angegriffen hat. Vor dem Krieg sind mittlerweile mehr als 16 Millionen Menschen geflohen. Einige davon auch nach Mannheim. Sängerin Yaroslava Yurchenko erzählt, wie es sich anfühlt, nach ihrer Flucht aus Kiew komplett bei Null anfangen zu müssen.
Der neue Podcast des „Mannheimer Morgen“, „Migrationsstadt Mannheim“, setzt hier einen thematischen Schwerpunkt. Es geht um Geschichten rund um Migration – und zwar solche, die nicht so häufig gehört werden. Ziel war, vor allem Menschen aus migrantischen Milieus zu Wort kommen zu lassen und ihre Perspektiven aufzuzeigen. Jede der sechs Folgen des Podcasts erzählt die Geschichte einer Person mit Migrationserfahrung. Die porträtierten Menschen stammen aus verschiedenen Generationen, und auch ihre Migrationserfahrungen unterscheiden sich. Manche sind vor dem Krieg in der Ukraine nach Mannheim geflohen. Manche kamen in den 1950er-Jahren als sogenannte „Gastarbeiter“ nach Mannheim. Manche kamen als kleine Kinder und mussten sich hier zurechtfinden. Und manche sind in Mannheim geboren und leben schon immer zwischen zwei Welten.

Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt.
Darum geht es in der ersten Folge von „Migrationsstadt Mannheim“. Merve Uslu ist in Mannheim geboren und aufgewachsen. Ihre beiden Großväter, Ismet Ceylan und Mustafa Uslu, kamen in den 1960er-Jahren aus der Türkei als sogenannte „Gastarbeiter“ nach Deutschland. Die Brüder der beiden sind damals dort geblieben, was in den Familien Uslu und Ceylan nicht immer einfach war. Merve Uslu hat, wie sie selbst findet, erst spät – während ihres Ethnologie- und Soziologie-Studiums an der Universität Heidelberg – angefangen, sich mit ihrer Familiengeschichte zu beschäftigen. Dafür ist sie im Sommer 2019 nach Hatay, einer Provinz im Süden der Türkei, geflogen. Dort sind ihre beiden Großväter aufgewachsen. Merve hat sie vor der Kamera nach ihren Erfahrungen gefragt und daraus einen halbstündigen Film namens „Kismet“, türkisch für „Schicksal“, gedreht. Es war ihre Bachelorarbeit – aber auch privat hat es sie bereichert. Im Podcast bezeichnet sie ihre Zeit in Hatay als „die besten zwei Wochen“ ihres Lebens. Aktuell studiert Merve Uslu im Master Filmkultur an der Universität Frankfurt.
"Migrationsstadt Mannheim" ist auf allen gängigen Podcast-Plattformen verfügbar.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/startseite_artikel,-mannheim-podcast-migrationsstadt-mannheim-startet-mit-merve-uslu-_arid,2041211.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-die-mannheimerin-merve-uslu-hat-einen-dokumentarfilm-ueber-ihre-grossvaeter-gedreht-_arid,1814316.html
[3] https://open.spotify.com/show/69xZvWUUHXdXYfoGu3FYhJ
[4] https://podcasts.apple.com/us/podcast/migrationsstadt-mannheim/id1664807158
[5] https://www.deezer.com/show/5613537
[6] https://music.amazon.com/podcasts/9f8020b6-8885-4e8d-8173-020a1a590f5b