Migrationsstadt Mannheim

"Die Unmündigen" im Podcast "Migrationsstadt Mannheim": Satire und Ironie gegen Rassismus

Junge Migranten schließen sich in den 90er Jahren zusammen, um etwas gegen ihre politische Benachteiligung zu unternehmen: „Die Unmündigen“ Hüseyin Ertunç, Ibrahim Cindark und Aziz Demir erzählen, wie es dazu kam

Von 
Joschka Moravek
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Ibrahim Cindark ist einer der Gründer des Vereins „Die Unmündigen“. © Privat

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Stellen Sie sich mal vor, Sie sind als Kind mit ihren Eltern nach Deutschland eingewandert. Sie sind hier zur Schule gegangen und aufgewachsen. Doch obwohl Sie seit Jahren in Deutschland leben, haben Sie nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Das heißt, Sie dürfen hier nicht wählen und haben es schwerer einen Arbeitsplatz zu bekommen. Wie würden Sie damit umgehen?

So geht es in den 1990er-Jahren vielen jungen Menschen. Man nennt sich auch die „zweite Gastarbeitergeneration“. In Mannheim schließen sich damals junge Migrantinnen und Migranten zusammen, um sich über ihre Erfahrungen, Sorgen und Probleme in Deutschland auszutauschen. Viele sind frustriert und fühlen sich ohne Staatsbürgerschaft in Deutschland nicht mündig.

Auch Aziz Demir ist Gründungsmitglied des Vereins "Die Unmündigen". © privat

So lernen sich in den 1990er-Jahren Hüseyin Ertunç, Ibrahim Cindark und Aziz Demir im Jugendkulturzentrum Forum in der Neckarstadt kennen. Immer dienstags und freitags treffen sich damals dort Menschen mit türkischen und kurdischem Migrationshintergrund. Doch die ältere Generation dominiert die Gespräche. Es wird vor allem auf Türkisch über die Türkei diskutiert. „Da gab es einige Leute, die Politik studiert haben und frei eine Stunde reden konnten“, erinnert sich Aziz Demir. Aber er und die anderen haben andere Sorgen und Probleme.

Ebenfalls seit den 90ern Teil des Vereins: Hüseyin Ertunç. © privat

Und sie „wollen nicht nur mit den Füßen, sondern auch mit dem Kopf in Deutschland sein“, sagt Hüseyin Ertunç. Gemeinsam überlegen sie, wie sie damit umgehen wollen. „Wir wollten den Rassismus der gesellschaftlichen Mitte bearbeiten“, erzählt Ibrahim Cindark. Und sich für politische Rechte einsetzen. Daraus entsteht ein Verein. Sie nennen sich „Die Unmündigen“. Die Gründung feiern sie im März 1995 im Jugendkulturzentrum Forum.

Die Folgen von "Migrationsstadt Mannheim"

Folge 1 „Schicksal“ ab 19. Januar: Merve Uslu ist in Mannheim geboren und aufgewachsen. Lange hat sie ihre türkische Biografie verdrängt. Doch am Ende ihres Bachelorstudiums fliegt sie in den Süden der Türkei. Dorthin, wo ihre Großväter aufgewachsen sind. Sie fragt nach, warum sie damals nach Deutschland ausgewandert, aber ihre Brüder zurückgeblieben sind.

Folge 2 „Friss oder stirb“ ab 26. Januar: Giuseppe Londero kam in den 1950er-Jahren mit seinen Eltern aus Italien nach Deutschland. Als Kind musste er sich in einem fremden Land zurechtfinden. Im Podcast erzählt er davon, wie er Liebesbriefe für Gastarbeiter schrieb und wie ein spontaner Urlaub fast seine Zukunft kaputt gemacht hätte.

Folge 3 „Die Unmündigen“ ab 2. Februar: In den 90er-Jahren wachsen in Deutschland viele Nachkommen von Gastarbeitern auf. Sie sind hier zur Schule gegangen, aber ohne deutschen Pass sind sie politisch benachteiligt. Also schließen sich in Mannheim, im Jugendkulturzentrum Forum, junge Migranten zusammen, um etwas dagegen zu unternehmen.

Folge 4 „Vergessen“ ab 9. Februar: Safet Zivkovic floh vor den Jugoslawienkriegen nach Deutschland. Mit seiner Familie wurde er in einer Asylunterkunft auf der Schönau untergebracht. Dort will an Christi Himmelfahrt 1992 eine aufgebrachte Menge die ehemalige Gendarmeriekaserne stürmen.

Folge 5 „Erinnern“ ab 16. Februar: Nach den Ereignissen auf der Schönau ist Mannheim in Aufruhr. Am Pfingstsamstag 1992 eskaliert eine Demonstration in der Mannheimer Innenstadt. Es kommt zu Straßenschlachten zwischen Demonstrierenden und der Polizei. Thomas Reutter war damals vor Ort und wurde sogar selbst verletzt.

Folge 6 „Gast auf unbestimmte Zeit“ ab 23. Februar: Ein Jahr ist vergangen, seit Russland die Ukraine angegriffen hat. Vor dem Krieg sind mittlerweile mehr als 16 Millionen Menschen geflohen. Einige davon auch nach Mannheim. Sängerin Yaroslava Yurchenko erzählt, wie es sich anfühlt, nach ihrer Flucht aus Kiew komplett bei Null anfangen zu müssen.

Mit der Vereinsgründung kommt neuer Schwung hinter die Vorhaben. Neue Menschen mit anderen Migrationserfahrungen stoßen dazu, aus Bosnien, Italien, Spanien und Griechenland. Gemeinsam organisieren sie in den folgenden Jahren viele politische und satirische Aktionen. „Man brauchte eigentlich nur noch die Alltagsrassismen, die man erlebt hat, umzukehren. Und das war dann pointiert“, sagt Ibrahim. Wie zum Beispiel das Politkabarett „Das Fest des deutschen Mitbürgers“, eine ironische Umkehrung der damaligen „Tage des ausländischen Mitbürgers“.

„Die Unmündigen“ machen vor allem Öffentlichkeitsarbeit und bauen einen Presseverteiler auf. Aber sie organisieren auch Ausstellungen über Gastarbeit wie zum Beispiel „gesternJahre“ und „mannheimJahre“. Und sie drehen Dokumentarfilme in migrantischen Lebenswelten.

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Im Podcast „Migrationsstadt Mannheim“ erzählen Hüseyin Ertunç, Ibrahim Cindark und Aziz Demir von ihren Erfahrungen, wie sie sich für politische Teilhabe eingesetzt haben und wie sie heute zurückblicken.

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