Mannheim. Ein Mann aus Bayern fährt im Jahr 1954 in einem VW Käfer nach Norditalien. Er ist nicht auf dem Weg in den Urlaub, sondern auf der Suche nach Arbeitskräften. Ihm gehört eine Ziegelei in Erding bei München. Damals ist schon klar, dass die Bundesrepublik und Italien ein Abkommen zur Anwerbung von Arbeitskräften unterzeichnen werden. Der Mann kommt auch nach Buia, einem kleinen Dorf in der Region Friaul. Dort wohnt damals der sechsjährige Giuseppe Londero.
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Heute ist er 74 Jahre alt und lebt in einem gemütlichen Hinterhofhäuschen in Friedrichsfeld. Der „MM“ hat ihn dort für den Podcast „Migrationsstadt Mannheim“ getroffen. In der aktuellen Folge, die heute erscheint, blickt er auf seine Familiengeschichte zurück. Es ist ihm wichtig, dass auch heute noch über die Gastarbeiterzeit gesprochen wird. „Die haben wesentlich dazu beigetragen, dass es ein deutsches Wirtschaftswunder gab“, so Giuseppe Londero.
Sein Vater Umberto arbeitet Anfang der 1950er-Jahre in einem Bergwerk in der Nähe der jugoslawischen Grenze. Die Arbeit ist schwer und gefährlich. „Also es war schon eine sehr risikoreiche Arbeit, das hat man ihm angemerkt“, erinnert sich Giuseppe Londero. Umberto ist daher froh, einen anderen Arbeitsplatz angeboten zu bekommen. Gemeinsam mit seiner Frau beschließt er, nach Bayern zu gehen und dort in der Ziegelei zu arbeiten. Die drei fahren mit viel Gepäck und vielen anderen Italienern mit dem Zug nach Deutschland. Die Stimmung sei gut gewesen, erzählt Giuseppe Londero.
In Erding angekommen, kam der Frust. Denn die Familie wohnt jetzt in einem Raum über der Ziegelei. „In Italien haben wir ein eigenes Haus gehabt und in Deutschland war das eine unglaubliche Wohnsituation, das kann sich kein Mensch vorstellen.“
Über verschiedene Stationen kommen die Londeros dann nach Mannheim, genauer gesagt nach Neckarau. Umberto Londero arbeitet dort in einer Gießerei – sie wohnen in einer Baracke neben dem Betriebsgelände. Wo früher Zwangsarbeiter untergebracht waren, leben in den 1960er-Jahren die „Gastarbeiter“. Giuseppe geht in Neckarau zur Schule und macht dann eine Ausbildung als Zerspanungsmechaniker bei den Motorenwerken Mannheim in der Neckarstadt. Eine aufregende Zeit für ihn.
Die Folgen von "Migrationsstadt Mannheim"
Folge 1 „Schicksal“ ab 19. Januar: Merve Uslu ist in Mannheim geboren und aufgewachsen. Lange hat sie ihre türkische Biografie verdrängt. Doch am Ende ihres Bachelorstudiums fliegt sie in den Süden der Türkei. Dorthin, wo ihre Großväter aufgewachsen sind. Sie fragt nach, warum sie damals nach Deutschland ausgewandert, aber ihre Brüder zurückgeblieben sind.
Folge 2 „Friss oder stirb“ ab 26. Januar: Giuseppe Londero kam in den 1950er-Jahren mit seinen Eltern aus Italien nach Deutschland. Als Kind musste er sich in einem fremden Land zurechtfinden. Im Podcast erzählt er davon, wie er Liebesbriefe für Gastarbeiter schrieb und wie ein spontaner Urlaub fast seine Zukunft kaputt gemacht hätte.
Folge 3 „Die Unmündigen“ ab 2. Februar: In den 90er-Jahren wachsen in Deutschland viele Nachkommen von Gastarbeitern auf. Sie sind hier zur Schule gegangen, aber ohne deutschen Pass sind sie politisch benachteiligt. Also schließen sich in Mannheim, im Jugendkulturzentrum Forum, junge Migranten zusammen, um etwas dagegen zu unternehmen.
Folge 4 „Vergessen“ ab 9. Februar: Safet Zivkovic floh vor den Jugoslawienkriegen nach Deutschland. Mit seiner Familie wurde er in einer Asylunterkunft auf der Schönau untergebracht. Dort will an Christi Himmelfahrt 1992 eine aufgebrachte Menge die ehemalige Gendarmeriekaserne stürmen.
Folge 5 „Erinnern“ ab 16. Februar: Nach den Ereignissen auf der Schönau ist Mannheim in Aufruhr. Am Pfingstsamstag 1992 eskaliert eine Demonstration in der Mannheimer Innenstadt. Es kommt zu Straßenschlachten zwischen Demonstrierenden und der Polizei. Thomas Reutter war damals vor Ort und wurde sogar selbst verletzt.
Folge 6 „Gast auf unbestimmte Zeit“ ab 23. Februar: Ein Jahr ist vergangen, seit Russland die Ukraine angegriffen hat. Vor dem Krieg sind mittlerweile mehr als 16 Millionen Menschen geflohen. Einige davon auch nach Mannheim. Sängerin Yaroslava Yurchenko erzählt, wie es sich anfühlt, nach ihrer Flucht aus Kiew komplett bei Null anfangen zu müssen.
Giuseppe wollte nie zurück nach Italien, aber seine Anfangszeit in Deutschland beschreibt er mit„friss oder stirb“. Immer wieder musste er sich durchkämpfen. „Ich habe viel über mich ergehen lassen und mich trotzdem angepasst. Ich habe auch immer mehr Leistung gebracht, als notwendig gewesen wäre, um anerkannt zu werden und dazuzugehören“, sagt er. Auch wie ihn nach seiner Ausbildung ein spontanes Abenteuer in eine schwere Krise stürzt, erzählt er in der aktuellen Folge.
"Migrationsstadt Mannheim" ist auf allen gängigen Podcast-Plattformen verfügbar.