Nach jedem WM-Spiel wartet auf Juri Knorr ein Marathon. Und zwar einer mit den Medien. Während die Kollegen längst in der Kabine verschwunden sind, erfüllt der 22-jährige Spielmacher geduldig jeden Interviewwunsch. Alles dreht sich um ihn, den Mann von den Rhein-Neckar Löwen und den Hoffnungsträger der deutschen Handball-Nationalmannschaft.
Bei der Weltmeisterschaft in Polen und Schweden geht gerade nicht nur seine Leistung durch die Decke, sondern auch der Rummel um ihn. Weil er brillant spielt und die Sehnsucht einer ganzen Handballnation auf seinen Schultern trägt. Wohlgemerkt der größten Handballnation der Welt, die aber seit 2016 keine Medaille mehr gewonnen hat.
Verehrt von den deutschen Fans
„Ich weiß, dass die Lupe auf uns, auf mich gerichtet ist. Aber ich versuche, mich dem zu entziehen und wenig zu konsumieren. Das ist mir bislang ganz gut gelungen“, sagt Knorr vor dem Viertelfinalkracher am Mittwoch (20.30 Uhr/live im ZDF) gegen Olympiasieger Frankreich in Danzig. Es ist ein großes Spiel. Für Knorr sogar das größte seiner bisherigen Karriere. Und wieder werden alle Augen auf ihn gerichtet sein. Weil klar ist: Nur mit Knorr in herausragender Verfassung besteht eine deutsche Chance. Das Gute: Bislang spielt er herausragend.
Er selbst müsse sich „manchmal kneifen“, was momentan alles passiere. Auf dem Feld. Neben dem Feld. Mit der Mannschaft. Mit ihm. Bei jedem Spiel skandieren die deutschen Fans seinen Namen. Sie verbinden mit ihm die Aussicht auf Erfolg. Auch gegen Frankreich, wenngleich die Deutschen im Viertelfinale gegen eine der besten Mannschaften der Welt spielen.
WM 2021 mit wichtigen Lerneffekten
„Wir sind Außenseiter, aber wir haben einen gewissen Spirit und dann auch eine Chance“, sagt Knorr, der nach der 26:28-Niederlage gegen Norwegen von Müdigkeit sprach. Der Mann von den Rhein-Neckar Löwen muss immer auf dem Feld stehen. Weil es ohne ihn nicht geht. Doch er verspricht: „Am Mittwoch bin ich wieder da. Wir werden um unser Leben spielen.“
Vor zwei Jahren bestritt der Mittelmann bei der WM in Ägypten sein erstes Turnier - in einer Nebenrolle. Und nachdem der gebürtige Flensburger dort die Weltmeisterschaft kennengelernt hat, lernt die WM nun ihn kennen. Als Organisator des deutschen Spiels. Als Dominator im deutschen Spiel. Als derjenige, der passt, wirft, entscheidet. Der den Unterschied ausmacht.
Ein Kopfmensch, der nun einfach macht
Längst schwärmen die Mitspieler, die Konkurrenz staunt sogar. So wie der dänische Weltmeistertrainer Nikolaj Jacobsen: „Juri bringt alles mit. Er ist ein moderner Handballer, hat einen guten Blick fürs Spiel, ein starkes Eins-gegen-eins, ist schnell und torgefährlich.“ DHB-Torwart Andreas Wolff sieht bei Knorrs Entwicklung kein Limit, keine Grenze: „Juri kann einer der Weltbesten werden.“ Momentan ist er das nicht immer - aber immer häufiger.
Praktisch alles, was Knorr auf dem Feld tut, sieht so unglaublich leicht, so unfassbar locker aus. Mit jeder seiner Aktionen verkörpert er seine restlose Hingabe an das Spiel. Der 22-Jährige hat ganz einfach Spaß, ist befreit, spielt Pässe mit der nötigen Schärfe, dem richtigen Tempo, der gebotenen Präzision. Oder er wirft selbst aufs Tor. Weil Mut, Glaube und Überzeugung da sind. Weil er nicht mehr nur weiß, dass er gut spielen kann. Sondern weil er weiß, dass er gut spielen wird. Kopfmensch Knorr überlegt nicht mehr. Sondern macht. Und zwar das Richtige. Man sieht keine Zweifel in seinen Bewegungen.
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Unter Hinze bei den Löwen gereift
„Ich probiere, mir die Freude zu behalten“, erklärt der Rechtshänder sein recht simples Erfolgsrezept: „Wenn ich bei mir bin, dann kann ich der Mannschaft am meisten helfen.“ Bislang ist er in jedem Spiel bei sich und hat deswegen „die Rolle, die ihm zusteht“, wie Kapitän Johannes Golla festhält: „Wir brauchen Juris Qualitäten unbedingt.“
Dass Knorr zu solch einer prägenden Figur im deutschen Spiel werden würde, hatte man ihm immer zugetraut. Erst recht nach seinen brillanten Leistungen bei den Rhein-Neckar Löwen in dieser Saison, wo er seit der Amtsübernahme des neuen Trainer Sebastian Hinze im Juli 2022 im Expresstempo reift. Als Mensch. Als Handballer.
Gislason lobt Knorr als "sehr erwachsen"
Knorr war schon immer ein Spieler, der mit großen Überraschungen große Momente schaffen kann. Nun reizt ihn zwar weiterhin das Risiko, er beherrscht seit einigen Monaten aber auch die Kunst des Machbaren. Der Regisseur weiß: Es geht nicht immer um das Besondere, sondern manchmal auch einfach um das Richtige. Was ihn zu einem Puppenspieler macht.
Denn das Spiel läuft so, wie er es lenkt. „Sehr erwachsen“ agiere der Mittelmann, lobt Bundestrainer Alfred Gislason: „Als wäre er schon über 30 Jahre alt.“
Besondere Führung auf dem Feld
Der Isländer akzeptiert mittlerweile, dass er Knorr machen lassen kann. Machen lassen darf. Machen lassen muss. Was auch explizit bedeutet, dass mal etwas daneben geht. Wer viele Entscheidungen trifft und eine Menge Verantwortung übernimmt, der begeht auch Fehler. Doch die sind eingepreist: Denn ohne Knorrs Prise Genialität wird es nichts mit der angestrebten Rückkehr in die Weltspitze. Es wird schon im Viertelfinale gegen Frankreich Momente geben, in denen diese Mannschaft seine Magie benötigt. Seine Führung durch Leistung.
Knorr selbst sieht sich nicht als „klassischen Kapitän“. Oder zumindest könne er nicht erahnen, „ob ich jemals Kapitän sein werde. Aber ich weiß, dass ich eine Art der Führung auf dem Feld habe.“ Aufgrund seiner Position, seiner Fähigkeiten und seiner Extraklasse.
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