Titus Dittmann gilt als Gründungsvater der deutschen Skateboardszene. Einst wurde er für sein Engagement geächtet, nun wird der 72-Jährige für seine Verdienste geachtet. Im Interview spricht der Münsteraner über die Entwicklung des Skateboardens, das einst verboten werden sollte und nun olympisch ist. Er selbst erhält sogar das Bundesverdienstkreuz, nachdem man ihn vor knapp 45 Jahren noch „aus der Republik verbannen“ wollte.
Herr Dittmann, Skateboarden ist Ihr Leben. Dann kamen Fallschirmspringen, Drachenfliegen und Autorennen als Hobby dazu. Wie wäre es mal mit Golf?
Titus Dittmann: Das habe ich tatsächlich mal probiert. Ich habe sogar die Platzreife. Aber Golf ist etwas für Masochisten. Oder für Menschen, die sich in Demut üben müssen. Man kommt beim Golfen seinem Bewegungsdrang nicht richtig nach. Und wenn man laut „Scheiße“ ruft, wird man vom Platz geworfen. Das war mein größtes Problem. Ich war nicht in der Lage, der Etikette zu entsprechen, weil ich laut kommentiere, was ich da tue (lacht). Mal ganz abgesehen davon: Auf eine Driving Range zu gehen, um drei Tage lang meinen Schwung zu trainieren - das ist nicht so mein Ding. Ich liebe dieses selbstbestimmte Lernen, die Entscheidungsfreiheit, das Chancen nutzen und seinen eigenen Weg gehen. So wie beim Skateboarden.
Titus Dittmann – Lehrer, Unternehmer, Skateboard-Papst und Wohltäter
Titus Dittmann wurde am 8. Dezember 1948 in Kirchen an der Sieg als Eberhard Dittmann geboren. Später ließ er sich Titus als offiziellen Vornamen beim Standesamt eintragen.
Der gebürtige Westerwälder schloss 1977 sein Lehramtsstudium ab. Vom neuen US-Trendsport Skateboarden fasziniert, startete er in Münster als Referendar mit seinen Schülern eine Skateboard-AG. Da in Europa kaum Equipment erhältlich war, flog er regelmäßig nach Kalifornien und besorgte Boards und Zubehör.
1984 beendete Dittmann seine Lehrertätigkeit. Er gründete sein Unternehmen und importierte Skateboards, Rollen, Achsen und Zubehör aus den USA. Sein Shop war einer der ersten in Europa, was ihn zum deutschen Skateboard-Papst machte.
2009 zog er sich aus dem operativen Geschäft zurück und gründete seine Stiftung. Unter deren Dach fördert die Initiative „skate-aid“ nationale und internationale Kinder- und Jugendprojekte, zuletzt auch in Afghanistan.
Für sein gesellschaftliches Engagement erhält Dittmann am Donnerstag von der Bezirksregierung Münster das Bundesverdienstkreuz.
Sein Lebenswerk erschien 2012 als Dokumentation „Brett vor’m Kopp“ auf der Kinoleinwand.
Sie gelten als deutscher Skateboard-Papst. In den 70er Jahren sollte Skateboarden verboten werden. Jetzt erhalten Sie das Bundesverdienstkreuz für Ihre gesellschaftlichen Verdienste und Skateboarden ist eine olympische Sportart. Klingt kurios.
Dittmann: Das ist total abgefahren, oder? Vor knapp 45 Jahren hätte man mich am liebsten aus dieser Republik verbannt. Aber diese Geschichte zeigt uns doch, dass man stets ganz vorsichtig mit dem Zeitgeist umgehen sollte, dass es einen Unterschied zwischen Wahrheit und Wahrnehmung gibt, dass immer alles im Fluss ist und es stets Veränderungen gibt. Ich weiß, das hat der Mensch nicht gerne, alle wollen etwas Festes und bestimmte Entwicklungen aufhalten. Aber das ist ein unerfüllter Wunsch des Menschen. Es wird immer Veränderungen geben.
Fahren Sie selbst noch Skateboard?
Dittmann: Sag mal bitte du zu mir. Sonst werde ich noch wahnsinnig… Also: Ja, auf jeden Fall, ich fahre noch. Die Enkel kamen Sonntag zum Frühstück. Da habe ich mit dem Board vorher die Brötchen geholt. Auf dem Rückweg hatte ich in der einen Hand die Brötchentüte, in der anderen die Welt am Sonntag… Ach ne, das darf ich so nicht sagen. Das ist ja deine Konkurrenz. Okay, ich hatte eine Zeitung in der anderen Hand. Mit meiner Slalomtechnik ging es dann nach Hause. Die Brötchentüte hatte ein gewisses Gewicht, so konnte ich die Trägheit dieser Masse auch noch für den Schwung auf dem Board nutzen (lacht).
Was ist deiner Meinung nach der Kern des Skateboardens?
Dittmann: Skateboarden ist immer noch Selbstbestimmung pur und daher immer noch eine bewegungsorientierte Jugendkultur oder eine ästhetische Gesinnungsgenossenschaft. Aber das heutige Skateboarden ist nicht mehr das, was es vor 40 oder 50 Jahren war. Und in 40 oder 50 Jahren wird es wieder anders sein. Es entwickelt sich in Richtung Sport.
Was es noch nicht ist?
Dittmann: Da muss ich weiter ausholen. Das Skateboarden ist als Ausdrucksmittel, als rollende Unabhängigkeitserklärung einer Jugend auf der Suche nach Eigenständigkeit entstanden. Es ging nicht um den Wettkampf, also darum, jemanden zu besiegen. Die Persönlichkeitsbildung stand im Vordergrund. Und das Ziel war es einfach, sich selbst zu besiegen und besser zu werden. Jetzt ist es olympisch. Und da geht es nun einmal darum, andere zu besiegen. Es geht ums Gewinnen, es wird ein Sport. Das kann ich nicht aufhalten, aber diese Entwicklung ist auch nichts Überraschendes. Ich sehe in der Geschichte des Skateboardens eine Parallele zur Geschichte des Turnens.
Inwiefern?
Dittmann: Das Turnen in Deutschland hatte zu seinen Anfängen auch ganz wenig mit Sport zu tun und war ein Ausdrucksmittel gegen die napoleonische Besetzung. Damals konnte man nicht einfach demonstrieren oder ein paar Scheiben einwerfen, um auf sich aufmerksam zu machen. Aber es gab das Turnen, das extrem viel mit Werten zu tun hatte, es war geradezu revolutionär, rebellisch. Die Obrigkeit hat sich ohne Ende aufgeregt, weil diese Bewegung eine nicht zu kontrollierende Glaubensgemeinschaft war. Und all das gilt auch für die Anfänge des Skateboardens. Doch was ist aus dem Turnen geworden?
Es ist olympisch …
Dittmann: Genau. Turnen ist mittlerweile ein Hochleistungssport. Es hat sich verändert. Die Wettkämpfe sind professionell, die Regeln streng. Es geht um Details, die Laien kaum mehr wahrnehmen können. Das ist irgendwie langweilig. Denn das Turnen entwickelt sich nicht weiter. Aber die Jugend braucht Ausdrucksmittel. Deshalb hat sie das Turnen neu erfunden. Und dafür gibt es Beweise.
Welche?
Dittmann: Es gibt Free-Running, Tricking, Parkour - all das ist auch Turnen. Und da gibt es wieder die Parallele zum Skateboarden. Hier machen Jugendliche Dinge mit ihrem Körper, bei denen alle Erwachsenen nur den Kopf schütteln. Man hört Sätze wie: „Wie kann man nur vom Dach springen? Oder: Das ist doch alles zu gefährlich.“ All das habe ich auch schon beim Skateboarden gehört. Nur wird das nichts ändern. Im Gegenteil: Ich sehe da in der Neuerfindung des Turnens die gesellschaftliche, politische und emotionale Kraft einer neuen jungen Bewegung.
Wohin entwickelt sich das Skateboarden?
Dittmann: Wir Skateboarder sind nicht mehr die Aussätzigen, sondern gesellschaftlich anerkannt. Für meine Stiftung und unsere Initiative „skate-aid“ ist das super, wir genießen gerade eine hohe Aufmerksamkeit. Für das Skateboarden bedeutet das aber auch: Es wird irgendwann keine Besonderheit, sondern absoluter Mainstream, ein Massenphänomen sein. Nicht heute, nicht morgen und auch nicht nächstes Jahr. Ich denke da in größeren Zeiträumen, also eher an 50 oder 100 Jahre. Es wird dauern und sich nicht so rasend schnell verändern. Denn den Kern des Skateboardens, so wie ich ihn verstehe, haben wir auch noch bei den Olympischen Spielen in Tokio gesehen.
Woran machst du das fest?
Dittmann: Die Skateboarder haben in Tokio gezeigt, dass es ihnen nicht nur um höher, schneller, weiter und den Sieg über den Konkurrenten geht, sondern um Gemeinschaft, Gesinnung und Spaß. Sie sind eher gegen sich selbst angetreten. Das war authentisch, denn sie haben es aus Überzeugung für sich gemacht. Das hatte etwas von der ursprünglichen olympischen Idee. Da ging es schließlich auch nicht darum, gegeneinander anzutreten, sondern den Göttern mit einer perfekten Leistung so nah wie möglich zu kommen. Es war also ein Kampf gegen sich selbst mit dem Ansinnen, ein selbst gestecktes Ziel zu erreichen. Und das macht doch immer mehr Spaß, als irgendwelche Fleißkärtchen von anderen zu bekommen. Beim selbstbestimmten Lernen wird aus allem ein Vergnügen, was sonst eine Qual ist. So haben es sich die alten Griechen gedacht. Und so machen es momentan auch noch die Skateboarder.
Missfällt es dir, dass das Skateboarden olympisch ist?
Dittmann: Am Anfang fand ich das scheiße. Die Entwicklung - siehe Turnen - ist allerdings normal, sie lässt sich nicht verhindern, da in der Skateboardszene längst auch reine Sportler unterwegs sind, die sich weniger als Teil einer bewegungsorientierten Jugendkultur sehen. Wenn dann noch so viel Kohle und Kommerz wie beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) im Spiel ist…ja, da wurde mir schnell bewusst, dass ich das nicht verhindern kann. Der kleine Titus gegen das große IOC, das wird nicht funktionieren. Denn mir war klar: Olympia braucht Skateboarden, aber Skateboarden braucht Olympia nicht.
Wie kommst du zu dieser These?
Dittmann: Olympische Spiele sind ein großes Showbusiness und brauchen ständig neue spektakuläre Showacts. Allerdings werden Sportarten langweilig, wenn sie sich in einem engen Regelkorsett bewegen und eine Entwicklung nur noch in Details stattfindet. Aber Skateboarden befindet sich noch in der Entwicklung. Zudem kennt die breite Masse das Skateboarden noch nicht. Was die Jungs da machen, das geht in Richtung Akrobatik und ist eine Attraktion. Egal ob für den Zirkus oder für Olympia. Da sind sensationelle Showtypen am Start.
Bereitet dir die Entwicklung mit Blick auf dein Skateboard-Verständnis Sorgen?
Dittmann: Nein. Das Skateboarden geht nicht kaputt, nur weil es olympisch ist. Ich bin da ganz entspannt: Denn die Jugend wird das Skateboarden irgendwann neu erfinden. So wie beim Turnen. Es wird nur ein paar Jahrzehnte dauern.
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