Als Bill Stewart vor zwei Wochen bei den Adlern zum dritten Mal das Zepter übernahm, ließ ein Satz tief blicken. „Bei einem fragilen Team ist es wichtig, was man sagt – und wie man es sagt.“ Der Feuerwehrmann traf mit seinem Trainerteam in Mannheim auf eine völlig verunsicherte Mannschaft. Erstes Ziel war es, die mentale Blockade zu lösen und den Spielern wieder Spaß am Eishockey zu vermitteln. Daran wird gearbeitet – doch damit allein lässt sich in den Play-offs kein Blumentopf gewinnen.
Um sich – wie vor einem Jahr – im Viertelfinale gegen Straubing durchzusetzen, muss Stewart einige wichtige Fragen richtig beantworten: Welchen überzähligen Ausländer lasse ich sitzen? Auf welchen Torhüter setze ich? Mit welchen Anpassungen unterstütze ich die Stürmer, damit sie ihre Kreativität in der Offensive entfalten können? Wie stelle ich die Konteranfälligkeit ab?
Der Italo-Kanadier muss zeigen, dass er mehr ist als der Gute-Laune-Onkel. Als solcher wird Stewart von einigen gesehen, die ihm fälschlicherweise das Fachwissen absprechen. Zugute kommt dem 64-Jährigen, dass er nur sich selbst gegenüber Rechenschaft ablegen muss: Scheitert sein Plan, wird ihm das niemand großartig übel nehmen. Ist Stewarts Arbeit von Erfolg gekrönt, baut sich der Mannheimer Meistertrainer von 2001 endgültig selbst ein Denkmal.
Keine Charakterfrage
Die Mannschaft steht in der Pflicht. Wer ihr vorwirft, Trainer Pavel Gross gestürzt zu haben, verkennt aber die Tatsache, dass sich bereits lange vor der Entlassung im März ausreichend Chancen dazu geboten hatten. Nach dem öffentlich gewordenen Zerwürfnis zwischen Clubführung und Coach Ende Dezember verspielten die Adler in Bietigheim eine hohe Führung – nur, um drei Tage später in Köln mit 5:1 zu gewinnen. Zeugt das etwa von Charakterlosigkeit?
Zum Play-off-Auftakt wartet mit Straubing ein Team, das einen Lauf hat, sich für das Aus vor einem Jahr revanchieren will und den konteranfälligen Mannheimern gefährlich werden kann. Sollten die Adler diese Bewährungsprobe überstehen, würde im Halbfinale aller Wahrscheinlichkeit nach entweder der Titelverteidiger (Berlin) oder die zweite Mannschaft der Stunde (München) warten. Beide Clubs sind das, was die Mannheimer erst wieder werden müssen: Einheiten, die ihre Klasse zeigen.
Noch wichtiger als erfolgreiche Play-offs ist die Trainersuche. Die Adler befinden sich vor einem Neustart auf gleich zwei Ebenen. Es ist zwar nicht optimal, dass dem neuen Coach eine Mannschaft vorgesetzt wird, auf deren Zusammenstellung er kaum Einfluss hat. In Nordamerika ist es aber zum Beispiel gang und gäbe, dass ein General Manager ein Team zusammenbaut, mit dem der Trainer dann arbeiten muss.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Neustart auf zwei Ebenen
Christian Rotter zu den Play-off-Chancen der Adler Mannheim