Paris. Werden die Olympischen Spiele in diesem Sommer in Paris gemäß dem Versprechen inklusiv und universell - oder schließen deren Organisatoren absichtlich Menschen aus, um Notleidende aus der Stadt und damit dem Blickfeld der Millionen Besucher zu drängen? Zweiteres befürchtet ein Zusammenschluss von mehr als 80 Hilfsvereinen unter anderem für Obdachlose und Geflüchtete.
„Vor Ort stellen wir sehr besorgniserregende Folgen der Vorbereitung der Spiele fest“, warnt der Zusammenschluss „Le Revers de la Medaille“ - übersetzt: die Kehrseite der Medaille. Räumungen besetzter Häuser und die Umsiedlung von Obdachlosen oder Geflüchteten aus der Hauptstadtregion in andere Gegenden Frankreichs hätten zum Ziel, diese Menschen „im öffentlichen Raum unsichtbar zu machen“, so Paul Alauzy, Sprecher des Zusammenschlusses.
Den Vorwurf der „sozialen Säuberung“ im Zusammenhang mit Olympia gab es in der Vergangenheit auch schon in anderen, meist autokratisch regierten Ländern - unter anderem in China. Die Pariser Polizeipräfektur weist die Anschuldigungen zurück und argumentiert, Evakuierungsaktionen in besetzten Häusern oder die Auflösung von Geflüchtetencamps gebe es zu jeder Zeit.
Braucht die Stadt den Wohnraum für Feuerwehr und Polizei?
Demgegenüber verzeichnet die „Beobachtungsstelle von Zwangsräumungen informeller Lebensräume“ eine Zunahme: So habe es von April 2023 bis März 2024 insgesamt 33 Aktionen gegeben, während es im gleichen Zeitraum ein Jahr zuvor lediglich 19 gewesen sein sollen. „Man reißt Menschen aus ihrem Lebensmittelpunkt“, kritisierte Alauzy.
Während die Behörden versicherten, es würden individuell Alternativen gefunden, beklagte Alauzy, es handle sich nur um Übergangslösungen. Etliche der Betroffenen würden arbeiten, die Kinder in die Schule gehen, manche hätten laufende Anträge auf eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Wohnung. Würden sie in andere Regionen gebracht, müssten sie von vorne anfangen.
Der Nachhaltigkeitsgedanke ist diesmal allgegenwärtig
Hinzu kommt der Verdacht, Hotelzimmer, in denen in Frankreich oft Obdachlose und Flüchtlinge untergebracht werden, würden während der Spiele für Feuerwehrleute, Polizisten und Gesundheitspersonal benötigt. Auch Studenten müssen deshalb Zimmer in staatlichen Wohnheimen übergangsweise verlassen. Als Entschädigung bekommen sie jeweils 100 Euro und zwei Eintrittskarten für Olympische Wettbewerbe. „Die Studenten werden stolz sein, ihre Unterkünfte während zwei kurzen Sommermonaten zu verleihen“, versicherte Sportministerin Amélie Oudéa-Castéra. Nicht alle Betroffenen sehen dies so.
Für Éric Monnin, Direktor des Studienzentrums für universitäre Forschung zu Olympia, ist das Bemühen eines Ausrichterlandes um ein glanzvolles Image nichts Neues. Doch er stellte in diesem Jahr einen Wandel zum Positiven fest. „Erstmals spricht man nicht mehr von einem materiellen Erbe - zum Beispiel in Form von Autobahnen oder Häfen - sondern von einem sozialen Erbe von Olympia, das der Gesellschaft dienen soll.“ Der Nachhaltigkeitsgedanke sei etwa allgegenwärtig.
Eine Verdrängung von Bedürftigen aus Paris leugnet er nicht. Aber: „Nicht die Spiele verlangen dies, sondern die Politiker, die sie oft als Vorwand benutzen, um bestimmte Pläne durchzusetzen.“
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