Mannheim. Joel, die Saison neigt sich mit dem Spiel beim VfL Gummersbach am Sonntag um 15 Uhr dem Ende entgegen. Überwiegt bei Ihnen nach zweieinhalb Jahren bei den Löwen die Wehmut oder die Vorfreude auf etwas Neues bei der TSV Hannover-Burgdorf?
Joel Birlehm: Die Gefühle sind gemischt. Ich habe keinen Hehl daraus gemacht, dass ich gerne hiergeblieben wäre. Meine Familie und ich fühlen uns in der Rhein-Neckar-Region extrem wohl. Wir haben viele Kontakte außerhalb des Handballs geknüpft. Und ich stehe jeden Tag sehr gerne mit meinen Mitspielern in der Halle. Das alles aufzugeben ist schade und es tut auch weh.
Aber?
Birlehm: Ich werde in Hannover mit einem besten Freund und früheren WG-Mitbewohner (Marian Michalczik: Anm. der Redaktion) zusammen in der Bundesliga spielen. Wir kennen uns aus der Jugend bei GWD Minden. Bis zu mir nach Hause ist es außerdem von Hannover aus nur eine Stunde mit dem Auto. Diese weichen Faktoren sind schon schön. Und was den Sport angeht: Hannover-Burgdorf ist ein ambitioniertes Projekt, dem ich helfen will, damit es vielleicht noch einen Schritt weiter nach oben geht.
Joel Birlehm
- Joel Birlehm wurde am 25. April 1997 im ostwestfälischen Herford geboren.
- In der Jugend spielte der Handball-Torwart für die JH Bad Salzuflen und ab 2010 für GWD Minden.
- Stationen als Profi: GWD Minden (2015 - 2017), TuS N-Lübecke (2017 - 2019), SC DHfK Leipzig (2019 - 2022), Rhein-Neckar Löwen (Januar 2022 - Juni 2024), TSV Hannover-Burgdorf (ab Juni 2024).
- Mit den Löwen gewann der Schlussmann 2023 den DHB-Pokal. Im Siebenmeterwerfen im Finale gegen den SC Magdeburg sorgte er mit seiner Parade für die Sensation.
- Birlehm bestritt bislang 17 Länderspiele für die deutsche Nationalmannschaft und nahm an der WM 2023 teil.
Was bedeuten Ihnen die Löwen?
Birlehm: In meiner Kindheit und Jugendzeit war das mein Traumclub. Ich wollte immer nur zu den Löwen. Als ich vor etwa drei Jahren gehört habe, dass die Löwen vielleicht über mich nachdenken, war mir sofort klar, dass ich das sehr, sehr gerne machen würde. Mikael Appelgren, Uwe Gensheimer, Patrick Groetzki, Andy Schmid – das waren die Helden meiner Kindheit. Ich war 2016 in Lübbecke in der Halle, als diese Jungs die erste Meisterschaft gewannen. Damals waren die Löwen immer top, top, top.
Was sie aber seit einiger Zeit nicht mehr sind.
Birlehm: Als ich im Januar 2022 gekommen bin, standen die Löwen auf Platz acht oder neun. Das war mir aber egal. Denn dieser Verein war etwas Besonderes für mich und wird es auch immer sein. Damals habe ich die Chance gesehen, von Mikael Appelgren zu lernen. Er gehörte in seinen Hoch-Zeiten meiner Meinung nach zu den drei besten Torhütern der Welt. Von ihm wollte ich profitieren, anschließend meine eigenen Fußstapfen hinterlassen und eine Ära prägen. Ich bin ganz klar mit der Ambition gekommen, mit den Löwen etwas aufzubauen und in der Champions League zu spielen. Wenn ich damals neben den Löwen noch die Wahl zwischen Berlin und Flensburg gehabt hätte, wäre ich trotzdem nach Mannheim gegangen.
Dieser Verein war etwas Besonderes für mich und wird es auch immer sein.
Plötzlich kam alles anders, weil sich mit David Späth ein junger Torwart deutlich schneller als erwartet in Richtung Spitzenklasse entwickelt hat. Appelgren, Späth und Sie. Viele haben sich vor der Saison gefragt, ob das irgendwann für Ärger sorgt. Hat es aber nicht, oder?
Birlehm: Wir sind selbst verwundert, dass es so gut funktioniert hat. Gerade in der Hinserie hatte man das Gefühl, dass unser Trainer Sebastian Hinze würfeln kann. Jeder hat seine Leistung gebracht und solch eine Trainingsqualität auf der Torwartposition wie in dieser Saison habe ich noch nie erlebt. Aber die Gesamtsituation und die Konstellation mit drei Toptorhütern war natürlich trotzdem sehr anstrengend und belastend.
Inwiefern?
Birlehm: In einigen Momenten hatte man Angst, Fehler zu begehen, Angst, ein schlechtes Spiel zu machen, Angst, schlecht zu trainieren. Weil man immer wusste, dass es da noch zwei andere Toptorhüter gibt und man sich sorgen musste, plötzlich außen vor zu sein. Das war mental sehr aufreibend, auch weil wir alle in der Hinrunde keinen Plan hatten, wie das weitergehen soll. Diese Zeit hat sich angefühlt wie ein Bewerbungsverfahren, in dem man sich zeigen muss. Das war wie ein ganz langes Probetraining, in dem sich alle megagroßen Druck machten. David, Mikael und ich sind uns einig, dass solch eine Dreier-Konstellation zu sehr an die Nerven geht und zu einer Situation führt, die keiner lange aushält. Deswegen war es gut, dass Ende 2023 Klarheit geschaffen wurde, wie es weitergeht.
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An welche Erlebnisse aus Ihrer Löwen-Zeit werden Sie sich immer erinnern?
Birlehm: Der Pokalsieg war natürlich schon sehr besonders. Aber ich werde auch nicht unser Heimspiel gegen den Bergischen HC kurz nach meinem Wechsel vergessen. Da war nämlich meine Tochter erstmals in der Halle.
Wird sie ihren Papa auch noch einmal im Nationaltrikot sehen? Das muss doch Ihr Ziel sein, nachdem Sie 2023 bei der WM dabei waren.
Birlehm: Ehrlicherweise steht die Nationalmannschaft für mich gerade weniger im Fokus, weil ich vielleicht auch ein wenig aus dem Fokus geraten bin. So ehrlich muss sich sein. Natürlich ist die Nationalmannschaft immer ein Ziel, aber es wird nicht einfach, dort wieder hinzukommen. Möglicherweise erhalte ich in Hannover aber künftig mehr Spielzeit. Das könnte mir vielleicht helfen.
Was trauen Sie Ihrem Noch-Arbeitgeber in der näheren Zukunft zu?
Birlehm: Die Löwen stehen vor wegweisenden Jahren. Die Konkurrenz wird immer größer. Klar ist aber auch: Ein Verein mit dieser Fanbasis und dieser Infrastruktur muss immer international spielen. Wie schnell es nach oben gehen kann, sehen wir am Beispiel Gummersbach ganz gut. Der Club hat sich rasend schnell entwickelt, kaum oder keine Fehler gemacht. Wenn die Löwen richtig planen und ihre Hausaufgaben erledigen, wird hier Erfolg sein. Denn die Grundvoraussetzungen stimmen.
Wie genau kennen Sie Ihren neuen Club?
Birlehm: Vor meiner Entscheidung (im Dezember, Anmerkung der Redaktion) habe ich jedes Spiel der Hannoveraner in dieser Saison mindestens einmal angeschaut. Ich habe mich auch mit der Struktur des Vereins auseinandergesetzt und bin der Meinung, dass sich Hannover in den vergangenen Jahren gewissenhaft und Schritt für Schritt nach oben entwickelt hat. In diesem Verein wurde zuletzt sehr viel richtig gemacht.
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