Aus der Kabine der Rhein-Neckar Löwen dröhnte die Musik. Und zwar so laut, dass man die Bässe vermutlich sogar in den letzten Winkeln der schmucken Arena Joao Rocha von Sporting Lissabon hörte. Vielleicht sogar hinunter bis zum Fluss Tejo, der durch die portugiesische Hauptstadt fließt.
Doch das wird den Mannheimern an diesem denkwürdigen Abend herzlich egal gewesen sein. Sie hatten in dieser Saison schließlich selten Grund zu feiern. Diesmal aber schon. Nämlich den Einzug ins Final Four der European Legaue. Und zwar trotz einer 28:29-Niederlage im Viertefinalrückspiel. Der Vorsprung aus dem 32:29-Hinspielerfolg reichte - und sorgte für große Glücksgefühle. Für Gänsehaut. Für Freude nach all dem Frust.
„Das ist ein riesiger Erfolg, ein Meilenstein“, jubelte der mit 15 Paraden wieder einmal überragende Torwart David Späth, der von der Dramatik dieses epischen Duells auch eine Viertelstunde nach dem Schlusspfiff komplett mitgenommen wirkte: „Was für ein Spiel, was für eine Atmosphäre in dieser Halle! Wer nicht hier war, der kann das nicht verstehen.“ Keine Frage: Das Adrenalin, es wich nur ganz langsam aus seinem Körper. Wie bei allen anderen auch. „Das ist brutal! Ich habe das noch nicht realisiert“, gab Gustav Davidsson zu.
Die Retter kommen von der Reservebank
Philipp Ahouansou lief tanzend durch den Flur der Arena, legte auf einem kleinen Futsal-Feld gegenüber der Kabine eine akrobatische Einlage hin - was ein wenig nach Breakdance und bei ihm trotz seiner Körpergröße von 2,03 Metern recht geschmeidig aussah. Vielleicht sollte es auch nur eine besonders ausgefallene Dehnübung sein. Man weiß es nicht. Wesentlich wichtiger war ohnehin das, was er kurz zuvor gezeigt hatte - und das war weder filigran noch grazil. Dafür aber ungemein wichtig. Und es sah nach Gewalt, nach Kraft und Entschlossenheit aus. Nach Handball mit der Brechstange. Doch in diesem Moment war genau das nicht nur angebracht, sondern zwingend erforderlich. Es ging um Athletik statt Ästhetik.
Mehr als 50 Minuten hatten sich die Löwen vor 2407 Zuschauen im grün-weißen Hexenkessel von Lissabon gegen die extrem offensive, wahrlich unorthodoxe aber auch wahnsinnig effektive Deckung der Portugiesen aufgerieben. Immer und immer wieder störte Sporting den Spielfluss des Bundesligisten, immer und immer wieder verloren die Mannheimer den Ball. Lissabon ging den Löwen mal so richtig auf die Nerven, bis Trainer Sebastian Hinze den wurfgewaltigen Ahouansou aufs Feld schickte. Der 22-Jährige erzielte sofort zwei Treffer zum 25:27 (55.) und 26:28 (57.) und erhöhte den Druck auf Sporting, das zwischenzeitlich immer wieder mit vier Treffern geführt hatte.
Dramatik in den letzten Minuten
„Der Trainer hat zu mir gesagt, ich solle einfach mein Ding machen, mir die Würfe nehmen, ins Eins-gegen-eins gehen. Alle haben mir das Gefühl gegeben, dass sie mir vertrauen“, sagte Ahouansou, hinter dem schwierige Monate liegen. Erst fehlte er lange verletzt, dann fand der Rechtshänder in diesem Jahr nicht zu seiner Form, und schließlich folgte der Wirbel um seinen Wechsel zur HSG Wetzlar im Sommer.
Doch all das spielte plötzlich keine Rolle mehr. „Es ist unglaublich, was hier passiert ist, wie wir uns hier durchgekämpft haben. Die Freude ist überwältigend“, sagte der völlig gelöste Rückraummann und erhielt eine Menge Lob.
Späth, Reichmann - und ein paar weitere Helden der Rhein-Neckar Löwen
„Er ist zum richtigen Zeitpunkt aufgeblüht“, freute sich Späth, der fraglos der große Matchwinner war. Sekunden vor dem Abpfiff verhinderte er mit seiner letzten Parade das Siebenmeterwerfen, der siebenfache und wieder einmal beste Löwen-Torschütze Tobias Reichmann traf anschließend noch mit einem Wurf über das ganze Feld ins leere Sporting-Tor.
Es folgte die Explosion der Emotionen, die Mannheimer fielen wie kleine Kinder übereinander her. Der Druck, die Anspannung - alles war auf einmal weg. Dank Späth. Dank Reichmann. Doch es gab auch noch ein paar kleinere Helden. Es waren die Retter von der Reservebank, zu denen Ahouansou gehörte. Aber auch zwei andere: Davidsson und Steven Plucnar.
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Letzterer musste in der zweiten Halbzeit im Innenblock ran, nachdem sich Ymir Gislason früh zwei Zeitstrafen abgeholt hatte. Und Plucnar erledigte seine Aufgabe mit einer Ruhe und Souveränität, als koche er sich gerade einen Kaffee. Nichts deutete auf Unsicherheit hin, was nur allzu verständlich gewesen wäre. Denn auch ihm blieb zuletzt fast ausschließlich die Zuschauerrolle. Doch als er gebraucht wurde, war auf ihn Verlass. „Er hat einen starken Job gemacht“, sagte Hinze, dem die willensstarke, leidenschaftliche Leistung des Kreisläufers gefallen hatte. Verbunden mit großer Opferbereitschaft.
Auslosung fürs Final Four am Freitag
Davidsson wiederum stand erstmals nach seiner Handverletzung wieder im Kader und erhielt eine Menge Einsatzzeit, weil dem erkrankten Juri Knorr schnell die Kräfte schwanden. „Es war vermutlich nicht geplant, dass ich so viel spiele. Aber das ist ja nichts Neues für mich. Zu Saisonbeginn sollte ich mich auch langsam an die Liga gewöhnen und musste dann ran, weil sich Halil Jaganjac verletzt hatte“, sagte Davidsson, der sich im Februar einen Handbruch zugezogen hatte - und plötzlich im bislang wichtigsten Saisonspiel in der Verantwortung stand, weil der wichtigste Spieler ausfiel. Knorr scherzte hinterher mit kratziger Stimme: „Gustav hat sich ja lange genug Zeit mit seinem Comeback gelassen.“
Aber er kam zur richtigen Zeit zurück. „Es war schwierig. Wir konnten nicht in jedem Angriff spielen, was wir wollten. Diese Deckung von Sporting ist so unangenehm“, sagte Gustavsson und blies vor Erleichterung die Backen auf.
Final Four am 25. und 26. Mai in Hamburg mit zweit weiteren Bundesligisten
In der Tat war das, was die Löwen da in Lissabon vortrugen, weder von chirurgischer Präzision noch von beeindruckender Perfektion geprägt. Aber nach 60 Minuten des Hoffens, des Hinfallens, des Frusts und der Freude reichte es dann doch noch. Der Handball ist eben ein Auf und Ab, ein permanenter Ausschlag von Emotionen.
Am 25. und 26. Mai spielen die Löwen nun beim Final Four in Hamburg um den Titel in der European League. Die Halbfinalauslosung findet am Freitag statt. Mit der SG Flensburg-Handewitt und den Füchsen Berlin sind zwei Bundesliga-Spitzenclubs noch dabei. Der rumänische Topverein Dinamo Bukarest komplettiert das Teilnehmerfeld und ist wie die Löwen nur Außenseiter. Doch diese Rolle nahmen die Mannheimer schon vor einem Jahr ein, als sie sensationell mit dem DHB-Pokal nach Hause kamen.
Daran erinnerte sich auch Späth sofort: „Wir wissen doch aus eigener Erfahrung: Bei einem Final Four kann alles passieren.“
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Dieser Erfolg kann die Saison der Rhein-Neckar Löwen nur aufhübschen