Hockenheim. Weil sie bei Reifenkontakt mit ihren Kommandolichtern flackert wie eine bunte Girlande, nennen die Dragheads, wie sich die Fangemeinde an Motorsportverrückten selbst nennt, die Ampel auf der Viertelmeile gerne den Christmas Tree – den Weihnachtsbaum. Am ersten Tag dieser imposanten Kostprobe zwischen Wille und Wirklichkeit des großmotorisierten Rennsports könnte dieser Begriff ironischer kaum daherkommen.
Denn die Bedingungen auf dem Hockenheimring können unweihnachtlicher kaum sein, und das in fast jeder denkbaren Hinsicht. Bei alledem geht es nicht nur um die schier unerträgliche Hitze, die unerbittlich auf die Rico Anthes Quartermile in Hockenheim herunterbrennt – diese ganzen ersten Stunden der NitrOlympX auf dem Ring sind ein einziger motorisierter Kampf der Extreme. Oder um im Bild zu bleiben: Selbst für die Vollprofis dieser Szene gibt es, hier auf der Traditionsstrecke des Südwestens, keine Geschenke. Nichts ist umsonst.
Die Herausforderung nimmt schon bei der Luftfeuchtigkeit seinen Anfang. Da mögen die bis in die letzten Dimensionen getunten Gefährte noch so brillant abgestimmt sein: Was zwischen Nitromethan und Lachgas direkt nach dem Anlassen in oft mehr als 1000 PS starke Aggregate gespritzt wird, um in Normalfall für Bestleistungen am Rande des Drehzahlbegrenzers zu sorgen, gerät bei diesen Witterungsbedingungen erkennbar ans Limit. Selbst Branchenlegenden wie die Johnny Lagg, die Erbachers oder Gerd Habermann bleiben deutlich unter ihren Möglichkeiten. Nicht immer ist der Preis für die gesetzten Erwartungen allein die Enttäuschung über Zeiten unter dem Wunsch des Möglichen. Für das Team von Fahrer wie Silvio Strauch vom Engine Ghost Racing Team etwa, dem ein Kupplungsschaden den ganzen Motor hochjagt, bedeuten die Bedingungen eine Nachtschicht im Boxenlager. Ohne Gewissheit, dass das reicht. Ohne Sicherheit, dass es der kommende Tag zum Besseren hin richten wird. Strauch ist einer von dutzenden Fahrern, die in diesen ersten Stunden der Dragster-Olympiade schlingern oder scheitern.
Nun ist es freilich kein Geheimnis, dass lautstarke Veranstaltungen wie die NitrOlympX eine Straßenschlacht größter denkbarer Dimensionen ist. Motorräder und klassische Boliden, Supersportwagen und Dragster treffen vor faszinierten Rängen zum ultimativen Duell gegeneinander an. Und schon zu diesem Zeitpunkt ist klar: Auch dieses Wochenende wird für dutzende von Teams wieder zur Materialschlacht werden. Weil Dichtungen und Pleuel ausgetauscht, Kolben und Getriebe geprüft, Reifen und Überrollbügel jedes Mal von Neuem kalibriert werden müssen. Geschieht das – bereits unter normalen Bedingungen – nicht, können Leben auf dem Spiel stehen. Das wissen Teams und Fahrer gleichermaßen. Und stellen genau deswegen sensibel ihre Sensoren, wenn Hitze und Regen sich zu einer schwülen Schwere vereinen, die Spitzensport schwierig bis brandgefährlich werden lässt.
Ein Stück weit ist es ja auch diese Faszination, die am Premierentag die Tribünen in dieser Selbstverständlichkeit füllt. Denn wer auf der Strecke etwas wagt, gewinnt auf den Rängen freilich auch sein Publikum. Doch selten konnte man schon vor den Entscheidungsläufen mit der großen Relevanz für Punktestände und Meisterschaften deutlicher sagen, dass Hochleistungsmotorsport wie dieser nicht nur ein Kampf der Extreme gegen die Kontrahenten und für persönliche Bestzeiten ist – er ist vielmehr eine Herausforderung der (Natur-)Gewalten, dem man oft nur mit offenem Mund begegnen kann: Bei den Tire Shakes und Motorplatzern, weil der Respekt plötzlich Sorge treibt, zu den Ausnahmeerfolgen, weil der Trotz über die Rahmenbedingungen gesiegt hat. So oder so: Tief eindrucksvoll ist das allemal. mer
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