Stuttgart. Von wem auch sonst sollte diese Vorlage kommen? Als Ilkay Gündogan in der 67. Minute aus elf Metern flach zum erlösenden 2:0 gegen Ungarn einschoss, stürzten sich etliche Mitspieler auf den Passgeber. Maximilian Mittelstädt, der VfB-Verteidiger, der in „seinem“ Stuttgarter Stadion einen entscheidenden Beitrag zur Entscheidung leistete. Jamal Musialas 1:0 (23.) hatte den hart erkämpften Arbeitssieg gegen unangenehme Ungarn eingeleitet, mit dem die DFB-Elf vorzeitig ins Achtelfinale der Heim-Europameisterschaft einzog. Ob es auch der Gruppensieg wird, entscheidet sich in der letzten Vorrundenpartie am Sonntag (21 Uhr) gegen die Schweiz in Frankfurt.
Gegen die Ungarn musste die deutsche Auswahl aber erstmals bei diesem Turnier erbitterte Gegenwehr überwinden – und war mehrfach auf starke Paraden von Torhüter Manuel Neuer angewiesen. „Natürlich geht es immer besser. Wir hatten einige schwierige Situationen zu überstehen, in denen Manu aber super hält. Aber das ist das Turnier. Es geht darum, solche Situationen zu überstehen und dann vorne eiskalt zu zuschlagen. Das ist uns gut gelungen“, sagte Gündogan am Mikrofon der ARD.
Wer geplant hatte, zum Deutschland-Spiel mit dem Auto in die Nähe der Stuttgarter Arena zu fahren, dürfte sich für diese Entscheidung verflucht haben. Weiträumige Straßensperrungen und außerdem der Stadionbesuch von Bundeskanzler Olaf Scholz sowie Ungarns Staatschef Viktor Orban brachten den Verkehr in der baden-württembergischen Landeshauptstadt weitgehend zum Erliegen. Da war viel Geduld gefragt.
Genau auf die Bedeutung dieser Eigenschaft stellte Bundestrainer Nagelsmann auch seine Spieler ein. „Der Gegner wird uns gerade in der Anfangsphase körperlich mehr fordern als die Schotten. Wirmüssen dagegenhalten“, sagte der DFB-Coach und forderte: „Der Sieg gegen Schottland ist nur etwas wert, wenn wir heute nachlegen. Es geht darum, alles reinzuwerfen.“
Das schwierige zweite Gruppenspiel, das die DFB-Elf in den vergangenen 15 Turnieren nur dreimal gewinnen konnte, entwickelte sich nach dem lockerleichten 5:1-Fußball-Fest gegen Schottland zum ersten echten Belastungstest für die deutsche Auswahl. Die Ungarn zeigten verglichen mit ihrer laschen Leistung beim 1:3 gegen die Schweiz eine ganz andere Intensität – sie kämpften spürbar gegen das frühe Scheitern bei dieser EM an.
Schon in der Anfangsphase hatte die deutsche Defensive eine brenzlige Situationen zu überstehen, es gab einige Zuordnungsprobleme. Wobei Kai Havertz die erste richtige Chance besaß, als er den gebürtigen Lauterer Willi Orban im Zweikampf abkochte, dann aber an einem Reflex von Torwart Peter Gulacsi scheiterte (11.).
Schrittweise übernahm die DFB-Elf die Spielkontrolle – und ging in Führung. Mit einem kuriosen Tor. Ilkay Gündogan setzte seinen Körper gegen Orban am Rande der Legalität ein, der Leipziger geriet ins Stolpern. Der deutsche Kapitän reagierte gedankenschnell, schnappte sich den Ball am Fünfmeterraum und spitzelte ihn auf Musiala, der in seiner Geburtsstadt Stuttgart zum 1:0 einschoss (23.). Die Ungarn protestierten, das Tor war aber regelkonform. „Perfekt vom Schiedsrichter gesehen, das ist sportlicher Einsatz“, sagte Schiedsrichter-Expertin Bibiana Steinhaus in der ARD.
Neuer zieht mit EM-Rekordhalter Buffon gleich
Dieses Tor bedeutete aber nicht, dass die Partie jetzt vollends in die Richtung von Team Nagelsmann kippte. Die Ungarn blieben punktuell sehr gefährlich und kamen zu ihren Möglichkeiten – primär über Standardsituationen. Der Vizeweltmeister von 1954 traf aber auf einen deutschen Torhüter Manuel Neuer, der mit seinem 17. EM-Spiel zum bisherigen Rekordhalter Gianluigi Buffon aufschloss – und sich an diesem Abend in Weltklasseform präsentierte. Wie bei der brillanten Entschärfung von Dominik Szoboszlais perfekt getretenem 22-Meter-Freistoß (26.). Und als die Ungarn in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit über den vermeintlichen Ausgleich jubelten, entschied Schiedsrichter Danny Makkelie zurecht auf Abseits.
Bastian Schweinsteiger zeigte sich als ARD-Experte in der Pause nicht komplett zufrieden mit der deutschen Leistung. „Die Ungarn kommen zu zu vielen Chancen. Es könnte auch 1:1 oder 1:2 stehen“, sagte der Weltmeister von 2014.
Schnell zogen sich die Ungarn auch im zweiten Abschnitt weit an den eigenen Strafraum zurück, die DFB-Auswahl sah sich mit einem tief stehenden Abwehrbollwerk konfrontiert. Das hatte teilweise etwas von einem Handball-Spiel, aber im gegnerischen Strafraum fehlte regelmäßig der letzte Pass und die Präzision. Kroos kam zumindest mal aus dem Rückraum zum Abschluss (53.).
Nach einer knappen Stunde kamen Leroy Sané und Niclas Füllkrug auf den Platz, die für mehr Durchschlagskraft im Angriff sorgen sollten. Beinahe hätte stattdessen allerdings Barnabas Varga mit einem Kopfball knapp über das Tor den Ausgleich erzielt (60.). Erst das starke Zusammenspiel zwischen Mittelstädt und Torschütze Gündogan beendete das große Zittern (67.). Mit diesem sicheren Vorsprung im Rücken konnte es sich Nagelsmann auch noch erlauben, mit den Einwechslungen der weiteren VfB-Helden Chris Führich und Deniz Undav ein wenig die schwäbische Fußball-Seele zu streicheln.
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