Frau Mihambo, wie wichtig ist für Sie sportlicher Erfolg, um glücklich zu sein?
Malaika Mihambo: Für mich ist das persönliche Glück immer das Wichtigste. Und das finde ich eben nicht ausschließlich im Sport, sondern auch dann, wenn ich verletzt oder nicht ganz so erfolgreich bin. Das hat mir das vergangene Jahr auch wieder gezeigt (Mihambo musste ihre WM-Teilnahme verletzungsbedingt absagen: Anmerkung der Redaktion). Natürlich bereitet mir Sport sehr viel Spaß und es macht mir sehr viel Freude, wenn ich mich verbessere. Aber es gibt so viele andere schöne Dinge im Leben. Mein Glück ist deshalb vom sportlichen Erfolg unabhängig.
Gehört diese Lockerheit zu Ihrem Erfolgsgeheimnis?
Mihambo: Ich bin davon überzeugt, dass mich diese Herangehensweise auf jeden Fall weniger unter Druck setzt und mir hilft, sich im Wettkampf auf das zu konzentrieren, worauf es eigentlich ankommt. Ich spüre in diesen Momenten keine Versagensängste, sondern fokussiere mich auf mich selbst und meine Leistung. Diese Freiheit setzt Kräfte frei.
Springen Sie nur noch für sich selbst? Beweisen müssen Sie schließlich niemandem mehr etwas.
Mihambo: Ich springe einerseits für mich selbst – aber immer auch noch für andere, weil ich finde, dass der Sport eine soziale Kraft hat, die viele Menschen zusammenbringt. Dazu kann ich etwas beitragen, wenn ich springe. Leistungs- und Profisportler zu sein bedeutet, ein Vorbild zu sein. Gerade auch für Kinder. Ich möchte den Menschen auf diese Weise etwas zurückgeben.
Der äußere Druck kann und darf Ihnen wahrlich egal sein. Wie viel Druck machen Sie sich selbst noch?
Mihambo: Nicht so viel. Ich habe selbst erlebt, dass es mir passieren kann, einen Titel nicht zu verteidigen. Zum Beispiel, weil ich nicht antreten konnte. Oder weil ich körperlich geschwächt war wie bei den European Championships 2022. Damit kann ich sehr gut umgehen und das akzeptiere ich, das gehört zum Sport. Trotzdem steckt tief in mir immer der Wunsch, möglichst viele Dinge richtig zu machen. Aber das ist für mich kein Druck, den ich mir selbst auferlege.
Welche Bedeutung hat eine EM in einem Olympiajahr?
Mihambo: Das Teilnehmerfeld einer EM ist in der Regel natürlich nicht so hochkarätig besetzt wie bei Olympischen Spielen. Trotzdem ist die EM für uns Europäer ein wichtiger Wettkampf. Er ist eine Standortbestimmung und eine Generalprobe für Paris, aber eben auch ein Saison-Höhepunkt, den ich sehr motiviert angehe.
Reisen Sie in diesem Jahr vielleicht sogar ein bisschen als Außenseiterin nach Paris?
Mihambo: Außenseiterin? Hm…das weiß ich gar nicht. Ich ordne mich selten ein. Ich glaube aber nicht, dass ich automatisch eine Außenseiterin bin, nur weil ich 2023 verletzungsbedingt die Saison abbrechen musste. Die Olympischen Spiele 2021 haben gezeigt: Alles, was davor war, ist vollkommen egal und nicht aussagekräftig. Es kommt auf diesen einen Wettkampf, auf diesen einen Moment – es kommt auf den Tag X an.
Werden Sie in Paris zum letzten Mal bei Olympischen Spielen starten?
Mihambo: Das weiß ich jetzt noch nicht. Ich bin mir aber sicher, dass ich spätestens in vier Jahren in Los Angeles zum letzten Mal bei Olympischen Spielen starten werde.
Die Olympischen Sommer- und Winterspiele werden nacheinander in Paris, Mailand, Los Angeles, Brisbane ausgetragen. Es sieht danach aus, dass weitere Winterspiele nach Frankreich und in die Schweiz gehen, auch Salt Lake City hat gute Chancen. Das klingt anders als umstrittene Gastgeber wie Peking oder Sotschi.
Mihambo: Ich freue mich und finde es schön, wenn Olympische Spiele oder Welt- und Europameisterschaften in sportbegeisterten Ländern ausgetragen werden. Und vor allem auch in Staaten, in denen die lokale Bevölkerung voll dahintersteht. Es bleibt aber die grundsätzliche Frage, unter welchen Voraussetzungen und Regeln, also wie solche sportlichen Großereignisse stattfinden. Es darf nicht nur um wirtschaftliche Aspekte und Sportmarketing gehen, sondern auch um soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Es sollte also bei der Vergabe-Entscheidung eine Rolle spielen, wie klimafreundlich und sozial gerecht Olympische Spiele, Welt- und Europameisterschaften ausgetragen werden können.
In Deutschland wird eine erneute Olympia-Bewerbung diskutiert. Was könnten Olympische Spiele für den Sport und auch darüber hinaus bewirken?
Mihambo: Mit Olympischen Spielen in Deutschland verbinde ich die Hoffnung, dass alle olympischen Sportarten wieder mehr in den Fokus rücken, mehr Aufmerksamkeit und eine größere Präsenz erhalten. Olympia in Deutschland – das könnte für ein ansteckendes Momentum sorgen.
Auch in gesellschaftlicher Hinsicht?
Mihambo: Ja. Das würde ich sogar in den Vordergrund stellen. Wenn man Olympische Spiele mit Herz und Leidenschaft füllt, kann man bestimmte Werte wie Toleranz und Offenheit vermitteln. Olympia ist so viel mehr als Sport, es geht um den Austausch zwischen Kulturen und das Lernen voneinander. Es gibt gerade auch in vielen westlichen Ländern Entwicklungen und Tendenzen, die weniger mit einer offenen Gesellschaft zu tun haben. Da wäre es wichtig, solch einen Gegenpol in Deutschland zu setzen.
Von offenen Gesellschaften kann man ohnehin nicht mit Blick auf Russland und Belarus sprechen. Wegen des Ukraine-Kriegs dürfen Sportler beider Nationen nur unter bestimmten Voraussetzungen bei den Olympischen Spielen in Paris starten. Welche Haltung haben Sie zu diesem Thema?
Mihambo: Ich sehe zunächst einmal die persönliche Situation des Sportlers oder der Sportlerin. Eine Karriere im Leistungssport ist in der Regel nicht besonders lang. Darf jemand bei Olympischen Spielen nicht starten, entscheidet das über den Verlauf oder die Länge seiner Karriere. Das muss man bei solchen Betrachtungen im Hinterkopf behalten. Denn auf der anderen Seite gibt es auch viele Sportler, die dem politischen System verbunden sind. Oft genug nutzen die politischen Eliten jener Länder diese Bühne für sich. Aus diesen Gründen finde ich es gut, dass versucht wird, diese Möglichkeit einzugrenzen und dass bestimmte Sportler nur als neutrale Athleten oder gar nicht starten dürfen.
Russland plant eine Art Olympia-Konkurrenzveranstaltung namens „Freundschaftsspiele“ im September und möchte die Athleten mit hohen Preisgeldern anlocken. Allein der Name „Freundschaftsspiele“ stimmt einen doch schon sprachlos, oder?
Mihambo: Ich finde es in unserer aktuellen Welt aber nicht mehr überraschend, dass solche Angebote geschaffen werden. Hier gilt allerdings das Gleiche, was ich vorher schon zu Olympischen Spielen in Deutschland gesagt habe: Wir brauchen klare Werte und die setzen wir dagegen. Intoleranz, Krieg und Menschenrechtsverletzungen – da sollte es leicht fallen, rote Linien zu ziehen.
Sie gehören zur Weltspitze, für die deutsche Leichtathletik gilt das aber nicht in der Breite. Bis 2028 soll sich das ändern, wünscht sich der Deutsche Leichtathletikverband. Was muss passieren, damit es so kommt?
Mihambo: Wichtig wäre es, einen Rahmen zu schaffen, dass sich Athleten voll und ganz auf den Sport konzentrieren können. Das ist nicht für jeden möglich. Und langfristig gesehen geht’s natürlich auch immer um die Basis und die Jugendarbeit – aber klar, das ist natürlich nicht das, was schon 2028 unbedingt Früchte tragen wird.
Die Leichtathleten schwächeln, die Beckenschwimmer auch. Wir sprechen also von olympischen Kernsportarten. Ist Deutschland kein Land mehr für Spitzensport?
Mihambo: Hin und wieder kann man das denken. Ich schätze, es sind viele Dinge, die zu solch einer Entwicklung beitragen: der Wert von Sport und Leistungssport in der Gesellschaft, die Rahmenbedingungen des Leistungssports, gesellschaftliche Wertschätzung und finanzielle Sicherheit oder die Sichtbarkeit von olympischen Kernsportarten in den Medien.
Kommen wir zurück zu Ihrer Sportart. Es wurde zuletzt diskutiert, den Absprungbalken beim Weitsprung abzuschaffen. Eine gute Idee?
Mihambo: Ich stehe diesem Vorschlag sehr neutral gegenüber. Im Weitsprung sind ein Drittel aller Sprünge in der Regel ungültig. Es stellt sich also die Frage: Wird der Wettkampf spannender, wenn der Balken abgeschafft wird und es vermutlich mehr gültige Sprünge gibt? Ich denke ja. Aber man sollte nicht vergessen: Ohne Balken gäbe es eine Absprungzone von circa 40 cm Länge. Die müsste man immer noch treffen. Man kann also nicht einfach dort abspringen, wo man möchte. So groß fühlt sich die Veränderung für mich nicht an.
Glauben Sie an diese Regeländerung?
Mihambo: Wir befinden uns noch nicht einmal in einer Pilotphase. Das Thema ist also ein bisschen weiter weg. Ich bin offen. Egal, wie es gemacht wird. Ich bin auf jeden Fall dabei.
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