Mannheim. Der große Traum wurde woanders Realität. Matthias Findeisen kann sich noch gut daran erinnern, als sich der kleine Semih Sahin im Jahr 2010 in der D-Jugend des SV Waldhof vorstellt. „Ein schmächtiger Junge, aber fußballerisch sehr stark. Das konnte man gleich sehen“, sagt der Jugendleiter des SVW. Es ist eine Zeit, in der im Jugendbereich noch viel mehr als heute auf die körperliche Komponente geachtet wird. Sahin, dessen Spiel schon als Jugendlicher mehr über Technik, Strategie und Laufbereitschaft kommt, beißt sich am Alsenweg dennoch durch.
In der Saison 2017/2018 wird der gebürtige Mannheimer sogar zum Kapitän der U19 des SV Waldhof berufen. „Ich möchte den Sprung zum Profi schaffen – am liebsten in unserer ersten Mannschaft“, sagt Sahin damals. Es soll alles anders kommen. Aber dennoch gut werden.
Nach dem 6:1-Sieg mit der SV Elversberg im Testspiel beim SV Waldhof im Carl-Benz-Stadion am Donnerstag kommt Sahin entspannt zum Interviewtermin. Beim saarländischen Zweitligisten hat der 25-Jährige den Durchbruch geschafft, der ihm in Mannheim verwehrt geblieben ist. Sahin gilt in Elversberg als unumstrittener Führungsspieler, er ist in den vergangenen vier Jahren mit der „Elv“ zweimal aufgestiegen. Aus der Regionalliga über die 3. in die 2. Liga.
Und dabei selbst zu einem Unterschiedsspieler gereift, der zu noch Höherem berufen scheint. Das Portal „Transfermarkt“ beziffert seinen Marktwert auf 1,8 Millionen Euro, der höchste im Elversberger Kader. Und der drittwertvollste aktive Fußballer aus Mannheim, hinter Türkei-Kapitän Hakan Çalhanoglu (40 Millionen) und dem deutschen Nationalspieler Pascal Groß (7 Millionen).
„Ich wäre gerne hier geblieben und hätte bei den Profis gespielt“
Obwohl Sahin im Test gegen den SVW nur eine halbe Stunde spielt, erzielt er gleich wieder ein Tor. Seine alte Verbundenheit ist geblieben. „Klar schaue ich immer auf die Ergebnisse, Waldhof ist mein Heimatverein. Es ist immer wieder schön, hierher zu kommen. Wenn man mit dem Bus in die Stadt fährt, kennt man jede Ecke. Das ist schon etwas Besonderes“, sagt er.
An seine Jugendtage am Alsenweg denke er immer noch gerne zurück. „Eine schöne Zeit“, sagt Sahin. Aber eine, die nicht mit dem erhofften Karrieresprung endet. „Ich wäre gerne hier geblieben und hätte bei den Profis gespielt, aber man hat mir nicht wirklich die Chance gegeben. Das lag an verschiedenen Personen, die nicht mehr im Verein sind“, sagt Sahin. „Ich hätte es damals gerne gemacht, es war mein größter Wunsch. Aber das Leben geht weiter, man kann immer Umwege nehmen. Ich bin das perfekte Beispiel dafür.“
Die Umwege in Sahins Fall heißen FC Astoria Walldorf und TSG Hoffenheim II, bevor der beim SV Waldhof sträflich Unterschätzte im Sommer 2021 zur SV Elversberg wechselt, damals noch Regionalligist. Seine Karriere kennt ab da nur noch eine Richtung: steil aufwärts. Unter Trainer Horst Steffen wird Sahin zum Leistungsträger, bald ist er im zentralen Mittelfeld der Saarländer fast unersetzlich. „Wenn man so viel Erfolg gemeinsam hat, schweißt einen das schon zusammen. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er mich zu einem Zweitliga-Profi und dem Spieler, der ich heute bin, gemacht hat“, sagt Sahin über seinen Förderer Steffen, der aus einem kleinen Provinzverein eine feste Größe in der 2. Liga gemacht hat.
Eine fast einmalige Erfolgsgeschichte, die in der ganzen Fußball-Republik Beachtung findet. Ein Geheimrezept dafür gebe es nicht, meint Sahin. „Wir haben einfach die Ruhe im Verein, die man für Erfolg benötigt. Bei anderen Vereinen wie Waldhof ist schnell Unruhe, wenn es mal nicht läuft. Wir können einfach bedingungslos machen“, sagt er.
Besondere Beziehung zu Förderer Horst Steffen
45 Zweitliga-Partien hat Sahin mittlerweile für Elversberg absolviert, allein in dieser Saison drei Tore erzielt. Als sein Vertrag im vergangenen Herbst bis 2027 verlängert wird, schwärmt Sportchef Nils-Ole Book: „Semih hat eine tragende Rolle innerhalb der Mannschaft eingenommen und strahlt auf dem Platz eine hohe Souveränität und Sicherheit aus. Mit seiner technischen Versiertheit, aber auch mit seiner Arbeits- und Einsatzbereitschaft, ist er hier zu einem Führungsspieler gereift.“
Qualitäten, die selbst Vereinen in der Bundesliga aufgefallen sind. Im vergangenen Sommer buhlt Holstein Kiel um den Mannheimer, der sich letztlich aber zum Verbleib bei dem Verein entscheidet, der ihn groß gemacht hat. „Ich fühle mich in Elversberg wohl und weiß, was ich hier habe. Mal schauen, was die Zukunft mit sich bringt. Klar kann es vielleicht irgendwann mal höher gehen, aber immer alles mit der Ruhe“, sagt er am Donnerstag im Carl-Benz-Stadion.
Beim SVW bekommen Talente mittlerweile bessere Chancen
Waldhof-Jugendleiter Matthias Findeisen trauert dem verlorenen Rohdiamanten immer noch hinterher. Zusammen mit Florian Flick, einem anderen Eigengewächs des SVW, der mittlerweile für den 1. FC Nürnberg in der 2. Liga spielt, könnte Sahin heute ein hochkarätiges zentrales Mittelfeld mit Stallgeruch beim Waldhof bilden. „Es passiert häufiger, dass Talente eine Karriere im Profifußball starten, bei denen man sich das in jungen Jahren vielleicht nicht so vorstellen kann“, sagt Findeisen. Aber: „Es war beim Waldhof lange auch sehr schwer, Jugendspieler für die erste Mannschaft interessant zu machen.“
Die Durchlässigkeit zwischen Nachwuchs und Profis sei erst in der jüngeren Vergangenheit besser geworden, wie man am Beispiel des heutigen Drittliga-Stürmers Kennedy Okpala sehen könne. Auch das geplante Nachwuchsleistungszentrum ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Damit die Zeiten, in denen große Träume bei anderen Vereinen Realität werden, beim SV Waldhof unwiderruflich vorbei sind.
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