Herr Neidhart, Sie arbeiten seit diesem Sommer in Mannheim, ihr Sohn Nico spielt in der 2. Liga bei Hansa Rostock, der Rest Ihrer Familie lebt in oder der Nähe von Osnabrück. Wie organisieren Sie Ihr Privatleben, wenn Sie räumlich so weit voneinander getrennt sind?
Christian Neidhart: Unser Lebensmittelpunkt bleibt Osnabrück. Das ist wichtig und wird auch so bleiben. Aber die Kinder sind groß und haben alle ihr eigenes Leben. Meine Frau wird nach Mannheim kommen, an freien Tagen werde ich mal nach Hause fahren – das wird sich so einpendeln. Wir sind seit 30 Jahren zusammen, eine bekloppte Fußball-Familie. Bei uns hat sich immer alles um Fußball gedreht.
Wann kommen denn alle noch einmal zusammen?
Neidhart: Tatsächlich erst am 23. September, da heiratet mein Sohn. Das ist das einzige freie Wochenende, an dem wir uns alle sehen.
Christian Neidhart
- Christian Neidhart wurde am 1. Oktober 1968 in Braunschweig geboren. Als Profi spielte der Stürmer unter anderem für den VfL Osnabrück (1988 bis 1992) in der 2. Liga.
- Seine Trainerkarriere begann der Niedersachse beim VfB Oldenburg, dem BV Cloppenburg und dem SV Wilhelmshaven. Es schloss sich seine bisher erfolgreichste Station beim SV Meppen an – mit den Emsländern stieg Neidhart 2017 (in der Relegation gegen den SV Waldhof) in die 3. Liga auf und blieb insgesamt sieben Jahre beim SVM.
- 2020 wechselte er in die Regionalliga West zu RW Essen, wo er kurz vor dem Saisonfinale Anfang Mai 2022 beurlaubt wurde.
- Neidhart hat eine Frau und zwei Kinder. Sohn Nico Neidhart spielt für Zweitligist Hansa Rostock.
Ihnen eilt der Ruf voraus, ein sehr bodenständiger Typ zu sein, der weiß, wo er herkommt. Wie blicken Sie auf manche Entwicklung im Profifußball – gerade mit Blick auf die Gehälter und Superstars, die sich zu einem neuen Verein streiken wollen?
Neidhart: Wenn man den Fall Lewandowski sieht, hätte ich schon gedacht, dass Bayern München eigentlich der stärkste Verein ist und hartnäckiger bleiben kann. Aber da sieht man, dass du als Verein fast keine Chance mehr hast. Daran sieht man, dass es mittlerweile um zu viel Geld geht. Ich beschäftige mich aber grundsätzlich lieber mit Dingen, die ich auch selbst beeinflussen kann.
Können Sie eigentlich mit am Reißbrett konzipierten Fußballprojekten wie RB Leipzig etwas anfangen?
Neidhart: Wie die Geschichte entstanden ist, da sage ich: Das braucht kein Mensch. Aber welche Nachhaltigkeit dahinter steht und wie der Verein sich dann aufgebaut hat, ist etwas anderes. Ich bin aber kein Freund von solchen Konstrukten. Tradition muss bleiben, damit Fußball für jeden Fan greifbar bleibt.
Der Vorwurf lautet ja, Leipzig nimmt einen Platz in der Bundesliga weg, die sonst vielleicht der Hamburger SV hätte.
Neidhart: Dafür ist der HSV dann aber auch selbst verantwortlich. Dass Essen 14 Jahre lang in der 4. Liga war, da wurden dann da die Fehler gemacht. Aber solche Projekte – wir hatten das in der 3. Liga in der vergangenen Saison mit Türkgücü München – sind für mich schon ein Hohn. Übrigens auch die Aufstiegsregelung, bei der im vergangenen Jahr Vereine mit neun Saisonspielen in die 3. Liga aufgestiegen sind, während Waldhof drei Relegationen verloren hat und weiß, wie hart es sein kann. Das ist ein Witz.
Warum findet man Sie eigentlich nicht in sozialen Netzwerken wie Instagram, Facebook oder Twitter?
Neidhart: Ich war lange Zeit auch in sozialen Medien aktiv, bin dann da aber wieder rausgegangen, weil es einfach zu viel geworden ist. Ich hatte nicht so viele Follower wie Willy Sommer (lacht), aber ich musste extrem viele Fragen beantworten. Das war nichts Bösartiges, aber es war einfach ein Zeitfresser. Ich beschäftige mich damit relativ wenig und lese auch nicht alles. Ich bin eher der Typ: „Was du nicht weißt, macht dich nicht heiß“. Und dann muss ich mich auch nicht darüber ärgern.
Stichwort Willy Sommer. Der ist in den sozialen Medien ein Star, der viele junge Fans hat. Haben Sie mit ihm schon darüber gesprochen, dass der absolute Fokus auf der Arbeit, also auf dem Fußballplatz liegen muss?
Neidhart: In der Größenordnung, in der er in sozialen Medien unterwegs ist, bräuchte er wahrscheinlich keinen Fußball mehr. Aber er hat total Bock auf Fußball, das hat er mir glaubwürdig beschrieben, dass es sein Leben ist. Und solange Fußball und die anderen Geschichten nicht kollidieren, habe ich damit kein Problem. Auch bei den Hobbys anderer Spieler mischen wir uns nicht ein. Am Ende des Tages können 500 000 Follower auch ein Mehrwert für den Waldhof sein, weil zum Beispiel mehr Willy-Trikots verkauft werden.
Welcher Trainer, der zurzeit im Spitzenfußball unterwegs ist, inspiriert Christian Neidhart?
Neidhart: Eigentlich keiner. Ich habe mit Julian Nagelsmann damals meine B- und meine A-Lizenz gemacht. Wir hatten danach immer wieder mal losen Kontakt. Er wusste schon in jungen Jahren, wovon er spricht und was er wollte. Ich fand faszinierend, wie er Fußball versteht. Aber ansonsten habe ich mir nie etwas von anderen Trainern abgeguckt, sondern bin immer meinen eigenen Weg gegangen. Und ich bin froh, dass ich überall erfolgreich war.
Ihr Freiburger Trainer-Kollege Christian Streich ist dafür bekannt, sich auch zu politischen und gesellschaftlichen Fragen öffentlich zu positionieren. Kann man das von Ihnen auch erwarten oder halten Sie sich da eher zurück?
Neidhart: Wenn man sich in den Bereichen auskennt, ist das völlig okay. Aber ich bin nicht der Typ, ich äußere mich nicht öffentlich zu politischen Dingen. Ich weiß, wie der Fußball ist: Wenn es irgendwann einmal negativ läuft, bekommst du das aufs Brot geschmiert. Ich habe meine Meinung, aber es reicht, wenn ich über die in den eigenen vier Wänden mit meiner Frau spreche.
Die WM in Katar ist aufgrund der Menschenrechtsverletzungen hochumstritten. Was ist Ihre Meinung zur Boykott-Debatte? Und werden Sie sich die Spiele anschauen?
Neidhart: Ich glaube jeder Fußball-Fan, der das am liebsten boykottieren würde, wird sich erwischen, wie er trotzdem reinschaut. Das ist eine WM, und wenn nicht gerade der Weihnachtseinkauf ansteht, wird man sich garantiert das eine oder andere Spiel angucken. Weil es dich einfach interessiert. Ich bin damals mit Meppen ins Trainingslager in der Türkei gefahren, wo die politische Lage auch nicht einwandfrei war. Aber es war alternativlos, weil es die günstigste Möglichkeit war. Mir ging es um Sport, um Fußball. Und so sehe ich es bei der WM letztlich auch. Man muss nicht zu jedem Thema seinen Senf dazugeben.
Jürgen Klopp hat einmal gesagt: „Es ist nicht so wichtig, was über einen Menschen gedacht wird, wenn er kommt. Es ist wichtig, was über einen gedacht wird, wenn man wieder geht.“ Was sollen die Fans in Mannheim über Christian Neidhart denken, wenn er den Verein irgendwann wieder verlässt?
Neidhart: Ich hoffe, dass es so wird, wie ich es bei allen meinen bisherigen Vereinen hinbekommen habe. Die Leute sollen sagen: Das ist ein geiler Typ, nahbar. Was Klopp sagt, da ist etwas Wahres dran. Wenn man einen Menschen nicht richtig kennt, urteilt man ja oft: Der ist arrogant oder sonst was. Am Ende ist es aber so: Erst wenn man einen Menschen kennt, kannst du dir ein Urteil erlauben. Ich werde mich mit 53 Jahren nicht mehr verändern. Ich werde so bleiben, wie ich bin: offen, ehrlich und geradeaus.
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