Mannheim. Nebenan am Pradtschen Soccercenter spülten sich zwei Dutzend Waldhof-Fans noch ein paar Frustbier herunter, im Presseraum des Carl-Benz-Stadions redete sich ein völlig niedergeschlagener Trainer Christian Neidhart den Kummer von der Seele. Der desaströse Auftritt bei der 1:3 (0:2)-Niederlage vor 7777 Zuschauern gegen Abstiegskandidat VfB Oldenburg hat beim SVW kurz vor dem Saisonende den befürchteten Flächenbrand ausgelöst.
Beim Mannheimer Drittligisten herrscht plötzlich die höchste Alarmstufe. Eine sofortige Trennung vom Trainer oder nach dem Saisonende liegt nach den Eindrücken vom Samstag im Bereich des Möglichen.
Neidhart reagierte emotional auf die Tatsache, dass es nach Abpfiff auch vom harten Kern der Waldhof-Fans auf der Otto-Siffling-Tribüne erstmals laute „Neidhart-raus“-Rufe zu hören gab. „Es ist sehr enttäuschend für mich, wenn im heimischen Stadion die Leute meinen Rauswurf fordern. Das geht mir sehr nah, das geht mir zu Herzen. Das kann ich nicht so locker abschütteln.“
Neidhart: "Möchte nicht der Prügelknabe für alles sein"
Der 54-Jährige beklagte in einer Brandrede offen die seiner Meinung nach permanente Unruhe im Umfeld, fehlende Fortschritte beim Ausbau der Infrastruktur – und mangelnde Rückendeckung von der Vereinsspitze. „Fühle ich mich alleingelassen? Ja, ich bin alleine. Mit Tim Schork (Sport-Geschäftsführer, d. Red). Man sieht, dass nach so einem Tag auch nie einer da ist, der im gesamten Umfeld mal Ruhe reinbringt“, sagte Neidhart.
Er halte für die verpassten sportlichen Ziele den „Kopf hin“ und übernehme die Verantwortung. Aber: „Grundsätzlich muss man sich überlegen, ob man hier einen Trainer hat, mit dem man zusammenarbeiten möchte. Dass man auch gewisse Dinge von der obersten Front klärt, sich auch mal schützend vor den Trainer stellt. Wenn man das nicht kann, muss man sich zusammensetzen und eine Lösung finden. Ich hätte mir schon nach vielen Spielen mal ein Statement erwartet. Das ist nicht passiert. Ich möchte hier nicht der Prügelknabe für alles sein. Man sollte schon realistisch einschätzen können, wo wir herkommen und für was wir stehen.“
Präsident Bernd Beetz hatte auf Anfrage dieser Redaktion schon nach dem 1:3 in Zwickau am vergangenen Samstag keine Stellungnahme zur Trainerfrage abgegeben. Sein Schweigen lässt Platz für Interpretationen: Eine Trennung von Neidhart scheint nicht mehr ausgeschlossen. „Wie es weitergeht, kann ich nicht entscheiden. Da ist auch eine vertragliche Situation, die geklärt werden muss“, sagte der SVW-Coach am Samstag.
Klare Aussagen, die offen lassen, ob es noch eine gemeinsame Zukunft von Neidhart und SVW gibt. Dabei hatte Sportchef Tim Schork vor dem Anpfiff bei MagentaSport gesagt: „Christian und ich arbeiten mit Hochdruck an den Planungen für die kommende Saison.“ Und die Mannschaft? Stellte sich in Person von Kapitän Marcel Seegert hinter ihren Trainer. „Wir stehen das zusammen durch“, meinte der gebürtige Mannheimer.
Desolate erste Halbzeit
Im Stich gelassen hatte das Team ihren Coach allerdings in den 90 Minuten zuvor schon – mit einer kläglichen Leistung ohne die notwendige Einstellung. „Du hast heute eine Mannschaft gesehen, die gedacht hat: Mit ein bisschen weniger wird es schon funktionieren. Sie wollten schon, haben aber nicht alles dafür getan, dass es funktioniert“, meinte Neidhart. Alle Appelle, die Saison trotz der seit dem vergangenen Wochenende realistischerweise nicht mehr zu erreichenden Aufstiegsplätzen nicht austrudeln zu lassen, hatten nicht gefruchtet.
SV Waldhof 1:3 VfB Oldenburg
SV Waldhof: Bartels - Jans, Seegert, Karbstein (46. Malachowski), Rossipal - Wagner, Bahn (58. Höger) – Schnatterer (30. Lebeau), Winkler (58. Taz) – Sohm (76. Pledl), Martinovic.
VfB Oldenburg: Dornebusch - Ndure, Appiah, Steurer, Knystock – Buchtmann (86. Herbst), M. Stendera (79. Schmidt), Schäfer (64. Deichmann), Starke, Brand (79. Bookjans) – Hasenhüttl (46. Wegner).
Tore: 0:1 Stendera (21.) 0:2 Steurer (23.) 1:2 Malachowski (61.) 1:3 Brand (63.)
Beste Spieler: - /Starke, Buchtmann.
Gelbe Karten: Bahn, Lebeau, Seegert/Steurer, Buchtmann.
Schiedsrichter: Patrick Kessel (Norheim).
Zuschauer: 7777.
Nächstes Spiel: Freitag, 19. Mai, 19 Uhr: TSV 1860 München – SV Waldhof.
Der SVW lieferte eine desolate erste Halbzeit ab. Körpersprache, Spielaufbau, Zweikampfführung, Defensivverhalten, Einsatz – alles ungenügend. Oldenburg schaute sich das Mannheimer Gemurkse 20 Minuten lang an und beschloss dann, es einfach mal mit Offensivaktionen zu probieren.
Nachdem Jan-Christoph Bartels dem Abstiegskandidaten mit einem versprungenen Ball beinahe schon das 1:0 aufgelegt hatte – Wagner klärte in letzter Sekunde (18.) – reichten dem VfB zwei gute Aktionen, um innerhalb von zwei Minuten sogar 2:0 zu führen. Erst spielte Marc Stendera raus auf den Flügel zu Linus Schäfer, und als der frühere Profi von Eintracht Frankfurt den Ball im Strafraum zurückbekam, gewährten die Mannheimer Abwehrspieler freundlich nur Geleitschutz (21.). Kurz danach ging ein Seegert-Pass im Aufbau verloren, der Waldhof-Kapitän und Laurent Jans konnten das Zuspiel in die Gasse von Manfred Starke nicht verhindern, Oliver Steurer schoss frei vor Bartels flach zum 0:2 ein (23.).
Geschenke für die Gäste
Die Oldenburger, zuvor in vier Partien ohne eigenen Treffer, konnten ihr Glück über diese Geschenke kaum fassen. Von den Rängen gab es erste Pfiffe – die hatte sich diese schwache Waldhof-Mannschaft auch redlich verdient. Starke verpasste bei seinem Pfostentreffer sogar die Chance aufs 0:3 (25.).
Marc Schnatterer musste nach einer halben Stunde mit einer Schulterblessur runter, für ihn kam Adrien Lebeau. Der Franzose wurde von Torschütze Steurer am Mittelkreis gleich übel von hinten umgesenst, es gab eine Gelbe Karte, Rot wäre auch denkbar gewesen. Ganz am Ende einer Halbzeit zum Vergessen schaffte es der SVW dann tatsächlich noch, eine echte Torchance herauszuspielen. Lebeau flankte, Seegerts Kopfball fischte Oldenburgs Schlussmann Felix Dornebusch heraus (45.). Die trotz der kläglichen Leistung ihres Teams noch halbwegs gut gelaunten Waldhof-Fans sangen nach dem Pausenpfiff das, was man zu solchen Anlässen meistens singt: „Wir woll’n Euch kämpfen sehen.“
Die Reaktion? Der an diesem Nachmittag neben sich stehende Malte Karbstein blieb in der Kabine, Adrian Malachowski kam, Wagner rückte in die Abwehr. Noch auf dem Platz hielt Neidhart eine weitere emotionale Ansprache an sein Team. Der Effekt blieb überschaubar. Immerhin besaß Martinovic auf Zuspiel von Rossipal eine weitere gute Gelegenheit (50.) – nach der Möglichkeit einer neuerlichen Aufholjagd fühlte sich das Geschehen auf dem Rasen aber nicht an.
Immerhin einen kleinen Lichtblick gab es aus Waldhof-Sicht: Das Comeback von Marco Höger, der in der 58. Minute wieder den Rasen im Carl-Benz-Stadion betrat. Sein erster Einsatz seit dem 10. September 2022 gegen Ingolstadt, bevor ihn ein Kreuzbandriss stoppte. Kurz keimte Hoffnung auf, als Malachowski nach einem Eckball zum 1:2 einschoss (61.). Doch Rafael Brands Traumschuss aus 22 Metern in den Winkel stellte nur zwei Minuten den Zwei-Tore-Abstand wieder her (63.).
Wer gedacht hätte, es könne nicht noch schlimmer kommen, sah sich getäuscht. Zu diesem völlig verkorksten Nachmittag für Blau-Schwarz passte es, dass Schiedsrichter Patrick Kessel nach einem glasklaren Foul von Leon Deichmann am eingewechselten Berkan Taz den fälligen Elfmeter verweigerte (74.). Und Martinovic es völlig frei vor VfB-Keeper Dornebusch mit einem Lupfer probierte, statt einfach das 2:3 zu erzielen (75.).
Seegert stellt sich zwischen die Pfosten
Es wurde kurios: Kurz nachdem Neidhart zum fünften und letzten Mal getauscht hatte, musste Torhüter Bartels nach einem Zusammenprall benommen vom Platz. Weiter ging es in Unterzahl für den SVW – und mit Seegert zwischen den Pfosten (78.). Bei seiner ersten Aktion als Torhüter fing „Cello“ eine Ecke souverän ab – und wurde dafür von den SVW-Fans frenetisch gefeiert. Nach dem Abpfiff arbeiteten sich Teile der Anhänger jedoch wieder am angeknockten Trainer Neidhart ab. Beim SV Waldhof brennt es Mitte Mai lichterloh.
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