Interview

Nach extremen Urteilen: Löwe Knorr spricht exklusiv über die Handball-WM

Juri Knorr wurde erst zum Retter des deutschen Handballs auserkoren und dann plötzlich scharf kritisiert. Nun ist er wieder ein WM-Hoffnungsträger. Im Interview verrät der 22-Jährige, was er von diesen Urteilen hält

Von 
Marc Stevermüer
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Hand ins Harz und dann an den Ball: Für Juri Knorr und die Nationalmannschaft startet Freitag die WM. © Sascha Klahn

Herr Knorr, Sie befinden sich in Topform und spielen mit den Löwen eine überragende Bundesligasaison. Wie lässt sich diese Euphorie ins Nationalteam übertragen?

Juri Knorr: Hoffentlich ist das möglich. Ich bin auf jeden Fall mit einem guten Gefühl und Selbstvertrauen zur Nationalmannschaft gekommen. Aber wir reden über zwei verschiedene Paar Schuhe. Hier bei der Nationalmannschaft gibt es einen anderen Trainer, andere Taktiken und andere Mitspieler. Das ist einfach eine Gruppe, die sich noch finden muss.

Die Löwen haben sich bereits gefunden. Was ist möglich in der Bundesliga?

Knorr: Ich wusste schon vor der Saison, dass wir eine gute Mannschaft haben. Aber dass es so läuft, konnte niemand erwarten. Wir sind ambitioniert und wissen, dass wir uns ein gutes Fundament geschaffen haben. Wichtig wird aber vor allem sein, dass der Erfolg nachhaltig ist.

Welchen Anteil hat Löwen-Trainer Sebastian Hinze an Ihrer starken Verfassung?

Knorr: Ich bin ja auch nur ein Mensch. Sebastian hat mir von Beginn an den Rücken gestärkt und mir das Gefühl gegeben, dass ich Fehler machen darf und ein wichtiger Teil in seinem Plan bin. Im Endeffekt kommen aber auch viele Dinge automatisch, wenn man so viel spielen darf, wie das jetzt bei mir der Fall ist. Ich fühle mich einfach gut auf dem Feld und bin taktisch von Sebastians Ideen überzeugt.

Haben Sie wegen Hinze Ihren Vertrag bei den Löwen verlängert?

Knorr: Ich bleibe wegen der Gesamtkonstellation und habe auch mit Sebastian darüber gesprochen. Die momentane Situation bei den Löwen ist einfach optimal für mich. Da gab es keinen Grund, etwas zu verändern.

Nationalspieler mit prominentem Papa

  •  Juri Knorr wurde am 9. Mai 2000 in Flensburg geboren. Er ist der Sohn des früheren Handball-Bundesliga- und Nationalspielers Thomas, der seinen Junior in zahlreichen Jugend-Mannschaften trainierte.
  • Juri Knorr spielte zunächst als Kind und Jugendlicher für den VfL Bad Schwartau und den MTV Lübeck. Zusätzlich spielte er bis zum Jahr 2015 recht ambitioniert Fußball.
  • 2017 ging der Mittelmann im Alter von 17 Jahren zum Herren-Oberligisten HSG Ostsee, der von seinem Vater Thomas trainiert wurde.
  • 2018 wechselte Knorr zum FC Barcelona. Dort wurde er überwiegend in der zweiten Mannschaft eingesetzt, spielte aber auch im ersten Team.
  • 2019 schloss sich der Mittelmann dem Bundesligisten GWD Minden an, 2021 folgte der Wechsel zu den Rhein-Neckar Löwen.
  • Knorr hat bislang 28 Länderspiele bestritten und nahm an der WM 2021 und an den Olympischen Spielen 2021 teil.

Sie wirken sehr abgeklärt und reif in Ihrer Spielweise, Trainer Hinze benutzte gerade zu Saisonbeginn im Zusammenhang mit Ihnen sehr häufig das Wort „Spielsteuerung“. Lag darauf erst einmal das Hauptaugenmerk, ehe auch Ihre Torgefahr zurückkehrte?

Knorr: Das kann man schon so sagen. In meiner Rolle bin ich erst einmal dafür verantwortlich, dass das große Ganze funktioniert. Das ist meine Hauptaufgabe und darüber sprechen Sebastian und ich nach wie vor sehr viel. Es sind immer noch Phasen dabei, in denen ich ein wenig die Kontrolle über das Spiel verliere.

Sehen wir nicht trotzdem gerade den besten Juri Knorr?

Knorr: Puh…damit tue ich mich schwer. Ich profitiere ja auch von meinen Mitspielern.

Aber nicht nur…

Knorr: Solch eine gute Phase hatte ich in meiner Profi-Karriere sicherlich noch nicht. Aber jedes Mal, wenn ich mir unser Spiel hinterher anschaue, fallen mir Dinge auf, die ich nicht so gut gelöst habe. Und eigentlich behalte ich diese Szenen dann auch im Kopf, damit ich es beim nächsten Mal anders mache. Es geht noch besser.

Allein schon aufgrund Ihrer zentralen Position sind Sie auch mit 22 Jahren ein Führungsspieler. Kann man Führung lernen oder ist das eine Frage des Naturells?

Knorr: Im Endeffekt mache ich nur das, was ich schon seit meiner Kindheit tue. Ich habe praktisch in all meinen Mannschaften auf dieser Position gespielt und fülle diese Rolle nun so aus, wie ich das bereits in der C-Jugend getan habe.

In Deutschland gibt es eine Art Sensations-Fanatismus.

Sie spielen also noch wie als Zwölfjähriger?

Knorr: Das nicht. Ich bin jetzt natürlich besser als in der C-Jugend und habe mich weiterentwickelt. Aber an meinem Spielstil, also an der Art und Weise meines Handballs, hat sich seitdem gar nicht so viel verändert. Auch nicht der Umgang mit den Mitspielern. Meiner Meinung nach ist es wichtig, die eigene Leistung immer wieder auf das nächsthöhere Niveau zu bringen und dort zu bestehen.

Können Sie das bitte konkretisieren?

Knorr: Ich bin von HSG Ostsee zur zweiten Mannschaft des FC Barcelona in die 2. spanische Liga gegangen, dann zu GWD Minden und jetzt zu den Löwen. Überall ging es darum, zu zeigen, dass ich meine Fähigkeiten auch auf dem nächsthöheren Level einbringen kann; dass ich dieser Spieler auch beim nächsten Verein sein kann. Sowohl sportlich als auch menschlich oder charakterlich. Welche Art von Führung das dann ist, hängt immer vom Gesamtgefüge ab. Ich bin nicht der klassische Kapitän. Oder ich weiß zumindest nicht, ob ich jemals Kapitän sein werde. Aber ich weiß, dass ich eine Art der Führung auf dem Feld habe.

Vor etwa einem Jahr standen Sie für Ihre Leistungen in der Kritik und spielten auch bei den Löwen wenig. Wie sind Sie als junger Mensch damit umgegangen?

Knorr: Da muss ich nicht drumherum reden. Die Kritik hat mich extrem beschäftigt, das war bislang die schwierigste Zeit in meiner Handball-Karriere, und ich habe das auch mit nach Hause, mit ins Privatleben genommen.

Und wie kommt man aus solch einer Phase so gestärkt wie Sie heraus?

Knorr: Den Schlüssel oder das Geheimrezept gibt es nicht. Solch eine Phase muss man einfach durchstehen. Es ist auch völlig egal, ob man sich etwas Bestimmtes vornimmt oder etwas Anderes einfach verdrängen will. Das funktioniert aus meiner Erfahrung eher nicht. Denn es kann immer wieder Erlebnisse geben, die einen erneut herunterziehen. Im Endeffekt ist es meiner Meinung nach einfach wichtig, an dieser Erfahrung zu wachsen. Und wenn solch eine Phase noch einmal kommen sollte, was sicherlich passieren wird, kann ich damit bestimmt besser umgehen als beim ersten Mal.

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Haben Sie all das mit sich selbst ausgetragen?

Knorr: Das eine oder andere habe ich schon mit mir selbst ausgemacht. Ich hatte aber auch jemanden am Olympiastützpunkt, der mit mir regelmäßig ganzheitlich gearbeitet hat. Aber vor allem gibt mir meine Familie Kraft. Ich habe sehr viel mit meiner Freundin und mit meinen Eltern gesprochen. Ich bin ein absoluter Familienmensch, habe jetzt auch wieder die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr in der Heimat sehr genossen.

Mit 20 Jahren wurden Sie zum Retter des deutschen Handballs erkoren. Ob Sie wollten oder nicht. Das klingt kompliziert. Vor allem, wenn der ersehnte Heilsbringer mal nicht liefert.

Knorr: Mir war immer bewusst, dass es nicht immer nur steil bergauf geht. Aber es ist trotzdem etwas anderes, solch eine schlechtere Phase dann auch wirklich zu erleben. Das hat sich komisch angefühlt.

Weil es nur diese krassen Extreme gibt? Entweder Wunderkind oder totale Enttäuschung…

Knorr: Aber so funktioniert nun mal die Welt. Ich kann das mittlerweile ganz gut einordnen, habe mein eigenes Bild von der öffentlichen Wahrnehmung und der Berichterstattung.

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Wie sieht Ihr Bild denn aus?

Knorr: Es fehlt ein bisschen die Mitte, die sachliche Einordnung. Und zwar in beide Richtungen. Das war bei mir so, als ich mein erstes Länderspiel gemacht hatte und es wiederholte sich, als es nicht so gut lief. Jetzt spiele ich gerade gut. Nun wird viel an den vergangenen Wochen, an ein paar Spielen festgemacht. Ich bin mal gespannt, wie die Stimmung dann nach der WM aussieht. Es ist ein Auf und Ab, weil oft nur ein Moment oder eine Phase gesehen wird.

Was für Momente bescheren uns die deutschen Handballer bei der WM?

Knorr: Schwer zu sagen. Das hängt gerade bei uns vom Turnierverlauf ab. Wir müssen realistisch sein. Unsere Mannschaft ist gut, aber wir haben nicht die Qualität wie Schweden, Dänemark oder Frankreich. Diese Teams sind durchgehend mit Topspielern besetzt und haben das in den vergangenen Jahren durch Medaillen und Titelgewinne auch nachgewiesen. Das ist uns nicht gelungen. Vielleicht können wir diese Nationen ärgern. Aber wenn wir in die jüngere Vergangenheit schauen, sollten wir jetzt besser keine unrealistischen Ziele formulieren.

In der Handball-Nation Deutschland sitzen aber Millionen vor den Fernsehern und sehnen das Halbfinale herbei.

Knorr: Dessen bin ich mir bewusst. Die Aufmerksamkeit ist groß, das ganze Land schaut zu und es wird eine riesige Erwartungshaltung erzeugt. Aber auch hier sprechen wir doch wieder von einem Extrem. Es wird den Ergebnissen bei den zurückliegenden Turnieren kaum Beachtung geschenkt. In Frankreich oder Dänemark mag solch eine Erwartungshaltung angebracht sein. Aber doch nicht bei uns. In Deutschland gibt es eine Art Sensations-Fanatismus. Auch im Umgang mit der Nationalmannschaft. Entweder sind wir die ganz Großen oder die Deppen der Nation.

Sie haben bereits eine WM und Olympia gespielt. Was für Ziele gibt es noch?

Knorr: Jede Menge. Es ist natürlich mein Traum, mal einen Titel mit den Löwen oder der Nationalmannschaft zu gewinnen. Aber wenn ich ehrlich bin, kam ich ja bei meinen bisherigen Turnieren mit dem Nationalteam weniger zum Einsatz. Deswegen ist es erst einmal ein Ziel, bei dieser WM eine größere Rolle zu spielen und mich in dieser Mannschaft zu etablieren.

Redaktion Handball-Reporter, Rhein-Neckar Löwen und Nationalmannschaft

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