Mannheim. Die ganz großen Emotionen sind nicht sein Ding. Was ja keinesfalls schlimm sein muss. Denn wenn jemand den Ball mit 120 Stundenkilometern ins Tor wirft und dann abdreht, als sei das eine Selbstverständlichkeit, hat das auch eine gewisse Aussagekraft. Es signalisiert dem Gegner: Was da gerade passiert ist, war nichts Besonderes. Im Gegenteil: Es wird wieder passieren.
Bundesliga-Handballer Niclas Kirkeløkke von den Rhein-Neckar Löwen wirft den Ball momentan ziemlich oft mit 120 Stundenkilometern ins Tor. Er jubelt dann zwar, doch diese Augenblicke haben nichts von einem Ausbruch an Freude oder gar glühender Ekstase. Was vermutlich auch ein wenig an seinem Naturell liegt. Der Däne ist eher ein zurückhaltender, bisweilen sogar stiller Mensch, der allerdings für sich reklamieren kann, momentan auch nicht viel sagen zu müssen. Denn wenn man so will, spricht sein Werk gerade für sich. So wie bei einem Künstler.
Bester Torschütze
Seit Saisonbeginn ist der Linkshänder die zuverlässigste Rückraumkraft des deutschen Pokalsiegers und entsprechend auch ein dringend benötigter Leistungsträger für das Bundesliga-Topspiel am Samstag (20.30 Uhr) bei der MT Melsungen. 44 Treffer hat der 29-Jährige bislang erzielt, was ihn zum besten Torschützen der Mannheimer macht. Obwohl er keine Siebenmeter wirft.
Kirkeløkke selbst sagt, sich in einem „wirklich guten Flow“ zu befinden. Was so viel bedeutet wie: Er geht in seiner Aufgabe auf, hat Freude auf dem Feld und vertraut auf seine Fähigkeiten, an denen es eigentlich seit seinem Wechsel zum zweifachen deutschen Meister im Sommer 2019 nie grundsätzliche Zweifel gab. Mehrfach wurde ihm in den vergangenen Jahren eine große Saison prognostiziert. Doch dann überlegte es sich die Saison jedes Mal wieder anders.
Nun hat sich die Situation aber gewandelt. Kirkeløkke liefert stabil seine Leistung auf hohem Niveau ab. „Es gibt dafür keine besondere Erklärung. So ist das im Handball. Manchmal spielt man gut, manchmal schlecht“, sagt der Däne, den man in seinen bisherigen vier Jahren allerdings zu keiner Zeit so konstant gut hat passen und werfen sehen wie jetzt. Im Prinzip kreiste das Rätsel immer um die Frage, welchen Kirkeløkke man wohl zu sehen bekommt. Mal Maskenball. Mal Maskenfall. Man wusste es einfach nicht. Und musste schauen, was passiert.
Häufig stand dann ein Spieler auf dem Feld, dem die Zielstrebigkeit und Überzeugung abgingen, der nachdachte und überlegte. Und zwar selbst dann noch, als er längst abgesprungen war und plötzlich vor lauter Ideen im Kopf nicht mehr wusste, was er überhaupt vorhat. Schon war der Ball weg.
Aktuell gibt es jedoch den anderen Kirkeløkke, dessen Agieren von einer gewissen Klarheit und Stringenz geprägt ist. Fast alles wirkt selbstverständlich. Entsprechend liegt der Ball nun meistens im Tor. Oder vor allem nicht beim Gegner.
Ex-Löwen-Trainer Martin Schwalb sagte einmal, dass der „Niclas gar nicht weiß, wie gut er eigentlich ist“. Im Sommer 2020 war das, als er vom Gesamtpaket des damals in der Saisonvorbereitung erneut stark spielenden Dänen schwärmte. Ehe es sich die Saison aber wieder einmal anders überlegte . . .
Dass Kirkeløkke sehr viel mitbringt, lässt sich leicht belegen. Denn er ist ja nicht nur der erfolgreichste Torschütze seiner Mannschaft in dieser Saison, sondern mit 19 Assists auch ihr drittbester Vorlagengeber. Hinzu kommen Dinge, die entweder wenig beachtet oder in Statistiken gar nicht erfasst werden. Und so sieht man seine schönsten Tore zwar im Fernsehen, doch es gibt eben noch weitere Facetten, die diesen Spieler für die Löwen so wertvoll machen. Trainer Sebastian Hinze weiß das. Der 44-Jährige sieht „nicht nur die Angriffsleistung, sondern auch die Defensive. Dort hilft er uns sehr, wir können uns auf ihn verlassen.“
Seine Abwehrqualitäten sind es auch, die Kirkeløkke im Januar eine Nachnominierung für die hochkarätig besetzte dänische Nationalmannschaft einbrachten. Bei der WM rückte er verspätet ins Aufgebot, wurde aber sofort zur unverzichtbaren Stammkraft. Der Linkshänder verteidigte auf der Halbposition und entlastete damit Superstar Mathias Gidsel. In der Offensive unterstrich Kirkeløkke wiederum seine Vielseitigkeit als treffsicherer Rechtsaußen. Eine ungewohnte Rolle für ihn, die er nur wenig später aber auch im Löwen-Trikot sensationell ausfüllte. Als die Mannheimer im April den DHB-Pokal gewannen und Kapitän Patrick Groetzki krankheitsbedingt fürs Finalturnier ausfiel, musste Kirkeløkke erneut auf dem Flügel ran und gehörte beim Coup von Köln zu den absoluten Sieggaranten.
Der Ersatz spielt beim Gegner
Hinze schätzt die Anpassungsfähigkeit und Variabilität dieses Mannes, der mit Wurfgewalt selbst Tore erzielen kann oder auch kreative Dienstelsitungen im Angebot hat, um seine Nebenleute zu bedienen. Dazu kommen die Deckungsleistung und - falls es noch einmal notwendig sein sollte - die Variante mit der Rechtsaußenposition. „Niclas ist sehr sicher in dem, was er tut. Wir sind glücklich über seine Entwicklung“, sagt Hinze.
In seinem fünften Jahr scheint Krikeløkke also endlich beim zweifachen deutschen Meister angekommen zu sein, was fraglos schön für den Handball-Bundesligisten ist. Wäre da nicht die aus Löwen-Sicht ein wenig bittere Pointe, dass sich der Däne auf seiner Abschiedstournee befindet. Zwar fehlt nach wie vor die offizielle Bestätigung, aber nach Informationen dieser Redaktion ist der Wechsel des Linkshänders zur SG Flensburg-Handewitt im Sommer 2024 seit vielen Monaten bereits fix. Die Löwen haben sogar schon einen Ersatz besorgt. Sie bekommen ihn am Samstagabend zu Gesicht: Ivan Martinovic von der MT Melsungen.
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