Handball - Bei der EM gewinnt man langsam einen Eindruck davon, wer künftig die DHB-Auswahl prägen soll / Dienstag gegen Polen

Bei der Handball-EM zeigt sich die nächste DHB-Generation

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Marc Stevermüer
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Gegenwart und Zukunft der Nationalmannschaft: Sebastian Heymann, Till Klimpke und Lukas Mertens (v.l.). © dpa

Bratislava. Das Lob aus der mittelhessischen Heimat riss nicht ab. „Mir wurde gesagt, dass ich es ganz gut gemacht habe“, berichtete Till Klimpke am Montagmorgen in Bratislava mit einem breiten Grinsen von vielen Gesprächen, die er in den Stunden zuvor geführt hatte. Mit 14 Paraden trug der 23-jährige Torwart am Sonntagabend bei der Europameisterschaft seinen Teil zum 34:29 Sieg der Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) über Österreich bei und wischte damit auch den Eindruck vom Auftaktspiel gegen Belarus weg, als er keinen Ball hielt und früh ausgewechselt wurde. Wenn man so will, lernte der Wetzlarer da die EM kennen. Doch nun hat sie ihn kennengelernt. Was übrigens auch für ein paar andere gilt.

Waren im ersten Turnierspiel noch die erfahrenen Kräfte wie Kai Häfner und Philipp Weber entscheidende Figuren für den Sieg, so setzten diesmal die Unerfahrenen Akzente. Klimpke machte sich im Tor so groß wie ein Bär, der sich auf die Hinterbeine stellt. Sebastian Heymann feuerte Würfe ab, als habe er ein Katapult in seinem Arm. Luca Witzke spielte auf der Mitte so unaufgeregt, als koche er sich gerade einen Kaffee. Lukas Mertens erzielte Tore mit einer Selbstverständlichkeit, als spiele er schon seine dritte EM. Und Christoph Steinert war nicht nur überall zu finden, sondern tat auch instinktiv das Richtige.

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Gislasons Metamorphose

Das Bemerkenswerte: Keiner aus diesem Quintett hat 20 Länderspiele absolviert, geschweige denn ein Turnier gespielt. Und mit Ausnahme von Allzweckwaffe Steinert (31 Jahre) ist niemand älter als 25 Jahre, weshalb man langsam eine Ahnung davon bekommt, warum Bundestrainer Alfred Gislason von „schönen Momenten“ spricht, die dieses Team dem deutschen Handball in der Zukunft bescheren könnte.

Für die Heim-EM 2024 kommen all diese Profis infrage, für die Heim-WM 2027 - außer Steinert - ebenfalls. Dazu gesellen sich die jungen - aber erfahrenen - Timo Kastening (26) und Johannes Golla (24). Sie sind die Stützen dieser rundum erneuerten Auswahl, die sicherlich noch nicht fertig mit ihrer Entwicklung ist, aber gerade Fahrt aufnimmt. Das Team der Zukunft überlistete gegen Österreich zumindest schon mal die Gegenwart, was Gislason ein gutes Gefühl vor dem Vorrunden-Abschluss am Dienstag (18 Uhr) gegen Polen gibt. „Viele Spieler, die zum Auftakt gegen Belarus wenig oder gar nicht zum Einsatz kamen, haben diesmal sehr gut gespielt. Das gibt mir die Gewissheit und die Sicherheit, dass ich in schwierigen Phasen auf jeden zählen kann, dass alle mit Druck umgehen können“, sagte der Bundestrainer, der in seiner bisherigen Karriere weniger dafür bekannt war, dem Nachwuchs eine Chance zu geben.

Doch bei der EM vollzieht gerade auch der Isländer eine nicht unbedingt erwartete Metamorphose. Er verleiht dem Aufbruch in die nächste Epoche durch das Vertrauen in die Jugend eine gewisse Substanz und Glaubwürdigkeit. Selbst als die Österreicher zur Pause führten, beorderte der 62-Jährige nicht die Routiniers aufs Feld, um den Schaden zu beheben, sondern vertraute den unerfahrenen Kräften, die den Bundestrainer anschließend nicht enttäuschten und die Trainingseindrücke bestätigten. Routinier Häfner sprach von einer „brutalen Qualität“ der Jungen. Und der momentan wegen einer Corona-Infektion fehlende Julius Kühn merkte noch kurz vor dem EM-Start an, dass die Älteren bei den Einheiten in der Halle „Vollgas“ geben müssen: „Ansonsten hält man nicht mehr mit und sieht blöd aus.“

Es tut sich also etwas. Die nächste Generation erlaubte es Gislason gegen Österreich sogar, zwischenzeitlich auf einen Abwehr-Angriff-Wechsel zu verzichten. Alle aufstrebenden Kräfte haben Qualitäten auf beiden Seiten des Spielfeldes. Sie bieten also genau das Rundum-sorglos-Paket, das immer wichtiger wird und entsprechend im Taktik-Weltbild des Bundestrainers eine gewisse Bedeutung hat.

Wohin all das bei dieser Europameisterschaft noch führen kann, lässt sich allerdings trotz der guten ersten Eindrücke nicht zuverlässig prognostizieren. Belarus und Österreich waren die zwei schwächsten Gegner - und noch immer kann es sein, dass diese deutsche Mannschaft das Turnier mit mehr Niederlagen als Siegen beendet.

Gegen Polen wird es am Dienstag schon deutlich schwieriger, die Herausforderungen in der Hauptrunde wie etwa Titelverteidiger Spanien gehören auch zu den anspruchsvolleren. Bekanntlich wächst man aber an seinen Aufgaben. Insbesondere in jungen Jahren.

Redaktion Handball-Reporter, Rhein-Neckar Löwen und Nationalmannschaft

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