Lean Bergmann hätte mit vielem gerechnet - damit aber nicht. Im März gerät für den Stürmer der Adler Mannheim die Welt aus den Fugen. „Ich war damals richtig krank“, erinnert sich der 23-Jährige. Er spürt, dass ihm etwas fehlt, die Diagnose schockt ihn trotzdem. Als ihm einer der Teamärzte den Rat gibt, sich im Krankenhaus durchchecken zu lassen, befolgt er diesen zwar. Als Leistungssportler, dessen Kapital der eigene Körper ist, fühlt er sich aber trotz seines deutlich angeschlagenen Gesundheitszustands unverwundbar.
Die Diagnose offenbart dem Eishockey-Nationalspieler jedoch, dass es einen Muskel in seinem Körper gibt, dem es nicht gut geht. Kein Trizeps oder Bizeps, der sich mit einigen Stunden im Fitnessstudio wieder hätte auf Vordermann bringen lassen können, sondern einer, an den ein gesunder Mensch keinen Gedanken verschwendet - erst recht kein Sportler, der es gewohnt ist, in seinem Beruf die Grenzen seines Körpers auszuloten. Die Ärzte entnehmen Bergmann Blut und stellen fest, dass zwei Enzymwerte zu hoch sind. Weitere Untersuchungen führen zur Diagnose, die die Saison des Außenstürmers abrupt beendet: Myokarditis, eine Entzündung des Herzmuskels.
Lean Bergmann
- Lean Bergmann wurde am 4. Oktober 1998 in Hemer (Sauerland) geboren.
- Der Außenstürmer begann seine Karriere bei seinem Heimatverein in Iserlohn. Nach einer Spielzeit in der Schüler-Bundesliga für die U 16 des Mannheimer ERC (Saison 2012/13) zog es ihn nach Schweden und in die USA.
- Nach 20 Toren in seinem ersten Profijahr für die Iserlohn Roosters in der Deutschen Eishockey Liga (2018/19) wechselte Bergmann in die Organisation der San Jose Sharks. In zwei Jahren für den Club von der US-Westküste kam er auf 13 NHL-Spiele (eine Vorlage).
- Zur Saison 2021/22 kehrte der Nationalspieler nach Mannheim zurück. Für die Adler absolvierte er seitdem 32 DEL-Spiele (neun Tore, fünf Vorlagen).
„Das ist eine üble Sache, wenn man es hört“, sagt Bergmann. Zumal ihn die Hiobsbotschaft aus heiterem Himmel trifft, noch gut zwei Wochen zuvor hatte der gebürtige Sauerländer die deutschen Farben bei den Olympischen Spielen in Peking vertreten: „Und dann lag ich mit Fieber eingesperrt in einem Keller des Krankenhauses, da ich auch noch Corona hatte. Und es wurde mir gesagt, dass ich sehr wahrscheinlich eine Herzmuskelentzündung habe. Das ist sehr hart, denn man weiß nicht gleich, was das für einen bedeutet.“
Wenige Tage zuvor haben die Adler vermeldet, dass Bergmann wegen einer Beinverletzung einige Wochen zum Zuschauen verdammt sein würde. Am 15. März informieren sie darüber, dass für den Angreifer nicht nur die Saison vorzeitig beendet ist. Eine Prognose, wann der 23-Jährige überhaupt wieder Eishockey spielen kann, fügen sie nicht an. Ganz einfach deshalb, weil sich das zum damaligen Zeitpunkt nicht gewissenhaft prognostizieren lässt.
Das Schlimmste ist, dass man etwas machen will, aber nicht kann.
Jetzt, im Rückblick, ist Bergmann schlauer. Und obwohl es bei einer solch ernsthaften Erkrankung fast wie Hohn klingt, hatte er noch Glück. „Ich hatte nur eine leichte Herzmuskelentzündung“, erklärt er. Für den Zeitraum von neun Wochen sprechen die Ärzte ein striktes Sportverbot aus. „Ich habe wirklich gar nichts gemacht. Dann durfte ich für drei, vier Wochen ein Aufbautraining beginnen mit einem Puls von unter 130“, schildert Bergmann den Prozess, bei dem Geduld oberstes Gebot ist - vor allem für einen Leistungssportler, der von einem Körper erwartet, dass er funktioniert.
„Das Schlimmste an dieser Situation ist, dass man etwas machen will, aber nicht kann. Man ist dazu verdammt, auf der Couch zu liegen“, betont Bergmann. Das Sich-Bremsen geht so weit, dass er in seiner Wohnung nicht ohne Pause in die obere Etage geht. Nicht, weil er dafür zu kaputt wäre, sondern um den Puls so niedrig wie möglich zu halten. „Ich bin fünf Treppenstufen gegangen, habe mich hingesetzt - und erst nach zwei Minuten ging es weiter. Das ist schon ziemlich nervig“, betont er. Rausgehen und Leute treffen, ist vor diesem Hintergrund auch eher keine gute Idee. Zu Beginn der Erkrankung meidet Bergmann sogar die Spiele seines Teams in der Mannheimer SAP Arena, um den Puls auch nicht nur minimal zu erhöhen. Aus dem gleichen Grund ist zunächst auch Stretchen verboten - es würde ja das Herz-Kreislaufsystem zu sehr anregen.
Myokarditis
- Eine Myokarditis ist definiert als Entzündung des Herzmuskels. Häufigste Ursache ist eine Infektion durch Viren.
- Typische Symptome sind unter anderen Atemnot, Brustschmerzen oder Brustenge, ausgeprägtes Herzklopfen, Herzrhythmusstörungen, Schwindel oder Ohnmacht.
- Eine Infektion mit dem Coronavirus stellt ein erhöhtes Risiko für eine Myokarditis dar. Studien zufolge soll es höher sein als das nach einer Impfung mit einem mRNA-Impfstoff.
- Bei einer Herzmuskelentzündung ist strikte körperliche Schonung angesagt. Sport ist tabu, um das Herz nicht zu überlasten.
Die gute Nachricht: Seit zwei Wochen sind alle Restriktionen aufgehoben. „Mir geht es eigentlich super. Ich habe keine Beschwerden mehr“, unterstreicht Bergmann, schränkt allerdings ein: „Ab und zu gibt es mal ein Stechen in der Brust. Aber das ist wohl nicht auf die Herzsache zurückzuführen. Ich kann wieder 100 Prozent gehen. Und mein Körper springt auch enorm auf das Training an. Er fühlt sich gesund an, das ganze übliche Ziehen und Zicken ist weg.“
Bergmann ist - so charakterisiert er sich jedenfalls selbst - kein Grübler. Gedanken über die Zukunft habe er sich kaum gemacht. Jedenfalls nicht mehr als ohnehin schon. „Ich war mir der Risiken bewusst, die ich als Leistungssportler eingehe. Was gebe ich dafür auf? Was könnte Corona oder die Impfung gegen das Virus für negative Folgen haben? Das sind Fragen, die ich mir ohnehin gestellt habe“, verdeutlicht er. So spielt es für ihn auch nicht die größte Rolle, was zur Herzmuskelentzündung geführt hat. „Die genaue Ursache ist unklar, das muss man unterstreichen. Das konnte mir kein Arzt abschließend sagen“, betont er.
Obwohl sich Bergmann den Optimismus nicht nehmen lassen will und er schon darauf brennt, im Juli nach vier quälend langen Monaten wieder auf dem Eis zu stehen, hat er die vergangenen Wochen doch auch genutzt, um innezuhalten.
Ich vermeide unnötige Fette, schlechten Zucker und industrielle Sachen.
Zum Beispiel hat er seine Ernährung ein wenig umgestellt, nachdem er sich mit dem Wolfsburger Verteidiger Janik Möser und Bundestrainer Toni Söderholm ausgetauscht hat. Möser, der zuvor nach einer Corona-Erkrankung eine Herzmuskelentzündung davongetragen hatte, rät ihm zu Roter Bete, Söderholm zu Kurkuma-Saft. „Ich weiß zwar, dass Rote Bete gesund fürs Herz sein soll, aber das war für mich das Schlimmste von allem“, sagt Bergmann und lacht. Seine Ernährung hat er vielleicht nicht auf den Kopf, aber doch umgestellt: „Ich vermeide unnötige Fette, schlechten Zucker und industrielle Sachen. Ich esse viele Früchte, Kräuter wie Schnittlauch - und habe entsprechende Pflanzen in der Küche stehen.“
Das sind die Erfahrungen anderer Spitzensportler mit Herzmuskelentzündungen
- Der bekannteste Fall einer Herzmuskelentzündung in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) ist der von Janik Möser. Der gebürtige Mannheimer, der vor zwei Jahren von den Adlern zu den Grizzlys Wolfsburg wechselte, erkrankte Ende 2020 an einer Myokarditis. Es gilt als wahrscheinlich, dass die Ursache eine Infektion mit dem Coronavirus war. „Außer Corona war bei Janik nichts festzustellen, was der Auslöser hätte sein können“, sagte Axel Gänsslen, der Teamarzt der Grizzlys, den „Wolfsburger Nachrichten“.
- Der Fall Möser war mitentscheidend dafür, dass in der DEL ein Umdenken einsetzte. Es wurde ein sogenanntes Return-To-Play-Protokoll eingeführt. An diese strikte Richtlinie mussten sich die Profis nach einem positiven Coronatest halten, ehe sie in den Spielbetrieb zurückkehren durften.
- Rune Jarstein, norwegischer Torhüter des Fußball-Bundesligisten Hertha BSC Berlin, musste nach einer Herzmuskelentzündung infolge einer Corona-Infektion fast ein halbes Jahr aussetzen. Der 37-Jährige wurde zeitweise sogar in einem Krankenhaus behandelt. „Ich konnte nicht einmal Fußball auf dem iPad schauen. Ich war in der Zeit zweimal an der frischen Luft, musste dabei im Rollstuhl sitzen“, berichtete er und betonte gegenüber der „Bild“-Zeitung: „Ich bin nach meiner Erkrankung noch einmal geimpft worden. Ich finde es gut und wichtig, das zu machen. Ich bin ganz klar für die Impfung. Vielleicht hätte es mich nicht so hart erwischt, wenn ich mich im Frühling schon hätte impfen lassen können.“
- Auch Alphonso Davies, Fußballprofi beim deutschen Rekordmeister FC Bayern München, trug nach einer Corona-Infektion eine leichte Myokarditis davon. „Wenn du an so etwas leidest, merkst du es für gewöhnlich nicht. Du bemerkst nur, dass du nicht bei 100 Prozent bist, wenn du dich bewegst. Nach solch einer Infektion projizierst du das als Spieler nicht auf das Herz, sondern rechnest mit einer Nachfolge der Infektion“, sagte Bayern-Coach Julian Nagelsmann im Januar dem TV-Sender Sky.
Einen Tag hat sich Bergmann bereits dick im Kalender angestrichen: Am 12. August, wenn die Adler zum Testspiel-Auftakt bei den Löwen Frankfurt antreten, will er wieder dabei sein. Dass sich sein Team nicht für die Champions Hockey League qualifiziert hat, komme ihm zugute: „Es ist einfach so, dass ich noch viel aufzuarbeiten habe. Ich werde mein Sommertraining auch so timen, dass ich zum DEL-Saisonstart in Spitzenform bin und nicht schon in der ersten Augustwoche. Das wäre zum einen kaum möglich, zum anderen muss man sich vor Augen halten, dass die Saison wieder sehr lang ist. Man kann nicht von Anfang August bis Mitte Mai Topform haben.“
Bergmanns Welt wurde im März einer harten Belastungsprobe ausgesetzt. Doch sie ist im Begriff zu heilen - so, wie es der entzündete Herzmuskel bereits getan hat.
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