Mannheim. Als Borussia Dortmund in der Verlängerung geschlagen und die Sensation perfekt war, beendete der später beim „Wunder von Bern“ legendär gewordene Radio-Journalist Herbert Zimmermann seine Reportage mit dem Satz: „Ein Spiel, von dem man noch in fernen Zeiten sagen wird: Weißt du noch, 1949?“
VfR Mannheim - Dortmund 3:2 n. V.
VfR Mannheim: Hermann Jöckel; Eugen Rößling, Philipp Henninger; Jakob Müller, Kurt Keuerleber, Rudi Maier; Fritz Bolleyer, Ernst Langlotz, Ernst Löttke, Kurt Stiefvater, Rudolf de la Vigne. Trainer: Hans Schmidt
Borussia Dortmund: Günther Rau; Heinrich Ruhmhofer, Erwin Halfen; Wilhelm Buddenberg, Paul Koschmieder, Erich Schanko; Herbert Erdmann, Max Michallek, Edmond Kasperski, Alfred Preißler, Friedrich Ibel. Trainer: Edy Havlicek.
Tore: 0:1 Erdmann (5.), 1:1 Löttke (74.), 1:2 Erdmann (82.), 2:2 Langlotz (85.), 3:2 Löttke (108.).
Zuschauer: 92 000
Schiedsrichter: Egon Zacher (Berlin).
Wie oft diese Frage im Lager des VfR Mannheim und in der gesamten Stadt in den Jahrzehnten danach noch gestellt wurde, hat natürlich niemand festgehalten, doch die erste und bislang auch einzige deutsche Fußball-Meisterschaft für einen Club aus der Quadratestadt am 10. Juli 1949 hat bis heute Spuren hinterlassen - nicht zuletzt bei denen, die diesen Meilenstein Mannheimer Sportgeschichte noch selbst miterleben durften.
Fritz Ritter war einer von mindestens 92 000 Zeitzeugen der Meisterschaft des VfR Mannheim
Einer davon ist Fritz Ritter, der damals als zwölfjähriger Jugendspieler des VfR in Stuttgart unter den mindestens 92 000 Zuschauern mit dabei sein durfte. „Wir haben gerade noch den letzten Sonderzug für die VfR-Jugend erwischt, andere sind sogar mit dem Fahrrad gefahren“, erinnert sich der heute 87-Jährige an diesen brutal heißen Juli-Tag, der im Stadion dann gar nicht gut für den VfR begann.
Schon nach fünf Minuten lag der Außenseiter mit 0:1 zurück, das Schicksal schien für die Mannheimer seinen vorbestimmten Lauf zu nehmen. Auch Ritter hatte da eigentlich keine Hoffnung mehr, wie er heute zugibt. Aber das spätere 2:2 durch Ernst Langlotz, das fünf Minuten vor dem Abpfiff die Verlängerung erzwang, hat sich dem späteren Bäckermeister vom Almenhof tief ins Gedächtnis eingebrannt. „Wir saßen hinter dem Tor auf der Aschenbahn, ich konnte das Tor genau sehen“, leuchten Ritters Augen auch heute noch, wenn er davon erzählt.
300 000 Menschen bereiteten den VfR-Helden in Mannheim unbeschreiblichen Empfang
Der Rest ist Fußball-Geschichte, die am nächsten Tag ihre Fortsetzung fand. Über 300 000 Menschen bereiteten den Helden von Stuttgart einen unbeschreiblichen Empfang in der noch immer von Trümmern geprägten Innenstadt. Ritter und seine Mitspieler aus der VfR-Jugend hätten Spalier stehen und Blumensträuße überreichen sollen. Doch die Menschenmengen stellten die geplanten Abläufe auf den Kopf, an die VfR-Spieler war in dem ganzen Trubel kein Herankommen.
Dank der „Kanadier“ zum Titel
Hintergrund: Quintett aus Lager 133 macht Unterschied
Dass der VfR Mannheim 1949 deutscher Meister wurde, war an sich schon eine Sensation, ohne das Mitwirken von fünf ehemaligen Kriegsgefangenen aus dem kanadischen Camp 133 in Lethbridge allerdings völlig undenkbar – dieses Quintett machte den Unterschied.
Vor und unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg war der VfR zwar fester Bestandteil der Oberliga Süd, der Blick ging allerdings eher nach unten. Das änderte sich schlagartig, als die Kicker, die sich in kanadischer Kriegsgefangenschaft kennengelernt hatten, ihren Schwur wahr machten und nach ihrer Freilassung gemeinsam für die Mannheimer auf Torejagd gingen. Schon das Lagerleben in Alberta ließ Rudolf de la Vigne, Philipp Henninger, Hermann Jöckel, Jakob Müller, Ernst Langlotz und Herbert Senck immer mal wieder Freiraum zum gemeinsamen Fußballspielen, in Mannheim hoben sie das Spiel der Blau-Weiß-Roten dann auf ein neues Niveau. Vor allem „Bella“ de la Vigne, der als Letzter nach Mannheim kam, war ein für seine Zeit begnadeter Techniker und begeisterte Fans wie Fachwelt gleichermaßen. „Sein Stil wirkt selbst auf den anspruchsvollsten Ästheten überaus attraktiv“, schrieb die „Sport Illustrierte“. Fünf der sechs Kanadier standen dann auch in der Startelf von Stuttgart – und schrieben Geschichte. th
„Irgendwann haben uns die Leute die Blumen dann einfach aus der Hand gerissen und sie auf die Spieler geworfen“, lacht Ritter, der den VfR Mannheim im Herzen behalten hat - auch wenn er ab 1959 die Bäckerei des früh gestorbenen Vaters übernehmen musste und zum Kicken keine Zeit mehr blieb. Doch die Kappe mit dem Logo hängt immer griffbereit an der Türklinke, zu den Spielen lässt sich der Zeitzeuge von 1949 von seiner Familie im grauen Vereins-Poloshirt bringen, über die neuesten Entwicklungen bei den Rasenspielern informiert er sich im „Mannheimer Morgen“.
Nicht weniger intensiv ist die Verbindung zum VfR für Wolfgang Stiefvater - auch wenn der Malermeister nicht zu den Zeitzeugen von 1949 gehört. Aber bei seinem Nachnamen klingelt es bei allen Mannheimer Fußball-Experten, die etwas auf sich halten. Schließlich gehörte sein Vater Kurt zur legendären Meister-Elf von Stuttgart. Sicher hätte Wolfgang Stiefvater seinen Vater später nochmals gerne gefragt, wie das denn nun genau war in Stuttgart und mit der Meisterschale, doch Kurt Stiefvater starb 1971 im Alter von nur 47 Jahren.
Der kleine Wolfgang war da gerade sieben Jahre alt. Erinnern kann sich der spätere Fußballer und Schiedsrichter deshalb nur an den Rummel, der immer um seinen Papa herrschte, wenn der auf einem Fußballplatz auftauchte. „Da war ich zwei Mal mit dabei unddas fand ich als Kind immer etwas befremdlich“, blickt Stiefvater heute zurück. Zudem musste er als Spieler auch immer die Vergleiche mit seinem berühmten Vater aushalten, was sicher nicht immer einfach wahr.
Kurt Stiefvaters Auszeichnungen werden heute vom Enkel gehütet
Der VfR und der Titel hallten in der Familie Stiefvater, die lange in der Soironstraße unmittelbar beim alten VfR-Platz an den Brauereien wohnte, aber dennoch lange nach. Das große Bild der Meister-Elf mit den Original-Unterschriften, das Nadelkissen mit den Auszeichnungen für Kurt Stiefvater und die Goldene Nadel des DFB für den Titel hütet heute Kurt Stiefvaters Enkel Raphael, der sogar vor seinem Vater Wolfgang den Weg an die Pfeife fand und vor zehn Jahren das Jubiläumsspiel anlässlich des 65. Jahrestags des Titelgewinns zwischen den Traditionsmannschaften des VfR Mannheim und Borussia Dortmund pfiff. So schloss sich ein weiterer Kreis, Wolfgang Stiefvater ist als langjähriges Mitglied des VfR-Freundeskreises allerdings niemand, der allzu oft in die Vergangenheit schaut.
„Viel wichtiger ist die Zukunft“, sagt Stiefvater und hat angesichts der über 20 Jugendmannschaften, der Integrationsarbeit und der aufstrebenden Sparte Mädchenfußball weiter viel Spaß an „seinem“ VfR. Den verfolgt er mittlerweile nach seinem Umzug nach Hamburg von der Waterkant aus und gönnt es den verblieben Zeitzeugen natürlich dennoch, wenn sie sich am 10. Juli wieder fragen: „Weißt du noch, 1949?“
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