Interview

Mannheimer Experte: Die CDU hat in Berlin schlechtere Karten

Der Mannheimer Politikwissenschaftler Marc Debus erklärt im Interview, warum aus dem strahlenden Sieger der Wiederholungswahl in Berlin ein Verlierer werden kann

Von 
Walter Serif
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Franziska Giffey will Regierende Bürgermeisterin bleiben, obwohl ihre SPD bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus nur auf Platz zwei gelandet ist. © W. Kumm/dpa

Mannheim. Herr Debus, Franziska Giffey will nach ihrer Wahlschlappe einfach auf ihrem Stuhl sitzen bleiben. Geht das wirklich?

Marc Debus: Natürlich. Die drei Regierungsparteien SPD, Grüne und Linke haben Stimmen verloren. Sie haben aber auch noch immer eine Mehrheit. Und darauf kommt es ja an. Außerdem ist die programmatische Schnittmenge zwischen den Koalitionspartnern recht hoch. Es gibt bereits Signale aus dem Regierungslager, die auf eine Fortsetzung des Bündnisses hinweisen. Insofern geht das, natürlich mit dem Malus, dass die nächste Regierung dann aus Wahlverlierern bestehen würde.

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Die CDU interpretiert ihren Wahlsieg als klaren Regierungsauftrag. Sie würde es deshalb für „ausgesprochen unanständig halten“, wenn Rot-Grün-Rot einfach weitermachen würde.

Debus: Das hat nichts mit „anständig“ oder „unanständig“ zu tun. Ich kann mich nur wiederholen: Es geht in Vielparteiensystemen darum, Mehrheiten in den Parlamenten zu organisieren. Wenn das drei kleinere Parteien besser hinbekommen als eine große, ist das ein demokratischer Prozess, der völlig in Ordnung geht. Die CDU hat deshalb die schlechteren Karten in Berlin. Übrigens ist das ihren Parteifreunden in Baden-Württemberg 2011 auch passiert. Die CDU gewann damals mit 39 Prozent die Landtagswahl, Ministerpräsident wurde aber Winfried Kretschmann von den Grünen, die nur 24,2 Prozent holten.

Und Armin Laschet wollte nach der Bundestagswahl 2021 auch eine Regierungskoalition zimmern, obwohl die Union nur den zweiten Platz belegte.

Debus: Genau. Jede Partei versucht, an die Regierung zu kommen. Natürlich hat die Partei, die die meisten Stimmen holt, in der Regel einen gewissen Vorteil, weshalb ja traditionell die stärkste Fraktion zuerst die Gespräche führt. Aber ohne Einigung bringt dieser Vorteil nichts.

Politikwissenschaftler Marc Debus © Elisa Berdica

Die SPD hat in Berlin nur 105 Stimmen mehr geholt als die Grünen. Warum sollen diese der SPD bei einem solch knappen Ergebnis das Amt der Regierenden Bürgermeisterin überlassen?

Debus: Weil auch hier das Prinzip gilt: Mehrheit ist Mehrheit, auch wenn sie noch so knapp ist. Genauso wird Giffey argumentieren. Das wird den Grünen nicht gefallen, sie können aber bei Koalitionsverhandlungen wahrscheinlich inhaltlich und personell mehr für sich herausschlagen als ihnen eigentlich zusteht. Die SPD muss sich den Machterhalt also teurer erkaufen als bei der Pannen-Wahl 2021, bei der sie ja noch auf dem ersten Platz landete.

Könnten die Grünen in einem Bündnis mit der CDU nicht noch mehr für sich herausschlagen?

Debus: Das stimmt nur bedingt. Am meisten kann man mit Parteien durchsetzen, die einem programmatisch nahestehen. Die Grünen und die CDU passen in Berlin kaum zusammen, denken Sie an die Verkehrs- oder Wohnungsbaupolitik.

Es gibt also kein Erpressungs-potenzial für die Grünen?

Debus: Nicht wirklich. Sie würden in einer schwarz-grünen Koalition nicht das Amt der Bürgermeisterin bekommen und könnten weniger ihre Positionen durchsetzen als in einer rot-grün-roten Koalition.

Marc Debus

  • Marc Debus wurde 1978 in Biedenkopf (Hessen) geboren.
  • Er studierte an den Universitäten in Marburg und Mannheim Politikwissenschaft und Soziologie.
  • Debus ist Professor für Vergleichende Regierungslehre an der Universität Mannheim. Sein Spezialgebiet sind Koalitionstheorien. was

Wie sind die Auswirkungen der Wahl auf die Bundespolitik?

Debus: Das Ergebnis ist vor allem für die FDP sehr enttäuschend, die ja aus dem Abgeordnetenhaus geflogen ist. Das ist den Liberalen seit der Bundestagswahl 2021 schon bei der Landtagswahl in Niedersachsen passiert und im Saarland verfehlten sie erneut die Fünf-Prozent-Hürde. Da setzt sich also ein gewisser Trend fort. Die FDP wird versuchen, ihr Profil in der Ampel zu schärfen. Die Tatsache, dass viele ihrer Anhänger die Koalition mit der SPD und den Grünen nicht mögen, erhöht den Druck auf die FDP-Politiker, sich klarer von den Partnern abzugrenzen.

Das wird dann unweigerlich zu mehr Streit in der Ampel führen.

Debus: Ja, Krawall ist durchaus möglich, weil es noch ein anderes Problem in der Koalition gibt, nämlich das im Vergleich zur SPD recht gute Abschneiden der Grünen in Berlin. Schon jetzt profilieren sie sich in der Außen- und Verteidigungspolitik auf Kosten der SPD und Bundeskanzler Olaf Scholz. Die Sozialdemokraten haben zwar bei den vergangenen Landtagswahlen das Saarland gewonnen und Niedersachsen verteidigt, unterm Strich war ihr Abschneiden aber eher schlecht.

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Traditionell schneiden die Koalitionsparteien nach Bundestagswahlen eher schlecht ab.

Debus: Das stimmt. In der Regel lässt sich da immer ein gewisser Abstrafungseffekt ablesen. Das ist jetzt auch bei der Wahl in Berlin der Fall. Allerdings hat dort der Sieg der CDU auch seine Schattenseiten. Erstens trauen ihr die Berliner nicht zu, dass sie es besser machen wird als Rot-Grün-Rot. Außerdem hat die CDU zwar um zehn Prozentpunkte zugelegt, im Ergebnis ist das aber nicht einmal ein Drittel der Wählerstimmen. Früher holte die Union in Berlin mehr als 40 Prozent. Wir haben es hier also mit einer Fragmentierung des Parteiensystems zu tun, kombiniert mit einer Polarisierung.

Im Bund ist es ja ähnlich. Die Union liegt im Politbarometer seit Monaten auf Platz eins, kommt aber auch nur auf Werte zwischen 25 und 27 Prozent.

Debus: Das ist eine Führung auf relativ niedrigem Niveau, das in keinem Verhältnis zu den Ergebnissen der Union bei Bundestagswahlen in der Ära Merkel steht. Die Union kann mit solchen Werten nicht darauf vertrauen, dass sie es in die Regierung schafft. Wenn es zusammen mit der FDP nicht reicht und es programmatisch nicht mit den Grünen funktioniert, bringt der Union der erste Platz nichts.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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