Gesundheit

Immer mehr Arzneimittel verzweifelt gesucht

Eine Infektionswelle verschärft die Engpässe bei Medikamenten. Auch in den Kliniken wird es knapp

Von 
Julia Emmrich
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Viele Kinder sind erkrankt – doch Hilfe zu bekommen, ist derzeit nicht selbstverständlich. Es fehlt an Medikamenten, Arztterminen, Krankenhausbetten. © Annette Riedl/dpa

Berlin. Knapp zehn Millionen Deutsche leiden akut an Atemwegserkrankungen – vor allem in Kitas und Schulen folgt eine Infektionswelle auf die andere. Doch wer in diesen Tagen Hustensaft und Fiebersenker kaufen will, bekommt oft nicht, was er haben möchte. Gesundheitsminister Karl Lauterbach sicherte am Donnerstag der Kindermedizin schnelle Unterstützung zu. Denn: Es fehlt nicht nur an Medikamenten, sondern auch an freien Terminen beim Kinderarzt und freien Betten in den Krankenhäusern.

„Wir werden es nicht zulassen, dass die Kinder, die in der Pandemie so viel aufgegeben haben, jetzt nicht die Versorgung bekommen, die sie brauchen“, sagte der SPD-Politiker. Kinderarztpraxen sollen besser honoriert werden, in den Kinderkliniken sollen Honorarkräfte kurzfristig das Pflegepersonal entlasten.

Lauterbach schloss nicht aus, dass in einem nächsten Schritt notfalls planbare Eingriffe für Erwachsene verschoben werden könnten. In der kommenden Woche sollen zudem Maßnahmen gegen Lieferengpässe bei Medikamenten auf den Weg gebracht werden. „Wir sind auch in diesem Bereich mit der Ökonomisierung zu weit gegangen“, so Lauterbach.

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Eva Baumgartner
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Apotheken und Kliniken fehlen derzeit neben Fiebersäften auch Schmerzmittel und Antibiotika, immer wieder gibt es Mangellagen auch bei Magensäureblockern, Blutdruckmitteln und Medikamenten für die Krebstherapie. Die Lage sei in vielen Fällen sehr dramatisch, sagte der Vorsitzende des Apothekerverbands Nordrhein, Thomas Preis, am Donnerstag im Deutschlandfunk. Er und viele seiner Kollegen seien inzwischen seit 30 Jahren im Beruf und hätten so etwas noch nie erlebt. Man gehe von über 1000 Medikamenten aus, die derzeit fehlten.

Produktionen verlagert

Als Gründe für den Mangel gelten neben der großen Nachfrage aufgrund der Infektionswelle vor allem Lieferkettenprobleme. Die Apotheker warnen seit langem vor den Folgen der Verlagerung von Produktionsstätten außerhalb Europas, vor allem nach Indien und China. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) begründet die angespannte Lage mit enormem Kostendruck. Um Geld zu sparen, setzten Hersteller auf eine Produktion in Asien. Fallen Chargen aus oder Transporte verspäteten sich, habe das Folgen für das Angebot. Es gibt aber auch andere Gründe für den Mangel: Das Fieber- und Schmerzmittel Paracetamol komme aktuell vor allem wegen Streiks in Frankreich nicht in ausreichender Menge auf den deutschen Markt, heißt es im Gesundheitsministerium.

Gegen die Lieferengpässe will Lauterbach Änderungen beim Vergaberecht durchsetzen: Das Ziel sei es, Lieferketten breiter anzulegen, damit die Abhängigkeit von einzelnen Herstellern abnimmt. Und: Die Krankenkassen sollten nicht länger gezwungen sein, Medikamente und Wirkstoffe dort einzukaufen, wo sie am billigsten sind. Es könne nicht sein, dass versucht werde, bei den Wirkstoffen zum Teil ein paar Cent zu sparen und damit die Versorgung der Bevölkerung zu riskieren. Vielen Kritikern reicht das nicht: Der Kinderärzteverband fordert von Lauterbach eine „Beschaffungsaktion“ wie zu Beginn der Corona-Pandemie, die Union verlangt noch vor Jahresende einen „Beschaffungsgipfel von Bund und Ländern“.

Die deutschen Krankenhäuser warnen ebenfalls vor wachsenden Engpässen bei wichtigen Medikamenten – etwa Antibiotika, Krebsmedikamenten und Notfallpräparaten für Infarkt- und Schlaganfallpatienten: „Zunehmend verursachen Lieferengpässe große Probleme – auch im Krankenhaus“, sagte Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), unserer Redaktion. 40 Prozent der Lieferengpässe, die dem Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM) im 3. Quartal 2022 gemeldet worden seien, beträfen die Kliniken.

Probleme bei Basisversorgung

Die größte Herausforderung stellten Lieferengpässe bei Notfallmedikamenten dar, wie seit April dieses Jahres beim Wirkstoff Alteplase. Dieser werde als lebensrettende Maßnahme zum Beispiel nach Herzinfarkt und Schlaganfällen eingesetzt, Alternativen seien rar oder fehlten ganz. Sehr problematisch seien in der derzeitigen Welle von Atemwegserkrankungen aber auch fehlende Mittel wie beispielsweise das Breitband-Antibiotikum Amoxicillin.

In diesem Jahr seien viele Arzneimittel betroffen, die zur Basisversorgung zählten. „Im Moment haben wir Probleme bei paracetamol- und ibuprofenhaltigen Fiebersäften für Kinder.“ Das betreffe nicht nur die niedergelassenen Ärzte, sondern auch die Krankenhäuser und hier besonders die extrem belasteten Kinderstationen, so Gaß.

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