Interview

Gehen die Deutschen zu oft zum Arzt, Frau Warken?

Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) sagt, wie die Zahl der Praxisbesuche sinken könnte und wie die Koalition die Pflege retten will.

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Dominik Bath
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Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) versucht, jeden Tag 10.000 Schritte zu gehen und sich gesund zu ernähren. Reto Klar FUNKE Foto Services © Reto Klar

Berlin. Als Bundesgesundheitsministerin muss Nina Warken (CDU) die Kranken- und Pflegeversicherung retten und die Krankenhauslandschaft neu organisieren. Warum es dabei auch helfen könnte, wenn die Deutschen weniger zum Arzt gehen würden, verrät sie im Interview.

Frau Warken, Deutschland liegt mit knapp zehn Arzt-Patienten-Kontakten pro Person und pro Jahr über dem Durchschnitt der Industrienationen. Gehen die Deutschen zu oft zum Arzt?

Nina Warken: Sie gehen auf jeden Fall häufiger zum Arzt als die Menschen in anderen Ländern. Das führt allerdings nicht dazu, dass sie deswegen unbedingt gesünder sind oder länger leben. Deswegen brauchen wir mehr Steuerung, um unnötige Arztbesuche zu vermeiden und um Patienten, die darauf dringend angewiesen sind, schnellere Termine bei Haus- und Fachärzten zu verschaffen.

Sollte es bei der Terminvergabe egal sein, ob man privat oder gesetzlich versichert ist?

Warken: Bei der Terminvergabe darf es keinen Unterschied machen, ob jemand privat oder gesetzlich versichert ist.

Aber in der Realität ist es so …

Warken: Deshalb wollen wir das Primärarztsystem einführen. Der Hausarzt soll erste Anlaufstelle sein und sicherstellen, dass Patienten innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens einen Termin beim Facharzt bekommen.

Eine Praxis- oder Kontaktgebühr lehnen Sie ab?

Warken: Es gibt viele Möglichkeiten, Praxisbesuche so zu steuern, dass die Patienten weiterhin gut versorgt werden, ohne sie unnötig finanziell zu belasten. Am Ende muss eine Reform stehen, die das gute Versorgungsniveau aufrechterhält, aber trotzdem Stabilität bei den Beiträgen ermöglicht. Der dafür zuständigen Reformkommission werde ich mit auf den Weg geben, dass es bei ihrer Arbeit keine Denkverbote gibt.

Zur Person

  • Nina Warken ist seit Mai 2025 Bundesgesundheitsministerin . Zuvor war sie Generalsekretärin der CDU Baden-Württemberg.
  • Die 1979 im baden-württembergischen Bad Mergentheim geborene Politikerin hat an der Universität Heidelberg Rechtswissenschaft studiert und ist seit 2006 als Rechtsanwältin tätig.
  • Seit 1999 ist sie Mitglied der CDU und war von 2013 bis 2017 und erneut seit 2018 Mitglied des Bundestags.
  • Warken ist verheiratet und hat drei Kinder. Sie lebt in Tauberbischofsheim . zrb

Die Haushaltsverhandlungen stehen bevor. Die Rente wird mit Milliarden an Steuergeld gestützt, für Kranken- und Pflegeversicherung bleiben nur Darlehen. Sind Sie damit zufrieden?

Warken: Mit den aktuellen Haushaltsansätzen ist zu befürchten, dass im neuen Jahr die Beiträge sowohl in der gesetzlichen Krankenversicherung als auch in der Pflegeversicherung steigen werden. Beiträge stabil zu halten, ist aber Koalitionsziel – und das nicht nur bei der Rente. Und es ist eine Frage der Fairness. Wir können nicht das Rentensystem mit Steuermilliarden über Jahrzehnte stabilisieren und gleichzeitig die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung mit Darlehen abspeisen, ohne dasselbe Ziel zu erreichen. Diese Sozialversicherungen verdienen mehr Haushaltsmittel, auch um die Zeit zu überbrücken, bis strukturelle Reformen greifen können.

Mit welchen Argumenten wollen Sie Geld lockermachen?

Warken: Eine Sozialversicherung braucht Akzeptanz, um zu funktionieren. Jede Beitragssatzsteigerung bei stagnierenden oder sogar nicht ausreichenden Leistungen nagt daran. Und wir müssen die Wirtschaft entlasten. Wir wollen die Unternehmen und deren Wettbewerbsfähigkeit stärken. Dem widersprechen steigende Sozialabgaben. Mit dieser Argumentation gehe ich in die weiteren Gespräche.

Eine Kommission soll Reformen für die gesetzliche Krankenversicherung entwickeln. Ist es das Ziel, dass Beiträge auch mal wieder sinken?

Warken: Wir haben seit Jahren Ausgaben, die stärker steigen als die Einnahmen, deshalb steigen die Beiträge. Es in die andere Richtung zu drehen, wäre natürlich noch besser. Aber das erste Ziel ist zunächst einmal Beitragsstabilität.

Bei der Pflegeversicherung sind zuletzt die Eigenanteile für Heimbewohner im Schnitt auf über 3000 Euro pro Monat gestiegen. Wie wollen Sie eine Überlastung der Versicherten vermeiden?

Warken: Mein Ziel ist, den rasanten Anstieg der Eigenanteile zu stoppen. Vor allem die Kosten der Unterbringung sind teurer geworden, ebenso das Bauen. Letzteres ist eigentlich Aufgabe der Bundesländer. Aber zu häufig werden Investitionskosten auf Bewohnerinnen und Bewohner abgewälzt. Außerdem sind die Auflagen fürs Bauen von Heimen häufig zu streng. Hier müssen die Länder ihre Vorschriften und Standards überprüfen. Im neuen Pflegekompetenzgesetz wollen wir zudem die Möglichkeit neuer Wohnformen fördern. Wir müssen weg von zu starren Vorgaben und hin zu bezahlbareren Angeboten.

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Mit Blick auf die Kliniken im Land befindet sich die überarbeitete Krankenhausreform auf der Zielgeraden. Welche Verbesserungen kommen jetzt für Patientinnen und Patienten?

Warken: Die Behandlungsqualität verbessert sich. Leistungen sollen nur in Kliniken angeboten werden, in denen es auch ausreichend Fachärzte gibt. Gleichzeitig dürfen keine Versorgungslücken auf dem Land entstehen. Dafür sieht die überarbeitete Reform nun mehr Spielräume für die Bundesländer vor, die bei bedarfsnotwendigen Klinken Ausnahmen machen können. Patientinnen und Patienten sollen sich darauf verlassen können, dass sie bei kleineren Gesundheitsbeschwerden und im Notfall in der Nähe ihres Wohnorts sowie bei komplizierteren OPs in Spezialkliniken gut und schnell versorgt werden.

Wie viele kleinere Kliniken müssen schließen?

Warken: Das kann man so pauschal nicht sagen. Es werden Kliniken schließen. Aber das müssten nicht wenige auch ohne Reform. Unser Ziel ist, diesen Prozess so zu steuern, dass am Ende eine gute Versorgung erhalten bleibt. Viele Kliniken haben sich aber ohnehin schon auf diesen Weg gemacht, den Transformationsprozess zu gestalten und zum Beispiel damit begonnen, Standorte zu bündeln. Die Reform wird ihre Wirkung entfalten. Das planen jetzt die Länder.

Im Koalitionsvertrag ist zur Versorgungslage bei Schwangerschaftsabbrüchen eine „Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung über die heutigen Regelungen hinaus“ vereinbart. Wie könnte eine konkrete Regelung aussehen?

Warken: Es besteht bereits jetzt die Möglichkeit einer Kostenübernahme, wenn die Indikation dafür gegeben ist oder die Kosten eines Abbruchs die Schwangere überfordern. Denkbar ist, dafür die derzeit geltende Einkommensgrenze anzuheben. Dafür muss der Abtreibungsparagraf 218 nicht geändert werden.

Sehen Sie darin – so wie einige Experten – eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in der Frühphase?

Warken: Nein. Das ist damit sicherlich nicht gemeint.

Wie stehen Sie persönlich zu den Ansichten der Verfassungsgerichtskandidatin Frauke Brosius-Gersdorf?

Warken: Ich beteilige mich nicht an dem Versuch, einzelne inhaltliche Positionierungen eventueller Kandidaten für das Verfassungsgericht einzuordnen und sich anzuschließen oder diese abzulehnen. Aber mit Blick auf den Zeitpunkt des vollständigen Schutzes der Menschenwürde vor Geburt bin ich anderer Meinung.

Wie viel Aufwand betreibt Ihr Haus derzeit noch für die Bewältigung der Folgen der Maskenbeschaffung durch den früheren Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU)?

Warken: Wir machen das, was die letzten dreieinhalb Jahre hier nicht gemacht worden ist und arbeiten die Corona-Pandemie auf. Da ist viel liegen geblieben. Das gehen wir jetzt an – auch zur Vorbereitung auf künftige pandemische Ereignisse.

Wer hat Ihnen geraten, den Bericht der Sonderermittlerin zu schwärzen?

Warken: Insgesamt sind die Schwärzungen sehr moderat. Die Schwärzungen mussten in erster Linie vorgenommen werden, um Persönlichkeitsrechte, Geschäftsgeheimnisse und die Interessen des Bundes zu schützen. Es laufen derzeit noch Prozesse, und da ist es schlecht, Dinge preiszugeben, die vielleicht der Gegenseite helfen. Übrigens, dieser Bericht wurde mir bereits als „Verschlusssache“ vorgelegt, was deutlich macht, dass auch ich als Ministerin nicht freizügig damit umgehen darf.

Ihr Vorgänger Karl Lauterbach (SPD) lebt salzfrei. Gibt es auch bei Ihnen eine goldene Gesundheitsregel?

Warken: Ich versuche, frisch zu kochen, mich gut zu ernähren und mich ausreichend zu bewegen. Leider sind es nicht immer 10.000 Schritte, die ich am Tag schaffe. Zumindest an Bürotagen ist das schwierig.

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