Berlin. Schon vor der Corona-Krise haben bis zu neun Millionen Menschen in Deutschland über Einsamkeit geklagt. Nun hat sich dieses Gefühl noch einmal deutlich verstärkt. Das geht aus einem aktuellen Gutachten im Auftrag des Sozialverbandes SoVD hervor, das in Berlin veröffentlicht wurde.
„Die Corona-Pandemie verschärft das Einsamkeitserleben nicht nur bei Senioren, gerade Kinder und Jugendliche leiden unter den Kontaktbeschränkungen“, erklärte die Soziologin und Studienautorin Claudia Neu. Wissenschaftlich betrachtet gelten Menschen als einsam, wenn ihre vorhandenen Beziehungen nicht den eigenen Bedürfnissen nach Zugehörigkeit und Geborgenheit entsprechen. Ein längeres Einsamkeitsempfinden sei gefährlich, weil es ein Auslöser weiterer psychischer und physischer Erkrankungen sein könne, so Neu. Darunter fallen zum Beispiel Depressionen und Angststörungen beziehungsweise Diabetes und Übergewicht.
Auch Kinder betroffen
Den Daten zufolge fühlen sich Menschen um die 60 Jahre, Rentner ab 75, aber auch junge Erwachsene verstärkt einsam. In der Corona-Krise ist das noch stärker ausgeprägt: Fast die Hälfte der Deutschen (48 Prozent) hat sich während des ersten Lockdowns zumindest gelegentlich einsam gefühlt. Davon betroffen war auch jedes dritte Kita-Kind.
Einsamkeit hängt auch mit dem sozialen Status zusammen. So waren laut Gutachten Arbeitslose, Behinderte und Alleinerziehende mit Hartz IV schon vor Corona einem erhöhten Risiko ausgesetzt. Neu nannte den Verlust an gesellschaftlicher Teilhabe eine „soziale Exklusion“, die über das subjektive Einsamkeitsempfinden hinausgeht. Davon sind immerhin bis zu 30 Prozent der deutschen Bevölkerung betroffen.
„Wenn sich nicht nur einzelne Menschen, sondern ganze Gruppen vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen fühlen, gefährdet das den Zusammenhalt unserer Gesellschaft“, warnt die Vizepräsidentin des SoVD, Ursula Engelen-Kefer. Die Pandemie habe „wie ein Brennglas langjährige Fehlentwicklungen unserer sozialen Sicherungssysteme offengelegt“. Der Sozialverband fordert daher seit Langem eine Anhebung des Mindestlohns sowie des Rentenniveaus und der staatlichen Grundsicherung.
In ihrer Koalitionsvereinbarung haben Union und SPD festgeschrieben, „Strategien und Konzepte“ gegen die „Einsamkeit in allen Altersgruppen“ zu entwickeln. Im Zentrum steht vor allem die finanzielle Förderung von Mehrgenerationenhäusern. Doch das ist nicht nur dem SoVD zu wenig. Als sich die FDP-Fraktion nach dem Stand der Umsetzung des Koalitionsversprechens erkundigte, teilte ihr die Bundesregierung im September mit: Man prüfe, „inwieweit bisherige Strategien und Konzepte hierzu ausreichen“.
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