Mannheim. Malte Graßhof ist erst seit Juni 2023 Präsident am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH). Dieser musste während der Pandemie immer wieder die Corona-Verordnungen des Landes Baden-Württembergs auf ihre Verhältnismäßigkeit prüfen. Dafür war Graßhofs Vorgänger Volker Ellenberger zuständig, der als Vorsitzender des 1. Senats in Mannheim eine Flut von Eilanträgen der Kläger verhandeln musste. Unter seiner Ägide überstanden die meisten Verordnungen den juristischen Test.
Es gab zwar auch Ausnahmen wie zum Beispiel die Ausgangssperren, die das oberste Verwaltungsgericht im Südwesten aufhob, weil sie unverhältnismäßig waren. Insgesamt ließen die Mannheimer Richterinnen und Richter in ihren Beschlüssen aber keine grundsätzlichen Zweifel an den wesentlichen Maßnahmen während der Pandemie erkennen. Sie winkten Maskenpflicht und die Kontaktbeschränkungen durch.
Kritik an Maskenpflicht und Kontaktverboten 2020
Und wie hätte Graßhof damals anstelle von Ellenberger entschieden? Diese Frage stellt sich natürlich nicht. Denn der VGH musste sich am Donnerstag in der mündlichen Verhandlung mit vier aktuellen Klagen im Hauptsacheverfahren gegen die Maskenpflicht und die Kontaktbeschränkungen beschäftigen. Im Gegensatz zu Eilentscheidungen erfolgt da in der Regel eine gründlichere Prüfung. Allerdings kommt es eher selten vor, dass die Mannheimer Richterinnen und Richter dann von ihrem Rechtskurs abweichen.
Die Antragsteller aus Mannheim, Dossenheim, Hockenheim und Karlsruhe wollen, dass der VGH mehrere Corona-Verordnungen des Landes aus dem Frühjahr 2020 in Teilen oder ganz für nichtig erklärt. „Die Normenkontrollanträge decken sich zum Teil und richten sich gegen identische Vorschriften“, sagt Graßhof. Deshalb lassen sich auch drei der vier Klägerinnen und Kläger vom Heidelberger Rechtsanwalt Uwe Lipinski als Prozessbevollmächtigtem vertreten.
Rechtsanwältin Britta Gedanitz, die Klägerin aus Mannheim, wollte ursprünglich allein vor Gericht auftreten, hat dann aber doch die Heidelbergerin Beate Bahner als Prozessbevollmächtigte mitgebracht. Diese bestreitet - ganz im Sinne der Klägerin-, dass es 2020 überhaupt eine Gefahrenlage gegeben habe. „Corona war nur eine seltene Krankheit, viel harmloser als eine normale Grippe. Die Maßnahmen waren völlig übertrieben und unverhältnismäßig“, so die Rechtsanwältin.
Bahner hat sich Anfang April 2020 als Wortführerin der Corona-Proteste hervorgetan. Die Impfgegnerin will über die „Initiative für Demokratie und Aufklärung“ (IDA) bei den Kommunalwahlen antreten und in den Heidelberger Gemeinderat einziehen. In einer „Corona-Auferstehungs-Verordnung“ ordnete sie eigenmächtig die Wiedereröffnung aller Geschäfte an.
Gedanitz, die für die Mannheimer Liste im Käfertaler Bezirksbeirat sitzt, bezeichnet in der mündlichen Verhandlung die Verordnungen als „drangsalierend und terrorisierend“. Sie fordert deshalb einen Untersuchungsausschuss, der feststellen soll, was damals alles schiefgelaufen ist.
Gericht will nicht Kenntnisstand von heute einfließen lassen
Dass einige der Corona-Maßnahmen übertrieben waren - zum Beispiel die Kontaktbeschränkungen an der frischen Luft - daran dürfte nach vier Jahren auch außerhalb des Gerichtssaals kein Zweifel herrschen. Der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat ja schon zu Beginn der Pandemie einen bemerkenswerten Satz geäußert: „Wir werden einander viel verzeihen müssen.“ Wer während der Pandemie einen Familienangehörigen beerdigen musste, weiß, wovon Spahn spricht. Das Problem während Corona war, dass die Politik entscheiden musste, obwohl sich selbst die Virologen nicht so sicher waren. Und die Gerichte wussten auch nicht mehr. Auf Sicht fahren hieß das damals.
Mit dem Kenntnisstand von heute hätte die Politik 2020 zum Beispiel bei den Kontaktbeschränkungen wahrscheinlich weniger rigide entschieden. Aber fließt das jetzt auch die Entscheidung des VGH ein? „Wir haben da jetzt eine besondere Situation. Die Corona-Verordnungen sind ja inzwischen alle außer Kraft, weil die Pandemie vorbei ist. Die Kläger wollen dennoch, dass das Gericht feststellt, dass diese ungültig sind“, sagt Graßhof.
Da gibt es aber ein Problem. „Was ist denn jetzt die maßgebliche zeitliche Perspektive? Kommt es darauf an, was damals Erkenntnisstand war. Oder müssen wir die Lage von damals mit dem heutigen Wissen bewerten?“, beschreibt der Senatsvorsitzende die Grundsatzfrage.
Das ist natürlich nicht nur für Juristen eine interessante Frage. Die Beweisanträge der Klägerinnen und Kläger laufen alle in eine Richtung: Sie haben die Protokolle des Robert Koch-Instituts (RKI) gelesen, auf die sich die Querdenker-Kreise mit ihren neuen Verschwörungsmythen stützen. Natürlich auch, weil manche Stellen geschwärzt sind. Die Antragsteller berufen sich auf die sogenannten RKI-Files und wollen deshalb nicht nur den früheren, sondern auch den aktuellen RKI-Chef vorladen. Das wäre natürlich nur nötig, wenn der VGH die Corona-Verordnung aus heutiger Sicht beurteilen wollte. Will er offensichtlich nicht. Das Gericht hat jedenfalls am Nachmittag die Beweisanträge abgelehnt. Eine Entscheidung soll bereits an diesem Freitag fallen. Es ist wahrscheinlich, dass der VGH die Klagen abweisen und die früheren Corona-Maßnahmen nachträglich absegnen wird.
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