Mannheim. Der Posten des Präsidenten am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) gehört bestimmt nicht zu den langweiligsten Jobs, den die Justizbehörden im Südwesten zu vergeben haben. Dennoch gibt es nur eine Bewerbung für die Top-Position, wie es am Donnerstag auf der Jahrespressekonferenz in Mannheim heißt. Möglicherweise traut sich sonst keiner anzutreten, weil der Kandidat zu gut ist. Klar ist nur, dass Volker Ellenberger Ende des Monats nach zwölf Dienstjahren in Pension geht. Ob der oder die Nachfolgerin dann schon das Amt in der Quadratestadt antreten wird, ist dagegen unsicher.
Wieder im „ruhigen Fahrwasser“
Ellenberger hat jedenfalls ab 1. April viel Zeit für sein ausgefallenes Hobby als ehrenamtlicher Stadtführer - der Schwabe will dann den Touristen in seiner schwäbischen Heimat Vaihingen Stocherkahn-Fahrten auf der Enz anbieten. Ob der 67-Jährige dann noch manchmal Mannheim besuchen wird, wo er ja in einem Faustball-Team spielt?
Wie es der Zufall so will, hat der Noch-VGH-Präsident die turbulenteste Phase in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit erlebt: Das oberste Verwaltungsgericht im Südwesten musste ab 2016 eine große Welle von Asylverfahren bewältigen. Und als die Richter diese wieder einigermaßen im Griff hatten, kam die Pandemie, die unser aller Leben ja auf den Kopf gestellt hat. Ellenberger hätte also seine Karriere nicht einfach ausklingen lassen können, selbst wenn er ein passionierter Müßiggänger gewesen wäre. Im Gegenteil: Als Vorsitzender des 1. Senats, der sich mit den Corona-Fällen beschäftigt, musste er - wie die Kolleginnen und Kollegen - immer Vollgas geben.
Warum Bordell-Schließungen aufgehoben wurden
Das bekam auch die Politik zu spüren. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) war im sogenannten „Team Vorsicht“ ein besonders harter Knochen, die Corona-Verordnungen fielen dementsprechend im Land besonders rigide aus. Deshalb musste der VGH immer wieder eingreifen, er kippte reihenweise Verordnungen, weil Kretschmann& Co. gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verstießen. Das war zum Beispiel bei der Ausgangssperre sowie bei den „2G-Regeln im Einzelhandel oder an den Universitäten so.
Der VGH also als Reparaturbetrieb der Politik? Das wäre übertrieben. Am Anfang haben die Gerichte ohnehin fast alle Corona-Maßnahmen abgesegnet, weil jeder nur auf Sicht fuhr und „alles im Fluss war“, wie Ellenberger es ausdrückt. Als sich dann aber der Nebel lichtete, hat der VGH von Fall zu Fall verhindert, dass die Landesregierung die Freiheitsrechte unverhältnismäßig einschränkte. Der VGH passte auch seine eigene Rechtssprechung an die Entwicklung der Pandemie an. Deshalb billigte der VGH erst die Bordell-Schließungen, hob sie aber später wieder auf - weil sich das Infektionsgeschehen änderte.
Der VGH hat also der Politik immer wieder ins Steuer gegriffen, aber unterm Strich das Gros der Corona-Maßnahmen legitimiert. Die Bürgerinnen und Bürger konnten letzten Endes darauf vertrauen, dass der VGH seine Aufgabe - nämlich „Rechtsschutz gegen staatliche Maßnahmen zu gewährleisten“ (Ellenberger) - wahrgenommen hat.
Die Gewaltenteilung hat also auch in der Pandemie gut funktioniert. Der VGH hat aber auch schon früh seine Zweifel daran angemeldet, ob der Verordnungsweg auf Länderebene ausreicht, umfassende Corona-Einschränkungen zu beschließen. Diese Zweifel hat die Bundesregierung beherzigt, im geänderten Bundesinfektionsschutzgesetz sind die möglichen Instrumente aufgeführt - abgesegnet vom Parlament.
Der VGH nimmt für sich außerdem prinzipiell in Anspruch, mit seinen Urteilen Impulse für die bundesdeutsche Rechtssprechung zu geben. Ein Beispiel dafür ist das Asylrecht. Die Richterinnen und Richter erschwerten Abschiebungen nach Afghanistan und widersprachen der gängigen Einschätzung der Politik, dass die Lage am Hindukusch sicher sei. Das war noch vor der Machtübernahme der Taliban und dem Abzug der westlichen Truppen.
Klima- und Umweltverfahren
In seinem Fazit kritisiert Ellenberger auch den Trend in der Politik, den Instanzenweg zu verkürzen, um die Verfahren zu beschleunigen - wie bei der Genehmigung von Windkraftanlagen. „Das bringt eine Zeitverkürzung, aber die Verfahren werden dadurch nicht weniger schwierig.“ Außerdem dauert die Erhebung eines Gutachtens nach seinen Angaben noch immer in der Regel mindestens ein Jahr. Letztendlich stellt sich für Ellenberger aber die Frage, ob der Rechtsschutz noch gewährleistet bleibt, sollte irgendwann nur noch eine Instanz urteilen - nämlich das Bundesverwaltungsgericht.
Mit solchen Rechtsüberlegungen wird sich in Zukunft aber Ellenbergers Nachfolger beschäftigen müssen. Die Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Start sind nicht schlecht, denn bei den Asylverfahren ist die große Welle vorbei, auch die meisten Corona-Verfahren sind vom Tisch. „Das Fahrwasser wird wieder ruhiger“, sagt Ellenberger. Doch die Richterinnen und Richter werden nicht gleich Däumchen drehen können. „In unseren Verfahren spiegeln sich auch die gesellschaftlich wichtigen Themen der Zeit wider. Besonders Klima- und Umweltschutzfragen rücken immer mehr in den Mittelpunkt“, sagt Ellenberger und warnt seinen Nachfolger schon mal vor: „Da reichen keine Schriftsätze von nur 350 Seiten, es werden Tausende sein.“
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/politik_artikel,-laender-vgh-praesident-ellenberger-hat-mehr-zeit-fuer-den-stocherkahn-_arid,2057064.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html