Stuttgart. Es waren unschöne Szenen, die sich am vergangenen Wochenende in mehreren baden-württembergischen Städten abspielten: Am späten Samstagabend wurden größere Ansammlungen feiernder, vorwiegend junger und alkoholisierter Menschen, die sich an öffentlichen Plätzen trafen und sich weder an Abstandsregeln noch an die Maskenpflicht hielten, von der Polizei aufgelöst. Die Rathauschefs von Stuttgart, Frank Nopper, und Schwäbisch Gmünd, Richard Arnold (beide CDU), sowie der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) und der Schorndorfer Rathauschef Matthias Klopfer (SPD) haben dafür kein Verständnis: ,,Wir alle haben den Freiheitsentzug des letzten Jahres gespürt, aber Freiheit heißt auch Verantwortung. Jetzt so die Sau auf Kosten anderer rauszulassen, das geht einfach nicht.“
Appell an Landesregierung
An die Landesregierung appellieren die Politiker, bis zum kommenden langen Wochenende Vorkehrungen gegen eine Wiederholung des Nachtstresses für Bewohner und Hauseigentümer der Innenstädte zu treffen: „Die Polizei muss in den Städten bei Nacht Präsenz zeigen, und die Corona-Sperrstunde für die Gastronomie sollte in einem ersten Schritt auf 23 Uhr verschoben werden. Wo es notwendig ist, können lokale Alkoholkonsumverbote hinzukommen, dann bekommen wir die Lage wieder unter Kontrolle.“ Die Schließung der Gastronomie reduziere die soziale Kontrolle und fördere aggressive Zusammenballungen“, so die Rathauschefs.
Vor allem in Stuttgart waren Samstagnacht Erinnerungen an die Ereignisse der Krawallnacht vom Juni 2020 wach geworden, als die Polizei die von rund 600 Personen bevölkerte große Freitreppe am zentralen Schlossplatz räumen ließ und es dabei zu Flaschenwürfen auf die Polizisten, Aggressionen und Sachbeschädigungen gekommen war.
Die erste Bilanz in Stuttgart: 17 vorläufige Festnahmen, sechs Anzeigen wegen Körperverletzung, Landfriedensbruch, Beleidigung und Sachbeschädigung, vier leichtverletzte Polizisten. „Dass die Menschen in der Lage sind, friedlich die Öffnungen des Wochenendes zu begehen, hat sich tagsüber am Samstag gezeigt“, sagte der Stuttgarter Ordnungsbürgermeister Clemens Maier, der die Angriffe als „durch nichts zu rechtfertigen“ bezeichnete. „Leider gibt es Personen, die die gelöste Stimmung hochkochen lassen und sogar Polizeibeamte angreifen und verletzen.“
Auch in Heidelberg musste die Polizei das bereits im Vorfeld verhängte nächtliche Aufenthaltsverbot für die Neckarwiese überwachen. Größere Einsätze gab es etwa auch in Freiburg und Tübingen, wo bereits in der Nacht zu Freitag relevante Altstadtbereiche geräumt werden mussten. Dies sei aber, so ein Sprecher des Innenministeriums am Montag, in friedlichem Rahmen abgelaufen.
In Stuttgart waren am Montag Verantwortliche von Polizei, Stadt und Land zu Gesprächen zusammengekommen, um über mögliche Konsequenzen Vorgehen zu beraten. Ein zunächst von der Landeshauptstadt ins Spiel gebrachtes sogenanntes Verweilverbot in bestimmten ausgewiesenen Bereichen scheint aber nach Informationen dieser Redaktion größere Probleme bei Umsetzung und Kontrolle zu bereiten und damit vom Tisch zu sein. Die Polizei jedenfalls sieht in erster Linie die örtlichen Behörden in der Pflicht. ,,Jede Kommune selbst hat die Instrumente dazu, Allgemeinverfügungen zu erlassen“, sagt Jens Lauer, Sprecher des Polizeipräsidiums Stuttgart.
Mit der Krawallnacht vom vergangenen Jahr aber habe das vergangene Wochenende wenig zu tun gehabt. „Am Samstagabend herrschte eine ausgelassene Stimmung, die Treppe war überfüllt“, schildert er die Situation in Stuttgart. Das dort geltende Alkoholkonsumverbot sei allerdings kaum beachtet worden, ebenso wenig die Lautsprecheransagen der Polizei, sich zu entfernen und Abstand zu halten. Stattdessen seien einzelne Flaschen auf Beamten geflogen. „Als die Beamten auf die Feiernden zugegangen sind, ist von jetzt auf nachher die Stimmung gekippt.“
Einzelne Gruppen hätten dann Katz’ und Maus mit den Beamten gespielt. „Das sorgt natürlich für unschöne Szenen. Aber wer nur friedlich da sitzen und feiern wollte, war schon vorher gegangen“, sagte Lauer. Insgesamt sei die Polizei aber gut vorbereitet, die Zusammenarbeit mit der Stadt laufe auch im Rahmen der Sicherheitspartnerschaft gut. ,,Unser Hauptziel ist und bleibt in jedem Fall immer die Deeskalation“, so der Polizeisprecher. Mit Blick auf Fronleichnam und die nächsten Wochenenden will die Polizei frühzeitig einschreiten.
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