Interview

Schweitzer fordert mehr Geld für Verkehrsprojekte: „Wir brauchen mehr Luft zum Investieren“

Der Südwesten stöhnt unter maroden Straßen und Brücken. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer fordert im Interview darum eine Reform der Schuldenbremse.

Von 
Bettina Eschbacher und Marco Pecht
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Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer spricht sich für eine Reform der Schuldenbremse aus. © Christoph Bluethner

Mannheim. Herr Schweitzer, Sie sind heute Morgen aus Ihrem Wohnort Bad Bergzabern nach Mannheim gekommen, da mussten Sie über eine der Rheinbrücken. Sie haben etwas Verspätung, standen Sie im Stau?

Alexander Schweitzer: Ja, es war schon einiges los. Wir haben nicht gestanden, aber hatten zähfließenden Verkehr.

Die Frage hat einen ernsten Hintergrund, die Rheinbrücken in der Region sind marode, viele Pendler stehen täglich im Stau, die Angst vor einem totalen Verkehrskollaps im drittgrößten Wirtschaftsraum Europas ist groß.

Schweitzer: Wir sind hier in der Metropolregion Rhein-Neckar eine Wachstumsregion. Darüber können wir froh sein. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir in den letzten Jahrzehnten – wie in ganz Deutschland - nicht genug in die Hand genommen haben, um die Infrastruktur für einen Wachstums- und Ballungsraum mitwachsen zu lassen. Dieses Erbe verwalten wir nun.

Was heißt das?

Schweitzer: In Rheinland-Pfalz haben wir in den vergangenen Jahren die Mittel für Infrastruktur deutlich aufgestockt. Im laufenden Haushalt ist ein Höchststand an Investitionsmitteln für Bus und Bahn eingeplant und auch mehr Mittel für den Landesstraßenbau und den Digitalausbau. Für mich ist aber ganz wichtig: Das müssen alle politischen Ebenen so machen. Darum werbe ich für einen Infrastrukturkonsens in ganz Deutschland, der auch über eine Bundestagswahlperiode hinausgeht. Da müssen der Bund und die Länder mitmachen –und die Kommunen.

Wir haben die Stadt Ludwigshafen noch nie im Stich gelassen, wenn sie Unterstützung gebraucht hat
Alexander SChweitzer

Ludwigshafen hat hohe Schulden, auch Mannheim hat Probleme. Genau diese beiden Städte müssen die Sanierung der beiden Rheinbrücken als zentrale Verkehrsadern stemmen. Damit sind sie doch völlig überfordert?

Schweitzer: Zunächst mal muss man sagen: Was der Bund und das Land Rheinland-Pfalz für die Hochstraßen Nord und Süd in Ludwigshafen gemeinsam in die Hand nehmen, ist historisch einmalig. Wir haben die Stadt Ludwigshafen noch nie im Stich gelassen, wenn sie Unterstützung gebraucht hat.

Da ist die Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen, Jutta Steinruck, aber anderer Meinung.

Schweitzer: Ludwigshafen kann nicht einfach mit anderen Städten verglichen werden, da bin ich mit Jutta Steinruck einig. Die Stadt hat eine besondere soziale Struktur, besondere wirtschaftliche Herausforderungen, besondere Bedarfe. Wir haben zum Beispiel enorme Summen in die Hand genommen, um die Stadt mit zu entschulden. Aber ich sage auch, das wird irgendwann ein Land allein überfordern. Deshalb bin ich sehr froh, dass das Bundeskabinett in seinen letzten Tagen beschlossen hat, dass auch der Bund in die Entschuldung der Kommunen einsteigt. Das wird einer Stadt wie Ludwigshafen massiv helfen.

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer (Mitte) im Gespräch mit MM-Wirtschaftschefin Bettina Eschbacher, Nachrichtenchef Marco Pecht (2. von rechts) und Chefredakteur Karsten Kammholz. © Christoph Bluethner

Trotzdem müssten Bund und Länder neue Kredite aufnehmen, um den Investitionsstau in der Infrastruktur zu beheben. Geht das überhaupt noch mit einer Schuldenbremse?

Schweitzer: Ich glaube, es geht nicht mehr. Wir müssen über die Schuldenbremse sprechen. Ich bin gar nicht dafür, dass wir sie komplett aus der Verfassung streichen, aber sie muss mitwachsen. Wir brauchen mehr Luft zum Atmen, zum Investieren. Wir werden uns irgendwann in der Zukunft nicht auf die Schulter klopfen können, dass wir die Schuldenbremse eingehalten haben, während unsere Brücken marode und unser Bildungssystem unterfinanziert sind.

Ministerpräsident Alexander Schweitzer

  • Alexander Schweitzer ist seit Juli 2024 Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Nachfolger von Malu Dreyer (beide SPD) in diesem Amt.
  • Der 2,06 Meter große Schweitzer wurde 1973 in Landau geboren und lebt im südpfälzischen Bad Bergzabern.
  • Vor dem Amt des Ministerpräsidenten war der bekennende Fan des 1. FC Kaiserslautern unter anderem Sozialminister, Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion und Arbeitsminister.
  • Der studierte Rechtswissenschaftler ist verheiratet und hat drei Kinder.

Wie groß ist ihre Sorge um den größten Arbeitgeber in Rheinland-Pfalz, die BASF mit ihrem Stammsitz in Ludwigshafen? Dort muss brutal gespart werden.

Schweitzer: Ich bin in intensiven Gesprächen mit dem BASF-Vorstandsvorsitzenden Markus Kamieth und seinen Kollegen. Das gilt auch für den Betriebsrat und die Gewerkschaften. Natürlich schaue ich mit Sorge auf die Entwicklung der BASF. Aber ich habe gleichzeitig den Eindruck, dass es dem aktuellen Vorstand darum geht, den Standort Ludwigshafen zu stärken. Der Konzern geht gerade durch eine harte Phase der Transformation. Am Ende geht es den Verantwortlichen darum - so nehme ich es jedenfalls wahr -, den Standort Ludwigshafen zu profilieren und auch in die Gewinnzone zu führen. Das alles geht nur in der Tradition der Sozialpartnerschaft und mit den Beschäftigten.

Was können Sie als Land tun? Viele Vorgaben kommen von der EU. Auch die Gaspreise können Sie nicht senken.

Schweitzer: Ich glaube, ich bin der Ministerpräsident, der in Deutschland den engsten Kontakt zur chemischen Industrie hat. Ich habe einen Chemiedialog, zu dem lade ich Branchenvertreter, Arbeitnehmer und Arbeitgeber ein. Was Brüssel angeht, sind wir Vertreterinnen und Vertreter des Industriestandorts Rheinland-Pfalz und ich habe auch die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, getroffen. Dort habe ich deutlich gemacht, dass der regulatorische Rahmen so sein muss, dass die chemische Industrie, die Pharmaindustrie und auch die Biotechnologie in Deutschland eine Chance im Wettbewerb haben.

Keine Kompromisse anzustreben, ist das Ende von demokratischer Politik
Alexander Schweitzer

Ein ganz anderes Thema. Unionschef Friedrich Merz polarisiert aktuell mit seinen nicht verhandelbaren Forderungen zur Verschärfung der Migrationspolitik. Was halten Sie von dem Vorstoß?

Schweitzer: Es ist ein Vorstoß, der ziemlich viel über Friedrich Merz verrät. Wer nach der schrecklichen Tat in Aschaffenburg in Pokermanier sagt ‚ich gehe all-in`, trifft nicht den richtigen Ton. Wer sich gleichzeitig in einer lebendigen Demokratie hinstellt und sagt ‚ich mache keine Kompromisse` hat nicht verstanden, wie unser Land funktioniert. In einer Demokratie muss alles verhandelbar sein. Keine Kompromisse anzustreben, ist das Ende von demokratischer Politik. Und sich dann auch noch in die Hand der rechtsextremen AfD zu begeben, zeigt: Friedrich Merz fehlt das Koordinatensystem. Es kommt jetzt darauf an, dass die demokratischen Kräfte sich anschauen, was es gerade zu tun gibt, damit sich die Menschen sicher fühlen.

Friedrich Merz hat auch strenge Grenzkontrollen gefordert. Sie selbst sind Südpfälzer und fahren doch bestimmt auch mal zum Kaffeetrinken ins französische Wissembourg. Können Sie sich vorstellen, dass da jetzt wieder Beamte mit Gewehren stehen?

Schweitzer: Grenzkontrollen sind ein Instrument, das man einsetzen kann und was ja bereits erfolgt. Aber zu glauben, dass man mal eben 4000 Kilometer Außengrenze dichtmacht, ist hanebüchen. Gerade in der Südpfalz wissen wir, dass wir eine gemeinsame Region sind. Die Menschen pendeln, sie leben in Frankreich und arbeiten in Deutschland - oder umgekehrt. Die Grenzkontrollen in der Corona-Zeit haben das Zusammenleben wirklich erschwert, da sind auch Wunden geschlagen worden. Es gibt bei Daimler in Wörth ganze Schichten, die ohne die Arbeitskräfte aus Frankreich nicht funktionieren würden. Die Zeche für die CDU-Vorschläge würden die Wirtschaft und die Arbeitnehmer in Deutschland bezahlen.

Redaktion Bettina Eschbacher ist Teamleiterin Wirtschaft.

Redaktion Nachrichtenchef

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