Stuttgart - Ein Jahr nach der Krawallnacht sind in der Innenstadt weiterhin 250 Beamte mehr unterwegs / Eckensee trotz Alkoholverbot und Videoüberwachung beliebt

Präsenz der Polizei Stuttgart zeigt Wirkung

Von 
Ulrike Bäuerlein
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Bei den Ausschreitungen im Juni 2020 hatten die Täter Schaufenster eingeschlagen und Geschäfte geplündert. © Silas Stein/dpa

Stuttgart. Freitagabend, kurz vor 20 Uhr. Die Stuttgarter Innenstadt ist belebt wie in Vor-Corona-Zeiten. Mannschaftsfahrzeuge der Polizei sind an mehreren Ecken in der Innenstadt gut sichtbar positioniert. Polizeibeamte lassen sich in Grüppchen durch die Menge treiben. Die Reiterstaffel der Polizei zeigt Präsenz im Schlossgarten.

Rund um die große Treppe, die neben dem Kunstmuseum vom kleinen Schlossplatz herunterführt, ziehen Polizeibeamte auf. Von oben her räumen sie die Treppe, auf der sich Dutzende von Menschen niedergelassen haben. Das Krisen- und Konfliktteam der Polizei erklärt die Räumung. Es gibt ein paar Diskussionen, doch dann ist die Treppe frei. Oben und unten werden Absperrungen installiert.

Sperrungen an den Wochenenden

150 Ermittlungsverfahren

Im Zuge der Ermittlungen nach der Stuttgarter Krawallnacht vom 20. auf den 21. Juni 2020 wurden bislang 150 Ermittlungsverfahren eingeleitet und 140 Tatverdächtige ermittelt.

In 83 Fällen wurden Haftbefehle erlassen. 83 Täter wurden bereits verurteilt, in der Summe zu Haftstrafen von rund 100 Jahren.

Allerdings ergingen gegen mehrere Urteile Einsprüche. 65 Urteile sind bislang rechtskräftig.

Insgesamt sind nach polizeilichen Erkenntnissen drei Viertel der Verdächtigen 21 Jahre alt oder jünger, 93 Prozent der Tatverdächtigen sind männlich. bub

Einer der schönsten Verweilorte in der Stadt ist an den Wochenenden für das Publikum gesperrt, seit sich vor drei Wochen hier unschöne Szenen zwischen Randalierern und Polizei abspielten. Eine harmlose Aufforderung, Abstände einzuhalten, eskalierte. Beleidigungen, Flaschenwürfe, Strafanzeigen. Erinnerungen an die Krawallnacht kamen hoch. „Kein Vergleich“, sagt Polizeisprecher Stefan Keilbach. Aber dennoch: Die Bilder der Krawallnacht sind noch frisch.

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Ein paar hundert Meter entfernt von der Treppe hatte am Eckensee vor einem Jahr die Stuttgarter Krawallnacht vom 20./21. Juni 2020 nach einer aus dem Ruder gelaufenen Drogenkontrolle durch die Polizei ihren Ausgang genommen. Ein Mob von bis zu 500 meist jungen Männern war in Gruppen durch die Stadt gezogen, hatte Geschäfte geplündert, eine Spur der Zerstörung in der Innenstadt hinterlassen und sich eine stundenlange Schlacht mit der Polizei geliefert, die zunächst von den Ereignissen völlig überfordert war. Polizeibeamte wurden angegriffen und verletzt, Streifenwagen demoliert. Die hässlichen Bilder erschütterten das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger in der Stadt und der Gewerbetreibenden zutiefst.

Seitdem hat sich vieles getan in der Stadt, nicht nur am Eckensee. Bereits 130 Täter wurden ermittelt, Dutzende verurteilt. Es gibt Wiedergutmachungskonferenzen zwischen Tätern der Krawallnacht, Polizisten, die damals im Einsatz waren, und Handels- und Gewerbetreibenden. Mediatoren der Stadt leiten sie, die Ergebnisse fließen in konkrete Projekte. Es gibt eine Sicherheitspartnerschaft zwischen Stadt und Land, dabei arbeiten Polizei, mobile Sozial- und Jugendarbeit und kommunale Ordnungsbehörden Hand in Hand. Dauerhaft sind rund 250 Polizeikräfte mehr an den Wochenendnächten im Einsatz, für die Polizei ein dauerhafter Kraftakt.

Es gibt einen Aktionsrat, einen Zusammenschluss der Stadtverwaltung und verschiedenen Trägern der Jugendarbeit, der unmittelbar nach der Stuttgarter Krawallnacht im Rahmen des vom damaligen Oberbürgermeister Fritz Kuhn angeordneten Projekts „Sichere Innenstadt 2020“ entstanden ist. Das Netzwerk soll eine jugendgerechte Innenstadt mitgestalten und organisiert zum Jahrestag der Krawallnacht an diesem Samstag einen Aktionstag im Bereich Eckensee, an dem Jugendliche ihre Bedürfnisse vorbringen können.

Am Eckensee und in den Anlagen zwischen Oper, Landtag und Neuem Schloss strahlt jetzt nachts eine Beleuchtungsanlage die vormals dunklen Ecken aus. Alkoholkonsum ist auf dem Areal verboten. Warntafeln weisen auf Videoüberwachung hin, die Treppen zum Neuen Schloss dürfen nicht mehr belagert werden.

„98 Prozent sind friedlich“

Die Polizei zeigt Präsenz – und dennoch ist das Areal nicht tot, sondern nach wie vor ein belebter Treffpunkt. Bänke und Rasenflächen sind besetzt. Aber nicht mehr ausschließlich durch Gruppen junger Männer, das Publikum ist heterogener geworden. Bedrohlich wirkt es hier nicht mehr. Nur der Müll ist geblieben.

Dass das nicht auf Dauer so bleiben kann mit der Sperrung der Treppe, weiß auch die Polizei. Aber vorerst soll denen, die auf Konflikt aus sind, diese Bühne entzogen werden, sagt Polizeisprecher Keilbach. Denn an die Treppe hat sich manches verlagert her vom Eckensee. Seit das Ausgehen wieder erlaubt ist, tummeln sich in den Nächten rund um das Treppenareal oft Tausende junger Menschen auf engem Raum. Und manche reisen von weit her an, nicht nur zum Feiern.

„Sobald es wärmer wird, füllt sich die Stadt. Da haben wir dann an den Abenden 3000, 4000 Menschen auf dem Schlossplatz“, sagt Markus Eisenbraun, stellvertretender Stuttgarter Polizeipräsident. „98 Prozent sind friedlich. Aber darunter sind eben auch die, die kommen, weil sie hoffen, dass hier ,was geht’.“ Die Bereitschaft zur Rücksichtnahme sei durchwachsen. Und nach dem Corona-Lockdown habe das Sozialverhalten nachgelassen, sagt Eisenbraun. „Da sind alle Beteiligten aufgefordert, die rote Linie aufzuzeigen. Keine Gewalt, keine Vermüllung, Rücksicht auf andere nehmen. Aber das kann die Polizei allein nicht richten.“

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