Stuttgart. Sinkende Inzidenzen überall, Sommer und: Die Lockerungsdebatte über die Corona-Einschränkungen ist auch in Baden-Württemberg nicht mehr zu bremsen. Angesichts der Erwartungshaltung der Bürger und der Öffnungsforderungen aus Handel, Gastronomie, Wirtschaft oder seitens der Landtags-FDP warnt der baden-württembergische Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) vor einer vierten Welle und tritt in der grassierenden Lockerungseuphorie hart auf die Bremse.
,,Ich erinnere daran, dass vor einem Jahr die Inzidenz bei Eins lag. Heute ist sie 20-fach so hoch, und wir haben gefährlichere Varianten als damals. Das ist vielen nicht mehr präsent. Man kann den Leuten nur sagen: Seid nicht übermütig“, sagte der Ministerpräsident am Dienstag in Stuttgart bei der Regierungspressekonferenz. Dennoch können landesweit vor allem Schüler bald im Unterricht wieder auf- und durchatmen: Die Maskenpflicht an Schulen soll schnellstmöglich fallen oder zumindest gelockert werden.
Verordnung wird überarbeitet
Wo die Sieben-Tages-Inzidenz in einer Region unter 35 liegt und es an einer Schule zwei Wochen lang keinen Corona-Fall gab, soll die Maskenpflicht demnach im Unterricht komplett entfallen – so lange, bis es den nächsten Corona-Ausbruch an der Schule gibt. Bereits bei Inzidenzen unter 50 soll zudem die Maskenpflicht auf den Pausenhöfen entfallen.
Die entsprechende Verordnung wird derzeit im Kultusministerium ausgearbeitet und soll kommende Woche vorliegen. Dies gab Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) bekannt. Zudem stellte Lucha mit der Überarbeitung der noch bis Ende Juni geltenden aktuellen Corona-Verordnung des Landes weitere Lockerungen der Maskenpflicht im öffentlichen Raum in Aussicht. Bei einer anstehenden Sondersitzung der Verkehrsminister etwa werde über den Wegfall der Maskenpflicht an offenen, gut durchlüfteten Bahnhöfen und Bushaltestellen diskutiert. ,,Aber ich appelliere an alle, nicht verrückt zu werden“, sagte Lucha. Man sei aufgrund einer möglichen Verbreitung der Delta-Variante in „Habachtstellung“.
Corona in der Region
Dem Ministerpräsidenten freilich ist ganz und gar nicht wohl angesichts der Lockerungsdebatten. Zwar nannte Kretschmann die ersten Lockerungsschritte nachvollziehbar und durchdacht. ,,Das Risiko kann man eingehen“, so Kretschmann. „Aber ich kann nur den dringenden Appell an alle richten, nicht leichtsinnig zu werden und nicht zu glauben, die Pandemie sei rum. Die ganze Debatte schießt auf einmal über das Ziel hinaus“, gab Winfried Kretschmann seinem Unwillen Ausdruck und warnte davor, eine rote Linie zu überschreiten. ,,Sonst riskieren wir eine vierte Welle. Die ganzen Debatten sind nicht hilfreich und führen nur zu einem Abflauen der Disziplin“, monierte er. ,,Ich sehe das bei der EM: Das geht mal gar nicht, ich halte das für hochproblematisch.“
Regel im Handel unverändert
Dass die Maskenpflicht bei Sportveranstaltungen im Land Baden-Württemberg fällt, kommt für Kretschmann jedenfalls erst einmal nicht in Frage. Auch im Handel, in Einkaufszentren und bei Veranstaltungen in geschlossenen Räumen soll das Tragen von Masken weiterhin Pflicht sein. Sich aus Gründen des Infektionsschutzes zu wünschen, es möge bei der Fußball-EM nichts zu feiern geben – so weit wollte Kretschmann aber nicht gehen. Im Gegensatz zu seinem bayerischen Amtskollegen Markus Söder, der das Auftaktspiel der deutschen Mannschaft in München am Dienstagabend im Stadion mitten unter 14 000 anderen Zuschauern verfolgen wollte, wird Kretschmann nicht in die Not kommen, diszipliniert und unter Wahrung des Infektionsschutzes in aller Öffentlichkeit jubeln zu müssen – so es denn überhaupt Anlass dazu gibt.
Der Regierungschef kündigte an, am Dienstagabend mit der Haushaltskommission über dem baden-württembergischen Nachtragshaushalt zu brüten. ,,Ich hatte keine Einladung von Markus Söder. Aber ich muss sowieso arbeiten“, brummte Kretschmann.
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