Der Raum gleich hinter der Theke verbreitet den Charme der 1980er Jahre: ein massiver Furniertisch, eine dunkle Einbauschrankwand, Linoleumboden. Nur der Röhrenfernseher wurde vor ein paar Jahren durch einen Flachbildschirm ersetzt. In diesem bescheidenen kleinen Hinterzimmer im Gasthaus an der Altweibermühle fallen die Entscheidungen über Großinvestitionen, Achterbahnen, Nervenkitzel im Erlebnispark Tripsdrill.
Tagtäglich versammelt sich die Familie Fischer in dem ehemaligen Wohnzimmer des Großvaters zum Mittagessen. Und das folgt einer eingeübten Regie. Als Erster trifft Roland Fischer ein, der jüngere der beiden Seniorchefs. Als gelernter Koch schaut der 68-Jährige noch kurz in die Töpfe, probiert Soßen, Spätzle und Kartoffelsalat. All das wird selbst gemacht, die Brühe vom Knochen ausgekocht. Die entscheidenden Kniffe hat Roland Fischer nicht von seinem Lehrherr. „Die sind von der Oma.“
Erlebnispark Tripsdrill - alles begann mit einer Mühle
Ihre Kochkünste, die Geschäftstüchtigkeit ihres Mannes Eugen Fischer und eine Sage stehen am Anfang des Freizeitparks, der in diesem Jahr 95 Jahre alt wird. In einer Gartenlaube am Michaelsberg zwischen Cleebronn und Bönnigheim bewirtete das Paar die Wanderer. Die erkundigten sich immer wieder nach der Altweibermühle, die dort stehen und alte Frauen verjüngen sollte. Also baute Eugen Fischer eine. Am 30. Juni 1929 wurde sie eröffnet, mitsamt einer Rutsche. Dass die Mühle wirklich magische Kräfte besaß, darf bezweifelt werden. Das Mühlrad wurde elektrisch angetrieben. Aber wenn es sich drehte und dazu die Musik spielte, füllte sich der Tanzboden.
Inzwischen ist viertel eins, wie es hier heißt, wenn man 12.15 Uhr meint, und Rolands Tochter Yvonne Hansmann schlupft ins Nebenzimmer. Die 40-Jährige ist für die Personalabteilung zuständig. Rund 100 Menschen arbeiten ganzjährig bei Tripsdrill. In der Saison sind es 450. Früher mussten vor allem die eigenen Kinder mithelfen. Roland Fischer erinnert sich noch genau, wie er nach der Schule am Zapfhahn stand oder fürs Rutschen 20 Pfennig kassierte. 1946 war die Mühle abgebrannt. Rolands Vater Kurt ließ eine zweite bauen. Sie entwickelte sich zum Ausflugsziel für die vergnügungshungrige Wirtschaftswundergesellschaft. 1960 kam das erste Fahrgeschäft dazu, eine ausrangierte Bergwerksbahn. Die Besucher mussten dabei noch selbst in die Pedale treten.
Die neueste Attraktion von Tripsdrill ist eine riesige Hollywoodschaukel
Mittlerweile ist es halb eins, und das Hinterzimmer füllt sich. Yvonnes Cousin Andreas (43) gesellt sich dazu. Er ist verantwortlich für den Tierpark. Auch der war Kurt Fischers Idee. Er wollte den Kindern seiner Gäste etwas bieten. 1957 wurde der Zoo eröffnet, damals mit 300 Tieren, darunter Exoten wie Löwen und Tiger. Heute präsentiert man die heimische Tierwelt.
Kurz darauf sitzt auch Yvonnes Bruder Benjamin am Tisch. Eigentlich wollte der 38-Jährige Pilot werden. Doch der Ruf des Familienunternehmens war stärker. Nach einer Ausbildung im Sinsheimer Verkehrsmuseum und einem Tourismusstudium landete auch er wieder in Tripsdrill. Jetzt ist er für die Zubauten verantwortlich. Auch über die neueste Attraktion für die kommende Saison, eine riesige Hollywoodschaukel, wurde hier am Mittagstisch zuerst geredet. „Wir müssen schnell zuschlagen“, sagte Benjamin. Sonst stehe das Gerät bald bei der Konkurrenz. „Wilde Gautsche“ wird es heißen.
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Es ist eins durch, wenn auch Helmut Fischer zum Mittagstisch erscheint. Nicht selten wird er von Stammkunden aufgehalten. „Wir sind viel im Park unterwegs und hören den Besuchern zu“, sagt der 69-Jährige. Er ist so etwas wie der Firmenpatriarch, das schwäbisch-bescheidene Gegenstück zu Roland Mack, dem weltläufigen Chef im Europa-Park. Was beide auszeichnet, ist ihr klares Konzept - in Rust ist es Europa, in Tripsdrill „Schwaben um 1880“. Und das nehmen die Fischers genau. „Wir bauen hier nicht bloß Kulissen.“ Was im Park steht, ist nicht aus Pappmaché. Wird ein Fachwerkhaus gebaut, ist der Sockel aus Sandstein. Manches hat man sich von den Großmeistern in Rust abgeschaut. Auch in Tripsdrill will man im Übernachtungsbereich wachsen. Doch auch hier wählt man die schwäbisch-bescheidene Variante. Statt großer Hotels wurden Baumhäuser im Wald beim Tierpark aufgebaut.
Ein Mann von außen rückt in die Tripsdrill-Geschäftsführung
Am meisten aber ähnelt sich die Familienkonstellation in den beiden Unternehmen. Wie bei den Macks in Rust haben zwei Brüder das vom Vater ererbte Unternehmen groß gemacht. Hier wie da steht die nächste Generation bereit. Doch in Tripsdrill hat man sich anders entschieden.
In dem kleinen Nebenzimmer sitzt jetzt auch Stefan Seipel, vormals Marketingleiter und Prokurist bei der Stuttgarter Brauerei Dinkelacker. Er wurde in die Geschäftsführung aufgenommen. Mittelfristig soll er allein an der Spitze stehen. „Wir wollten den Blick von außen“, sagt Helmut Fischer. Seipel soll auch alte Zöpfe abschneiden, an die sich ein Familienmitglied wohl nicht getraut hätte.
Nur das kleine Gaststättenhinterzimmer steht unter Denkmalschutz, das ist klar. „Vor drei Jahren wollten wir es renovieren und neue Möbel kaufen“, sagt Benjamin Fischer. Aber dann gab es doch nur neue Sitzkissen. „Wir standen hier drin, und fanden: Nein, genau so muss es bleiben.“
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