Mannheim/Berlin. Hauptschule, Realschule, Gymnasium oder Gemeinschaftsschule? Die Wahl der weiterführenden Schule ist in der Region Elternsache. Denn: „Sie können die Fähigkeiten ihrer Kinder sehr gut einschätzen“, sagt Daniel-Alexander Heller, Grundschulvertreter des Landeselternbeirats (LEB) Rheinland-Pfalz. Die Beurteilung seitens der Lehrkräfte ist hier lediglich eine Empfehlung. In Bayern, Brandenburg und Thüringen ist die Grundschulempfehlung jedoch verbindlich. Und sorgt somit dafür, dass sich die Kompetenzen der Kinder in den vierten Klassen deutlich verbessern. Gleichzeitig nehmen Noten- und Zukunftsängste aber zu. Das ist das Ergebnis einer Studie des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).
„Wir haben unter anderem die Leistungen der Schülerinnen und Schüler vor und nach der Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung 2012 in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt untersucht“, erklärt Bildungsforscher Maximilian Bach vom ZEW und Ko-Autor der Studie. Diese wurden dann mit der Entwicklung in Bundesländern verglichen, die keine Regeländerung vorgenommen hatten. Die zentrale Erkenntnis: Ohne verbindliche Grundschulempfehlung reduziert sich der durchschnittliche jährliche Kompetenzerwerb in Mathematik um 12,5 bis 17,5 Prozent. Beim Lesen, Zuhören und Rechtschreibung sinkt das Niveau sogar um zehn bis 20 Prozent. In Wochen umgerechnet fehle damit in Mathematik der Lernerfolg von fünf Unterrichtswochen, beim Lesen, Zuhören und Rechtschreiben von vier bis acht Wochen, heißt es weiter in der Studie des ZEW und des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB).
Zusätzlicher Lernanreiz
Die Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass die Verbindlichkeit der schulischen Beurteilung zusätzliche Lernanreize schaffe. Diese würden aber nicht von den Eltern, sondern von den Grundschülerinnen und -schülern selbst ausgehen, so Bach. Man habe keine Unterschiede bei den Erziehungsmaßnahmen der Eltern – wie etwa Hausaufgabenkontrolle oder zusätzlicher Privatunterricht – finden können. Michael Mittelstaedt, Vorsitzender des LEB Baden-Württemberg, glaubt jedoch, das genau das die Folge wäre, sollte die Grundschulempfehlung entscheidend dafür sein, welche Schulart die Kinder besuchen dürfen.
„Eine Verbindlichkeit führt nur dazu, dass die Eltern alles daran setzen, ihre Kinder notentechnisch fit zu machen und somit schon in der Grundschule ein enormer Druck generiert wird“, sagt er. Zudem sei die Bandbreite der Entwicklungsstufen im Grundschulalter enorm: „Einige Kinder müssen in der ersten Klasse erst noch Deutsch lernen, andere können schon lesen und schreiben. Das ist auf die jeweilige Unterstützung der Eltern zurückzuführen. Schaffen es die Kinder dann nicht, schnell genug aufzuholen, bekommen sie durch eine verbindliche Grundschulempfehlung in der vierten Klasse einen Stempel aufgedrückt“, so Mittelstaedt.
Auch Heller vom LEB Rheinland-Pfalz betont: „Einige Mädchen und Jungen zeigen ihre Fähigkeiten erst später. Wenn sie dann die Schulform wechseln wollen, ist der Weg meist umständlich und nimmt sehr viel mehr Zeit in Anspruch.“ Heller und Mittelstaedt bevorzugen also weiterhin eine Grundschulempfehlung ohne Verbindlichkeit, betonen aber die Wichtigkeit eines intensiven Beratungsgesprächs mit den jeweiligen Lehrkräften. Der Grundschulvertreter des Landeselternbeirats Hessen wollte sich aufgrund einer anstehenden Sitzung nach kürzlich vollzogenen Neuwahlen nicht äußern.
Es sind nicht nur die Notenangst sowie der zunehmende Leistungsdruck, die ebenfalls aus Sicht der ZEW-Studie gegen eine verpflichtende Empfehlung sprechen. Auch die Lernfreude ist in den vierten Klassen in Bayern, Brandenburg und Thüringen weniger ausgeprägt. „Das Wohlbefinden der Kinder haben wir anhand der Daten des Nationalen Bildungspanels untersucht“, sagt Bildungsforscher Bach. Dieses frage unter anderem ab, wie zufrieden die Kinder in der Schule sind.
Verbände fordern Verpflichtung
Die Studie zeigt also gegenteilige Folgen auf. „Als Ökonomen können wir dadurch die Frage, ob eine Grundschulempfehlung verbindlich sein sollte, nicht beantworten“, so Bach. Dies liege im Ermessen der Politik und hänge auch davon ab, „ob man im Tausch für bessere Kompetenzen bereit ist, Grundschülerinnen und -schüler einem erhöhten Leistungsdruck und den damit verbunden Konsequenzen auszusetzen.“ Anfang des Jahres hatte der Philologen- und Realschullehrerverband eine Wiedereinführung der Verpflichtung in Baden-Württemberg gefordert. Die Beliebigkeit der Schulwahl habe zu einer deutlichen Verschlechterung der Verhältnisse an den Schulen geführt, hieß es.
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