Naturschutz - Bisher ist der Rückkehrer geschützt, doch die Konflikte nehmen zu / Nun prüft das Land eine „letale Entnahme“ nach dem Vorbild Bayerns

Dürfen Biber im Südwesten bald getötet werden?

Von 
Thomas Faltin
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Peter Daiker versteht sich als Schützer der Biber. © Thomas Faltin

Es ist saukalt, und der Schnee treibt quer durchs Dießener Tal bei Horb am Neckar, aber Peter Daiker, dem Wildtierbeauftragten des Kreises Freudenstadt, macht das Wetter nichts aus, er trägt nicht einmal Handschuhe. Dabei muss der Naturbursche vier Stunden lang draußen herumstehen. Das Interesse an seiner Biberführung ist so groß, dass er die Gruppe teilen muss und zweimal mit je 35 Menschen am Bach steht und etwas Erstaunliches tut: Er macht den Biber zum Freund des Menschen.

Zu Beginn entfaltet er einen Zollstock auf einen Meter fünfzig und sagt: „Das entspricht 15 Millionen Jahren, so lange lebt der Biber schon in Europa.“ Dann zeigt er auf die letzten vier Millimeter und fügt trocken hinzu: „Und so lange ist der Mensch schon hier.“ Wer sei also eigentlich der Schädling, fragt Daiker. Bis vor wenigen Jahren war es eine Sensation, wenn im Südwesten ein umgenagter Baum gesichtet wurde. Der Biber war beinahe ausgerottet, doch nun wanderte er von Bayern her wieder ein. Mittlerweile leben 7500 Tiere in Baden-Württemberg, rund 60 Prozent davon im Donaugebiet. Am wenigsten sind es im Nordwesten, zwischen Karlsruhe und Mannheim.

Natürlich haben mit der Zahl der Tiere die Konflikte zugenommen. Das Umweltministerium gibt sich recht ahnungslos und will weder wissen, zu welchen Problemen es kommt, noch wie häufig. Klar ist: Harmlos ist es im Grunde, wenn die Biber im Winter Bäume fällen, um an die Rinde zu kommen - denn die typischen Uferbäume besitzen die Fähigkeit, im nächsten Frühjahr aus dem Stock wieder auszutreiben. Schöne alte Bäume lassen sich mit Gitternetzen schützen. Oft werden landwirtschaftlich genutzte Wiesen überschwemmt; das sei der häufigste Konflikt, sagt Tobias Kock vom Naturschutzreferat des Regierungspräsidiums (RP) Freiburg. Peter Daiker hat dafür am Dießener Bach eine pragmatische Lösung entwickelt: Der örtliche Bauhof hat einen etwa 30 Zentimeter hohen Damm aufgeschüttet, der das Wasser im Bachlauf hält.

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Naturschützer besorgt

Doch es gibt auch schwerwiegendere Probleme, etwa wenn eine Biberfamilie in einer Kläranlage oder einer Fischzucht ihren Wohnsitz nimmt oder wenn Tiere ihre Höhle so in die Uferböschung bauen, dass eine darüber verlaufende Abwasserleitung bricht. Bei Warthausen im Landkreis Biberach lebten zwei Biberfamilien in einem Bahndamm, bis sich am Ende die Gleise senkten. Nun sind auf 500 Meter Länge Schutzmatten eingezogen worden und die Biberbaue verfüllt. Wie Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) sagte, sei dies ein Beispiel dafür, dass selbst schwerste Biberkonflikte gelöst werden könnten, ohne Tiere töten zu müssen.

Und doch wird dies geprüft. In einem zweijährigen Projekt soll nach dem Vorbild Bayerns untersucht werden, ob als „Ultima Ratio“ auch die „letale Entnahme“, wie es beschönigend heißt, notwendig werden könnte. Am Ende des Projektes könne durchaus stehen, dass man darauf verzichte, wird betont - dennoch wird schon jetzt damit begonnen, Jäger entsprechend auszubilden. In Bayern ist das Abschießen bereits seit 2006 in Notfällen erlaubt. Dort wurden 2020 bei einer geschätzten Population von 22 000 Tieren 2279 „entnommen“, wie Christina Centner vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt mitteilt. Das entspricht mehr als zehn Prozent in einem Jahr.

Naturschützer sehen diese Entwicklung mit Sorge. Zum einen werde die Regelung oft zu großzügig ausgelegt, sagt Berit Arendt, die sich in Bayern für den Bund Naturschutz um den Biber kümmert. Zum anderen bringe die Tötung einer Biberfamilie nur kurzfristig etwas: Ein freies Revier werde meist schnell wieder besetzt. Gerade in diesen Frühlingstagen werden die zweijährigen Jungbiber von den Eltern vertrieben und machen sich auf die Suche nach einem eigenen Revier, das bis zu zwei Kilometer lang sein kann. Die Dämme bauen sie, um den Bach anzustauen, damit sie viele Wege schwimmend zurücklegen können. Ihre Wohnbaue liegen dagegen meistens in einer Uferböschung.

Berit Arendt hat deshalb eine ganz andere Forderung. Die Uferstreifen sollten auf zehn Metern unbewirtschaftet bleiben: „Dann würden 90 Prozent der Konflikte gar nicht auftreten.“ Diese Maßnahme wäre im Übrigen auch gut in Zeiten des Klimaschutzes, weil Hochwasser dann keine so starken Auswirkungen mehr hätte. Und es würden weniger Pestizide ins Wasser geschwemmt.

Zudem würde der Biber ungehindert Biotope schaffen dürfen: Indem er die Bäche staut, kann sich eine kleine Auenlandschaft entwickeln, in die Insekten, Vögel und Fische zurückkehren. Im Dießener Tal lässt sich ein solches Idyll auf staatlichen Flächen besichtigen. Peter Daiker ist überzeugt: „Dem Biber gelingt die Renaturierung eines Baches schneller und besser, als es der Mensch je könnte. Gratis ist es obendrein.“

Biberprojekt endet 2023

Beinahe kurios ist, dass in Baden-Württemberg diese Zehn-Meter-Regelung schon gilt. Trotzdem hat der Südwesten die gleichen Probleme mit dem Biber wie andere Bundesländer. Denn die Randstreifen dürfen trotzdem als Grünland genutzt werden, außerhalb eines Abstandes von fünf Metern sogar als Acker. Und selbst dies werde nicht überall eingehalten, da nimmt Peter Daiker kein Blatt vor den Mund: Oft gehe ein Acker bis ganz ans Ufer, Kontrollen gebe es kaum.

2023 endet das Biberprojekt, dann wird entschieden, ob es künftig den Tieren auch in Baden-Württemberg an den Kragen geht.

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