Stuttgart. Der Mitgliederschwund bei den Kirchen im Südwesten hält zwar deutlich an. Seit Jahresbeginn sind aber offenbar etwa weniger Menschen aus der katholischen und evangelischen Kirche ausgetreten als in den Jahren zuvor. Das legt eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur unter größeren Städten und Kommunen nahe. Bereits im vergangenen Jahr hatten beide Kirchen bundesweit Zehntausende Mitglieder durch Austritte verloren. Und auch dieses Jahr kehrten die Menschen in Massen der Kirche den Rücken.
Trend in allen Großstädten gleich
In Ulm wurden 2023 insgesamt 1474 Kirchenaustritte gezählt, 854 aus der katholischen Kirche und 620 aus der evangelischen. Auch hier sind es zwar viele Hundert Menschen und ein schmerzhafter Verlust für die Kirchen, aber in absoluten Zahlen sind es weniger Austritte als im Jahr zuvor. Damals lag die Zahl (31. Dezember) bei 1693 – 1049 bei den Katholiken und 641 bei den Protestanten, außerdem gab es Austritte aus anderen Religionsgemeinschaften.
Auch in Karlsruhe zeigt sich ein ähnlicher Trend. Demnach traten in der Innenstadt im vergangenen Jahr 3124 Menschen aus der Kirche aus, darunter 1780 Katholiken und 1339 Protestanten. Im laufenden Jahr trafen 2781 Gläubige eine solche Entscheidung. 1492 von ihnen traten aus der katholischen Kirche aus, 1283 aus der evangelischen. Gesamtzahlen für ganz Karlsruhe lagen der Stadt nicht vor.
Solch einen Trend melden auch die Städte Tübingen und Heilbronn nach einem Blick in die Statistiken. Die Universitätsstadt registrierte nach eigenen Angaben zum Stichtag 15. Dezember insgesamt 1284 Austritte, davon 694 Protestanten und 588 Katholiken. Im Jahr zuvor kehrten in Tübingen 1456 Menschen den Kirchen den Rücken zu, 704 davon waren evangelisch und 749 katholisch. In Heilbronn traten insgesamt 765 Menschen aus, 417 Protestanten und 336 Katholiken. Auch hier sind es weniger als im Jahr zuvor, als 896 austraten, davon 445 aus der evangelischen und 433 aus der katholischen Kirche.
Sogar in Freiburg, im ablaufenden Jahr eine besonders stark beeinflusste Region wegen der Affäre um den Alterzbischof Robert Zollitsch, ging die Zahl der Austritte zurück. Bis Mitte Dezember 2022 waren es 3698, ein Jahr später 3149 Menschen. Zollitsch war im April in einem Expertenbericht über sexuellen Missbrauch durch Geistliche vorgeworfen worden, Fälle früher nicht nach Rom gemeldet zu haben. Zollitsch war bis 2013 in dem großen Erzbistum an der Macht gewesen. Die Vorwürfe der Vertuschung wogen besonders schwer – der Geistliche leitete von Februar 2008 bis März 2014 die Deutsche Bischofskonferenz und war damit Gesicht und Stimme der katholischen Kirche.
In Ravensburg trennt die bisherige Statistik der Stadt zwar nicht nach Konfessionen, in der Summe bestätigt sich dort aber der Trend. Während im laufenden Jahr bis Mitte Dezember 570 Menschen aus der Kirche austraten, waren es im Jahr im gleichen Zeitraum 778, im Jahr 2021 hingegen 441 Austritte. „Das Jahr 2022 war „Spitzenreiter“, sagte Timo Hartmann, Sprecher der Stadt. „Aber auch in 2023 sind wir auf recht hohem Niveau.“
Kirchenrechtler Georg Bier zu den Rückgängen
Der Rückgang auf weiter hohem Niveau könnte nach Einschätzung des Freiburger Theologen und Kirchenrechtlers Georg Bier mit den bereits starken Verlusten der katholischen Kirche in den vergangenen Jahren zu tun haben. „Wer die Kirche aus Enttäuschung über aktuelle Entwicklungen verlässt, hatte dazu in der Vergangenheit genügend Anlass und hat diesen Schritt längst getan“, sagte er. Jetzt steige bei den Austritten wieder der Anteil jener Kirchenfernen, die aufgrund einer biografischen Veränderung wie dem Auszug aus dem Elternhaus oder dem Eintritt ins Berufsleben reagierten.
Der Religionspädagoge Ulrich Riegel nimmt die Ereignisse des laufenden Jahres in den Blick: „Auf der einen Seite hat sich nichts Wesentliches geändert, was die Austrittsdynamik markant brechen sollte“, sagte er. „Auf der anderen Seite ist aber auch nichts Wesentliches geschehen – wie zum Beispiel ein neues Gutachten, das einen prominenten Bischof betrifft – das die Welle deutlich nach oben treiben sollte.“
Ob sich die Diskussion um die zurückgetretene Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, in den Zahlen niederschlagen werde, sei schwer zu sagen. „Ich selbst rechne mit abermals hohen Werten“, betonte Riegel. „Ob ein Rekord dabei rauskommt, ist dabei eigentlich egal.“
Auch Sterbefälle wirken sich aus
Bereits im vergangenen Jahr hatten die Kirchen etliche Mitglieder verloren, viele durch Sterbefälle, Zehntausende auch durch freiwillige Austritte. Die Landeskirche Württemberg verlor im Jahr 2022 nach Angaben einer Sprecherin inklusive der Todesfälle mehr als 63 500 Mitglieder. Davon waren rund 32 000 reine Austritte (Vorjahr: rund 25 500). Die Badische Landeskirche verzeichnete im selben Jahr einen Rückgang um mehr als 27 000 Mitglieder. Über 22 000 davon traten aus der Kirche aus – ebenfalls deutlich mehr als im Vorjahr (rund 16 900).
Ende des vergangenen Jahres hatte die Landeskirche in Württemberg noch 1 821 625 Mitglieder, die in Baden 1 035 524 (Stand: 31. Dezember 2022). Demgegenüber standen etwa 3060 Aufnahmen in die beiden Kirchen und 27 500 Taufen – etwas mehr als im Vorjahr.
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