Mannheim. Was genau ist am Samstagabend im IC 2048 zwischen Heidelberg und Stuttgart passiert? Die Mannheimer Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut hatte am Wochenende auf Sozialen Medien berichtet, sie sei von Anhängern des VfB Stuttgart sexuell belästigt, verbal beschimpft und mit einer Flasche verletzt worden. Fußballfans sollen sie im Zug „immer wieder begrapscht und rassistisch beleidigt“ haben, sagte Akbulut am Montag auch dieser Redaktion. Zudem sollen sie „Deutschland den Deutschen“ und „Ausländer raus“ gesungen und Parolen gerufen haben, die AfD zu wählen. „Sie haben mich gesehen und das die ganze Fahrt über bis nach Stuttgart gegrölt.“
Eine Frau und eine Schaffnerin hätten versucht, auf die Gruppe einzuwirken. Als Akbulut aussteigen wollte und die Fans wegen ihrer Schmähungen fotografiert hat, sei ein Mann auf sie zugekommen und habe ihr eine Bierflasche an den Kopf geworfen, sagte Akbulut, die nach eigener Aussage nach einer Wahlkampfveranstaltung in Heidelberg auf dem Weg zu einem Termin in Stuttgart war. Ein Foto auf ihrem Instagram-Account zeigt die Politikerin mit einem Cut auf der Stirn über dem rechten Auge.
Bundesweit haben Medien zu Wochenbeginn den Vorfall aufgegriffen, Politiker über Parteigrenzen hinweg ihre Solidarität mit der Linken-Politikerin bekundet, darunter Mannheims Oberbürgermeister Christian Specht und die drei weiteren Mannheimer Abgeordneten Isabel Cademartori, Melis Sekmen und Konrad Stockmeier. Auch der VfB Stuttgart hatte die Tat in einer Stellungnahme verurteilt.
Zeugin: „Laute, aber friedliche Atmosphäre“
Nun aber gibt es mindestens Zweifel an Akbuluts Schilderungen. Wie die „Stuttgarter Nachrichten“ (StN) berichten, zeichnen „zahlreiche Zeugen“ in Gesprächen mit der Redaktion ein anderes Bild der Geschehnisse.
Akbulut hatte zu Wochenbeginn erklärt, sie sei die einzige im Abteil mit sichtbarem Migrationshintergrund gewesen. Die Stuttgarter Redaktion zitiert nun eine Frau Mitte vierzig, die selbst Migrationshintergrund und in unmittelbarer Nähe zu Akbulut in der 1. Klasse gesessen haben soll. Fans des VfB hätten Lieder gesungen, ein Zugbegleiter soll über Lautsprecher sogar welche abgespielt haben. Es sei eine „laute, aber friedliche, trotz der Niederlage entspannte Atmosphäre“ gewesen, heißt es. Akbulut habe verärgert gewirkt, als sie in den Zug eingestiegen sei, sollen mehrere Zeugen berichten, von denen laut StN nur ein Teil Fans des VfB waren. Auch will kein Gesprächspartner AfD-Slogans gehört oder eine Frau wahrgenommen haben, die auf die Gruppe eingewirkt haben soll.
Hat Akbulut zuerst beleidigt?
Zeugen zufolge, berichten die „Stuttgarter Nachrichten“, soll Akbulut alkoholisiert gewirkt und eine kleine Flasche Rotwein getrunken haben. Sie sei es gewesen sein, die sich „fast schon aggressiv und provozierend“ verhalten haben soll. Akbulut, heißt es weiter, habe Fans beleidigt. Die hätten „nichts im Hirn“, seien „dumm“ und man könne nichts anderes von ihnen erwarten, als dass sie grölten, soll sie dem Bericht zufolge gesagt haben. Zudem soll die Linken-Politikerin Mitreisende unter anderem als „Drecksnazis“ oder „Faschos“ beschimpft haben, berichtet die Stuttgarter Redaktion. Daraufhin sei Akbulut von VfB-Fans angegangen worden. So will ein Zeuge gehört haben, dass die Politikerin unter anderem als „Schlampe“ beleidigt wurde, heißt es.
Abweichende Darstellungen soll es auch beim Flaschenwurf geben. Während Akbulut, wie geschildert, erzählt hatte, Fans hätten zuerst sie mit einer Bierflasche verletzt, zitiert die StN Zeugen, die eine „Wurfbewegung“ von Akbulut gesehen haben wollen. „Zwei berichten, die Parlamentarierin habe das leere Rotweinfläschchen in Richtung der VfB-Fans geworfen. Daraufhin sei ein Gegenstand zurückgeflogen, möglicherweise ein Hartplastikbecher oder eine Bierdose“, schreibt die StN.
Gökay Akbulut: „Es gilt, die Ermittlungen der Behörden abzuwarten“
Und welche Darstellung stimmt nun? Gökay Akbulut lässt am Mittwoch dem „Mannheimer Morgen“ über ihr Büro ausrichten, dass sie wegen des Vorfalls noch krankgeschrieben sei. „Ich wurde bei der Zugfahrt angegriffen und verletzt. Niemand bestreitet das“, teilt sie mit. Fragen dieser Redaktion, unter anderem, ob sie sich gegenüber Fans beleidigend geäußert habe, bevor die sie angegriffen haben sollen, oder ob sie alkoholisiert gewesen sei, lässt Akbulut in ihrem knappen Statement unbeantwortet. Ebenso die Frage, ob sie einen Gegenstand in Richtung der Fans geworfen habe, bevor sie selbst von einem getroffen wurde. „Was ich erlebt habe, habe ich bereits ausführlich geschildert. Nun gilt es, die Ermittlungen der Behörden abzuwarten“, erklärt die Parlamentarierin.
Akbulut hatte am Stuttgarter Hauptbahnhof Anzeige erstattet. Ein Sprecher des Polizeipräsidiums Stuttgart lässt am Mittwoch Fragen des „Mannheimer Morgen“, ob es Hinweise auf Widersprüche zur Darstellung Akbulut gibt und ob die Polizei Zeugen des Vorfalls hat ausfindig machen können, mit Verweis auf laufende Ermittlungen inhaltlich unbeantwortet. Auch könne er aus diesem Grund nicht sagen, ob der Polizei weitere Beschwerden oder mögliche Straftaten und Ordnungswidrigkeiten bekannt sind, die sich während der Zugfahrt ereignet haben sollen und mit dem Fall Akbulut in Verbindung stehen könnten.
Dagegen ist wohl klar, dass die Polizei auf keine Bilder einer Überwachungskamera zugreifen kann. Denn wie ein Sprecher der Deutschen Bahn dem „Mannheimer Morgen“ erklärt, seien in den Zügen keine Kameras installiert. Der IC 2048 sei ihm zufolge zwischen Mainz und Stuttgart „gut“ ausgelastet gewesen.
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