Worms. Langsam schwebt Philipp Melanchthon am großen Kran wieder auf seinen alten Platz hinten rechts auf dem weltgrößten Lutherdenkmal. Viel Spiel ist jetzt nicht mehr. Einen Millimeter haben die Experten Spielraum gelassen. Fest verschraubte Stahlplatten sorgen nun dafür, dass der Reformator hier stehen bleibt. Die Stadt Worms lässt das Lutherdenkmal, eine der großen Touristenattraktionen der Stadt wieder sichern.
Bei der letzten Routinekontrolle und -säuberung war aufgefallen, dass die meisten Figuren auf dem äußeren Ring ihren Platz verlassen hatten - wenn auch nur geringfügig. Was bis dahin niemand wusste: Die Figuren stehen nur lose auf ihren Sockeln, den sogenannten Postamenten. Am meisten hatte Johannes Reuchlin die Fassung verloren. Diese Figur steht hinten links und am nächsten zum Lutherring, der Straße, die am Denkmal vorbeiführt. Das sei bei einer routinemäßigen Wartung im vergangenen Dezember aufgefallen. „Da haben wir dann einen Marker gesetzt“, erläutert Restaurator Dirk Sturmfels von der Firma Recovis in Ellerau (Schleswig-Holstein).
Als die Experten im Juni nachschauten, war Reuchlin schon rund 30 Millimeter weiter gewandert. Vier weitere Figuren waren ebenfalls verschoben, allerdings etwas weniger, rund 15 bis 20 Millimeter. Auffällig: Je weiter weg die Figuren von der Straße stehen, desto weniger sind sie auf ihrem Sockel unterwegs gewesen. „Wir vermuten also, dass es höchstwahrscheinlich der Verkehr ist, der die Figuren bewegt hat“, erläutert Betina Roß, Geschäftsführerin von Recovis. Betroffen sind indessen nur die Figuren auf dem äußeren Ring. Das Zentrum des Denkmals mit der mächtigen Luther-Figur und den vier Reformatoren Jan Hus, Girolamo Savonarola, Petrus Waldus und John Wycliff steht weiter fest und kann offensichtlich nicht anders. Das Gewicht ist dann doch zu groß.
Figuren wiegen bis zu 1,5 Tonnen
Seit Juni war das Denkmal aus Sicherheitsgründen abgesperrt. Am Montag bezogen die Restauratoren, unterstützt von Thilo Schmitt, Experte der Steinrestaurierungsfirma Bauer Bornemann aus Bamberg, dann die Baustelle und hoben einen Reformator nach dem anderen von seinem Podest. „Die großen Figuren wiegen so zwischen 1,2 und 1,5 Tonnen“, sagt Betina Roß. Die kleineren - die trauernde Magdeburg, die protestierende Speyer und der Augsburger Friede - bringen dagegen nur rund 500 Kilo auf die Waage.
Das Wormser Lutherdenkmal
- Mehr als 100 000 Menschen kamen im Juni 1868 zum dreitägigen Enthüllungsfest des Lutherdenkmals nach Worms, darunter zahlreiche regierende Fürsten und sogar der preußische König Wilhelm I.
- Der Gesamtentwurf stammt von Ernst Rietschel, der als einer der bedeutendsten deutschen Bildhauer des Spätklassizismus auch das Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar und das Lessing-Denkmal in Braunschweig geschaffen hat.
- Rietschel erlebte die Fertigstellung seines Wormser Werks nicht mehr. Er starb 1861. Vollendet wurde der Bau des Denkmals von Rietschels Schülern Adolf von Donndorf, Gustav Kietz und Johannes Schilling.
Die Bronzefiguren sind allesamt innen hohl. Auch die Plinthe, also die Platte, auf der sie stehen, ist ebenfalls keineswegs aus massivem Material, sondern hat eine Wandstärke von etwa 15 Millimetern. Deshalb ist die Befestigungstechnik eine relativ einfache: Auf dem Sockel werden nun jeweils mittig entlang der Kanten etwa 10 Millimeter starke Stahlplatten verschraubt. Die Schrauben werden zusätzlich mit Komponentenkleber fixiert, damit nun auch wirklich gar niemand mehr auf seinem Sockel verrutscht. Das Aufsetzen ist natürlich Millimeterarbeit und benötigt eine gute Kommunikation mit Kranführer Marcus Bachor vom Wormser Krandienst Gaus, der nicht wirklich im Detail sieht, wie die Figur aufsitzt.
Ursprünglich war die ganze Woche für die Sanierungsarbeiten am Wormser Lutherdenkmal vorgesehen. Die Arbeiten gehen aber deutlich schneller als vorgesehen über die Bühne. Am Mittwoch pünktlich zur Mittagszeit steht Philipp Melanchthon wieder genau an seinem Platz. Es ist die sechste von sieben. „Da sollten wir heute noch fertig werden“, schätzt Betina Roß. Am Nachmittag wird Philipp der Großmütige, Landgraf von Hessen, vom Sockel geholt und dann wieder in die korrekte Position gehoben.
Gewicht der Fahrzeuge gestiegen
„Die Erbauer des Denkmals haben nichts falsch gemacht“, versichert Dirk Sturmfels. Durch das Gewicht hätten die Figuren ja auch mehr als 100 Jahre unverrückbar an ihrem Platz ausgehalten. Die äußeren Einflüsse hätten sich nun mal verändert. Dass der Verkehr, und vor allem der Schwerlastverkehr, Bauwerken zusetzt, ist keine Erfahrung, die Worms alleine hat. Auch die Straßenbauer kennen die Problematik nur zu gut. Als beispielsweise die Theodor-Heuss-Brücke auf der A 6 über den Rhein zwischen Mannheim und Ludwigshafen Ende der 1940er Jahre gebaut wurde, orientierte sich das zulässige Gesamtgewicht für Fahrzeuge an den 24 Tonnen einer Dampfwalze. Heute dürfen Lastwagen 44 Tonnen wiegen und sind damit fast doppelt so schwer. Auf dem Lutherring fahren täglich Dutzende Omnibusse in Richtung Wormser Hauptbahnhof. Und Gelenkbusse bringen auch bis zu 20 Tonnen auf die Waage. Immerhin: Luther selbst bleibt weiterhin standhaft.
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