Denkmal - Viele Geschichten ranken sich um eine Ulme, unter der der Reformator angeblich mal gepredigt haben soll

Was ein alter Baum in Worms mit Martin Luther zu tun hat

Von 
Jasper Rothfels
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Der Lutherbaum im Wormser Stadtteil Pfiffligheim: In den Stammrest des alten Baums ist 1999 eine junge Ulme gepflanzt worden. © Jasper Rothfels

Worms. Der „Lutherbaum“ in Pfiffligheim bei Worms war so groß, dass der Dichter Theodor Fontane sich die Anfahrt sparte und den Riesen vom zwei Kilometer entfernten Worms aus bewunderte. Das einst weithin bekannte Baum-Denkmal gerät mit dem 500. Jubiläum von Martin Luthers Auftritt auf dem Wormser Reichstag wieder in den Blick, auch wenn es heute nur als „Neuauflage“ existiert. Etwa 40 Meter hoch und zwölf Meter breit soll der Baum im heutigen Stadtteil Pfiffligheim um 1870 gewesen sein – eine der größten Ulmen der Welt. Der Sage nach hatte der Reformator einst unter dem Baum gepredigt, der in den folgenden Jahrhunderten viele Besucher anzog. Nach Einschätzung des Historikers Jörg Koch war die Ulme das erste Lutherdenkmal in der Gegend – bis 1868 das Wormser Lutherdenkmal eingeweiht wurde, laut Kirche die größte Reformationsdenkmalanlage der Welt.

Klimastabile Feldulme

  • Eine Feldulme, wie die in Worms vermutlich eine war, hätte nach Einschätzung des Fachmanns Patrick Lemmen heute höchstwahrscheinlich weniger Probleme mit dem Klima als mit dem durch Käfer und Pilz einhergehenden „Ulmensterben“.
  • Dieses raffe alte Feld- und Bergulmen in Deutschland dahin, während die dritte Ulmenart – die Flatterulme – weniger anfällig sei, so der Mitarbeiter der Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft in Trippstadt.
  • Ulmen sind ihm zufolge am richtigen Standort „recht klimastabil“. Laut Wormser Pressestelle kam die Ulme (rheinhessisch: Effe) bis in die 1970er Jahre häufig in Rheinhessen vor. Dörfer seien traditionell von einem „Effenkranz“ umgeben gewesen. 

Dass Luther tatsächlich unter dem Baum gepredigt hat, hält Koch für unwahrscheinlich. „Luther wird diesen Baum, wenn er denn jemals schon stand, nie gesehen haben“, sagt der 52-Jährige, der das Buch „Der Wormser Lutherbaum“ (2018) geschrieben hat. Zum einen sei keine Quelle überliefert, derzufolge er jemals dort gewesen sei. Auf dem Weg von Wittenberg nach Worms sei er dem Weg am Rhein gefolgt, der nicht zum westlich gelegenen Pfiffligheim führt. In Worms selbst sei er auf dem Reichstag gewesen, „da wird er anderes zu tun gehabt haben, als nach Pfiffligheim zu marschieren“, so Koch, denn dort sei „nichts“ gewesen. „Das ist einfach eine Sage, die da entstanden ist.“

Von Victor Hugo beschrieben

Einer anderen Legende zufolge wurde der Baum während des Reichstags gepflanzt. Auf diesem hätte Luther, der vom Kaiser nach Worms zitiert worden war, seine Thesen widerrufen sollen, was er aber nicht tat. Das war ein wichtiger Schritt in der Kirchengeschichte.

Ob der Reformator nun da war oder nicht: Der im frühen 16. Jahrhundert gepflanzte Baum – laut Koch wohl eine Feldulme – wuchs zu einer Sehenswürdigkeit heran. „Ab 1800 taucht er verstärkt in der Reiseliteratur auf“, so der Historiker. Ein Rheinpanorama von 1842, eine Bildkarte, zeige ihn – wie das Mannheimer Schloss und den Wormser Dom. „Das hat mich überrascht.“

Zuvor hat bereits der französische Schriftsteller Victor Hugo den Baum beschrieben, später tat dies sein deutscher Kollege Fontane. „Der hat ihn von der Stadt aus gesehen“, sagt Koch. Ab dem frühen 19. Jahrhundert sind Reformationsfeiern an dem Baum belegt, der auch Treff- sowie Mittelpunkt vieler Feste war. Nach Kochs Angaben gab es auch andernorts Lutherbäume, sie stünden aber in der Regel nicht mehr. Über alle Lutherbäume informiert die Seite www.lutherbaum.de.

Orkan im Jahr 1870 leitet Ende ein

Am 26. Oktober 1870 brachen beim Pfiffligheimer Baum in einem Orkan zwei Drittel des Stammes ab. Das Holz brachte der Gemeinde 133 Gulden ein, laut Koch wurden daraus unter anderem Brieföffner und -beschwerer, Pfeifenköpfe und ein „Lutherschiff“, ein 2,50 Meter langes Modell. Die Bürger bemühten sich um den zwölf Meter hohen Baum, der wieder ausschlug und – teilweise geteert und ausgemauert – um 1900 wieder 17 Meter hoch war. Im August 1912 wurde er in einem Gewittersturm erneut geknickt. Die Ulme bekam „fremde Rinde“ und hielt noch bis 1949 durch, dann war sie am Ende. Aus dem Holz wurden fünf-Mark-Stück große „Lutherrosen“ geschnitzt, der Erlös floss in den Wiederaufbau der im Krieg zerbombten Wormser Magnuskirche. Am Stamm wurde ein Holzrelief zur Sage um den Baum angebracht. 1999 gab es schließlich eine „Baum-in-Baum-Lösung“: Eine junge Ulme wurde in den „ausgemorschten“ Stamm des Veteranen gepflanzt. „Es handelt sich um eine sogenannte Resista-Ulme, eine Züchtung, die gegen die Ulmenkrankheit resistent ist“, so der Wormser Vize-Pressesprecher Jonas Diebold. Von Weitem meine man nun, das sei der Lutherbaum, sagt Koch.

Zum aktuellen Jubiläum erinnert der Heimatverein Worms-Pfiffligheim mit Tafeln an die Geschichte des Baumes, an dem im Mai eine Rose auf den Namen „Junker Jörg“ getauft wurde – Luthers Tarnname 1521 auf der Wartburg. Im Ortsgeschehen werde die Erinnerung an dem Baum wachgehalten, doch seine Bedeutung habe er verloren, so Koch. „Aber immerhin: Die Erinnerung an ihn und die Geschichte lebt - das ist ja auch was wert.“

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