Festivalkritik

Jazz & Joy: Besucherplus mit vielen regionalen Acts

Das Wormser Festival punktet mit Stars wie Max Giesinger, Max Mutzke oder Nils Landgren, setzt aber auch auf Lakalmatadore: von Gringo Mayer, Engin oder Paul Gerlinger bis Popakademikerin Alice Merton

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Markus Mertens
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„No Roots“-Sängerin Alice Merton. © Markus Mertens

Worms. Nach drei musikalisch bewegten Tagen in Worms steht eine Erkenntnis klar wie selten: Jazz & Joy ist (k)ein Breiten-Festival für die ganze Gesellschaft. Wer als Genrepurist freilich von morgens bis abends allein mit den von ihm bevorzugten Sounds beschallt werden mag, wird im diversen Programm dieser 72 Stunden nur schwerlich fündig geworden sein. Für jeden anderen bieten die Veranstalter einmal mehr zu erschwinglichem Eintritt Musiker, die vor Vielfalt nur so strotzen - und zum Entdecken einladen.

Anstieg auf 16 000 Gäste

Eine These, die sich auch ganz konkret an Zahlen bemessen lässt. Denn nachdem sich die Organisatoren von der Wormser Kultur- und Veranstaltungsgesellschaft (KVG) im ersten Jahr nach der Corona-Krise mit 14 500 Gästen 2022 erstmals wieder Publikumszahlen im deutlich fünfstelligen Bereich zurückmeldeten, sind in diesem Jahr stolze 16 000 Gäste zu verzeichnen - ein Plus von mehr als zehn Prozent.

Frühstarter: die Mannheimer Indie-Rock-Formation Engin. © Markus Mertens

Wer dabei war, den kann dieser Anklang freilich nicht wundern. Denn einerseits bewahrheitet sich der Gedanke, dass ein Festival, das in der Mitte einer Region ankommen will, auch im Zentrum der ausrichtenden Stadt stattfinden muss. Nicht selten schlendern ältere wie jüngere Zuhörer, aber auch ganze Familien durch die Stadt, werden stellenweise ganz spontan auf die feilgebotenen Klänge aufmerksam und entscheiden sich nicht selten, die eigentlich festgeschriebene Tagesplanung über den Haufen zu werfen, um sich ganz und gar von der musikalischen Welt zwischen Jazz und Joy (Freude) treiben zu lassen.

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Andererseits hat auch das künstlerische Team in Hintergrund bei der Kuratierung der gebuchten Künstler wieder ganze Arbeit geleistet - und das in sämtlichen denkbaren musikalischen Kategorien. Allein der Jazz: Ist bei den South West Oldtime All Stars für Traditionalisten des Genres die Zeit des Genießens gekommen, fliegen bei Posaunist Nils Landgren und seiner Funk Unit nur so die Fetzen und Omer Klein legt mit seiner Band mit Modern Jazz am Piano nach - über den man nur schwärmen kann.

Ex-Genesis-Sänger Ray Wilson trat mit großer Band auf. © Markus Mertens

Von Crossover-Projekten wie dem Auftritt von Max Mutzke und dem Soul-Trio von Matti Klein hat man da noch gar nicht gesprochen. Doch auch sonst sucht man das Engagement des Festivals für ein geradezu selbstverständliches Miteinander der Disziplinen keineswegs vergebens. Denn ob das israelische Hoodna Orchestra unter dem runden Festivaldach am Weckerlingplatz ein regelrechtes Völkerfest klangeruptiver Verständigung feiert, die Essener Jungs von Botticelli Baby Punk mit Funk, Soul und Blues zu einem partyfähigen Brett verheiraten, das auch noch tanzbar ist, oder die Franzosen von Les Yeux d’la Tête dem klassischen Chanson die Electroswing-Stiefel anziehen: All das ist mutig bis gewagt, künstlerisch oft paradigmatisch neu, in der Qualität aber so präzise ausgesucht, dass aus dem gefühlten Experiment fast schon ein sicherer Erfolgsgarant wird.

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Jedenfalls, wenn man Bands wie diese für ein Publikum wie jenes in Worms bucht, die genau diese Herausforderung seit mehr als drei Jahrzehnten schätzen - und dessen Integrität durch ihren jährlich traditionellen Besuch auch schützen. Ganz ähnlich im Übrigen wie die Überzeugung, dass es das beste Plädoyer für eine musikalisch reiche Region ist, wenn man ihren Protagonistinnen und Protagonisten eine Bühne bietet. Allein die Auswahl der traditionellen Private Selection, die jährlich das Festival eröffnet, spricht da bereits Bände. Denn mit Schlagzeuger Johannes Hamm, Saxophonistin Kristina Shamgunova, Pianistin Juliana Saib und dem Bassisten Jan Dittmann speist sich gänzlich aus Absolventen der Mannheimer Musikhochschule. Denen dürften Türen und Tore offen stehen, wenn sie sich so behaupten wie als Quartett an diesem Abend.

Von Gringo Mayer bis Alice Merton

Dazu kommt mit dem Auftritt des Mannheimer Singer-Songwriters Paul Gerlinger eine gekonnte Prise Akustik-Pop, die sich mit Gringo Mayers kurpfälzischem Mundart-Blues und dem energiegetriebenen Indie-Rock der deutsch-türkischen Pppakademiker-Formation Engin zu einem leuchtenden Ausrufezeichen für den Rhein-Neckar-Raum entfaltet.

Ein Max Giesinger, der bei seinem Sonderkonzert stolze 1750 Besucher vor der großen Bühne am Marktplatz vereint und sich in bester Entertainer-Manier präsentiert, und der zwar nicht überragende, aber immerhin solide Auftritt von Pop-Sängerin Alice Merton weisen jedenfalls eindrucksvoll die Wege, wohin Karrieren aus der Quadratestadt heraus führen können.

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Der Abschlusstag gerät so gesehen fast schon zu einem Luxusproblem. Denn ein Festival, das es sich leisten kann, mit Acts wie Gentleman, Max Mutzke und Ray Wilson nur noch abrunden zu müssen, was andere zuvor bereits veredelt haben, spricht für sich - und für die die Stärke, die von diesem Format ausgeht.

Denn mit Jazz & Joy verbindet man eben keine Edelspielstätte, die Gagen und Eintrittstickets vergoldet, sondern vielmehr eine heiß geliebte Institution wider jeder Eintönigkeit, die mit zuverlässiger Konstanz zu punkten versteht - und genau deshalb solche Wertschätzung erfährt. Alles andere wäre auch schwerlich angemessen.

Freier Autor

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