Migration

Von Sizilien nach Viernheim: Giuseppe Anzalone über seine zweite Heimat

Giuseppe Anzalone lädt zum Auftakt einer neuen Veranstaltungsreihe von Lernmobil und Museum in Viernheim in seine Pizzeria ein.

Von 
Roland Schmellenkamp
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Giuseppe Anzalone berichtet aus seiner Migrationsgeschichte. © Roland Schmellenkamp

Viernheim. Zum Schluss fließen die Tränen: Der in Deutschland geborene Enkel von Giuseppe Anzalone erzählt den rund 60 Gästen in der Pizzeria von seinem Besuch in Sizilien, dann stockt dem kleinen Jungen die Stimme und er sagt über den Abschied von seinen dortigen Verwandten: „Es hat mir das Herz gebrochen!“ Sein Großvater bekam feuchte Augen, als er über seinen Vater spricht, der nach vielen Jahren als Gastarbeiter in Deutschland auf seine Heimatinsel zurückkehrte, dort krank wurde und der Sohn ihn nur bei wenigen Besuchen sah - zuletzt kurz vor dessen Tod.

Der in Viernheim bekannte Gastronom hatte als Auftakt einer Veranstaltungsreihe von Museum und Lernmobil zum Thema Migration von sich und seiner Familie erzählt. Dabei wurde auch viel gelacht und es gab öfter Applaus. Auf die Frage eines Gastes aus Spanien, ob er heute wieder nach Sizilien zurückgehen würde, deutete er auf Tochter und Enkel und erklärte: „Ich würde gehen, aber dann müsste ich die besten Stücke meines Lebens mitnehmen.“ Das Klischee, dass Italienern die Familie sehr wichtig ist, trifft bei den Anzalones offensichtlich zu.

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Auf die Frage, ob er sich in Deutschland willkommen gefühlt habe, zog er einen Vergleich: „Man reißt eine Tomate aus der Erde heraus und pflanzt sie woanders wieder ein - es kann sein, dass sie stirbt.“ Der Anfang sei für ihn „sauschwierig“ gewesen, vor allem wegen der Sprache. Er habe Hilfe benötigt, Übersetzer und Erklärer zum Beispiel für die Bürokratie. Schließlich habe er selbst Deutsch gelernt und dann anderen Italienern geholfen.

Vater war als Gastarbeiter in Mannheim tätig

Auf Sizilien hatte der 1969 geborene Giuseppe Anzalone Weinbautechnik studiert. Sein Vater war Gastarbeiter in Mannheim und schickte monatlich Geld. Der Sohn war in den dreimonatigen Sommerferien in Deutschland und als Tellerwäscher oder beim Eisverkauf tätig. Nach dem Studium arbeitete er mit seiner Frau Guiseppina in der Pizzeria der Eltern in Mannheim. „Wir waren 24 Stunden am Tag dort und hatten keinen Ruhetag. Eines Tages habe ich gesagt: Das mache ich nicht mehr mit!“ Die junge Familie ging wieder nach Sizilien, „Ich wollte nie in Deutschland bleiben!“.

Doch dann kam anders: Bei einem Weihnachtsbesuch in Deutschland habe er erfahren, dass er zum Wehrdienst eingezogen werden soll: „Da bin ich schnell ins Konsulat und habe den Antrag auf Befreiung gestellt, weil ich im Ausland lebe.“ Deshalb ist die Familie zunächst in Deutschland geblieben. Dann kamen die Kinder auf die Welt. „Als sie in die Schule gingen, wollten wir sie dort nicht herausreißen und haben beschlossen, hier zu bleiben“. Beruflich hatte er viel erlebt: Unter anderem Arbeit im Tiefbau und wieder als Eisverkäufer: „Ich war mit einem Eisbus unterwegs. Ding-Dong-Ding-Dong-Ding-Dong: Dann kamen die Leute.“

Das Ehepaar Giuseppe und Giuseppina Anzalone: Ohne seine Frau hätte er den beruflichen Weg nicht gehen können. © Roland Schmellenkamp

Dann berichtete sein Vater von einer ehemaligen Metzgerei in Viernheim, in der der Sohn ein Eiscafé eröffnen könnte. Doch das gab es bereits in der Nachbarschaft. Guiseppe berichtete: „Ich habe mir da ein Eis bestellt. Es war sehr gut, besser als unseres - damals!“ Gelächter bei den Zuhörern. „Ich sagte Papa, dass wir da nicht mithalten können, aber mit einer Imbiss-Pizzeria. Es lief vom ersten Tag an bombastisch.“

Das war 1992. Es folgte sehr viel Arbeit. Deshalb verpachtete die Familie die Pizzeria ab 2004, um sie jedoch später wieder selbst zu betreiben. Wichtig war dabei Ehefrau Guissepina („Wir sind seit 37 Jahren verheiratet!“), denn die ausgebildete Konditorin habe das gute Kochen bei ihrer Mama gelernt.

Gaststätte inzwischen an einen neuen Betreiber übergeben

Er selbst, so Giuseppe Anzalone, besitze keine doppelte Staatsbürgerschaft, sondern nur den italienischen Pass: „Ich bin stolz, Italiener zu sein. Aber in Viernheim wird mir überall zugewunken, das gefällt mir, es ist meine zweite Heimat geworden. Deutschland hat mir viel gegeben und gibt mir immer noch viel. Ich würde wieder hierherkommen.“ Die Pizzeria Colosseo wurde übrigens vor einigen Tagen an neue Besitzer übergeben - das Ehepaar Anzalone unterstützt die neuen Betreiber. Der Koch hat sogar die Rezepte von Guiseppina übernommen.

Veranstaltungsreihe

Das Treffen in der Pizzeria Colosseo war die Auftaktveranstaltung des Vereins Lernmobil und des Museums Viernheim zur Themenreihe „Menschen in Bewegung – Migration im Wandel der Zeiten“.

Es soll weitere Veranstaltungen geben, wobei Termine noch nicht feststehen: Eine zu „Wanderbewegungen Viernheimer Bürger im historischen Kontext“ sowie ein Gespräch über „Weggehen, Ankommen“ mit Vertreter, Kindern und Enkelinnen von Vertriebenen, Spätaussiedlern und der sogenannten Gastarbeiter.

Fest geplant ist eine Vorführung des Films Kismet von Merve Uslu-Ersoy. Die Mannheimer Studentin erzählt die Geschichte ihrer Großeltern, die in den 1960er Jahren aus der Türkei als Gastarbeiter nach Mannheim kamen.

Der Gastronom erklärte auch, dass in bestimmten deutschen Städten meist Italiener aus bestimmten Orten seien: Die ersten kommen, dann folgen Verwandte, Freunde und weitere.

Zum Thema Mafia meinte er: „99 Prozent der Italiener, die nach Deutschland komme, sind keine Mafia-Leute, die bleiben dort.“ Wie stark die Mafia auf Sizilien ist, wird aus seiner Anmerkung zu einem Städtchen mit rund 18.000 Einwohnern deutlich: „In den 90er Jahren wurde dort fast jeden Tag jemand getötet.“

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