Viernheim. Mittwochabend im südwestlichen Teil Viernheims. Das Wasser klatscht wie Meereswellen an den Boden des Autos. Wasser, Wasser und noch mal Wasser. Noch vor Minuten hatte ein infernaler Regen mit Blitz, Donner und Hagel gewütet. Anwohner Frank Amato steht knöcheltief im Wasser und kratzt angeschwemmtes Laub von einem Gully-Deckel. Plötzlich ein starker Sog, es fließt ab.
Manche, die hier Gully-Deckel sauber machen, meinen, am neuen Riesenkanal, dem sogenannten Entlastungssammler, würde es wohl nicht liegen, das Wasser sei von der Straße in die Keller gelaufen. Die Stadtwerke hingegen sagen es eindeutig: Die Kanalisation ist an ihre Grenzen gestoßen.
Die Feuerwehr war mithilfe ihrer Kollegen aus Lampertheim und der Verpflegung durch die Malteser an 70 Einsatzorten. Die Kräfte hatten es vor allem mit vollgelaufenen Kellern zu tun – und das von 19.30 bis 1.30 Uhr, wie Sprecher Lucas Haas auf Anfrage berichtete.
Spitzenwert: In zehn Minuten 20 Liter Regen pro Quadratmeter in Viernheim
An Tag zwei nach dem Extrem-Ereignis nehmen Stadt und Stadtwerke zu den Abläufen Stellung. Demnach sind innerhalb von nur zehn Minuten stellenweise über 20 Liter Regen pro Quadratmeter herunter gedonnert. Ein Wert, den Fachleute der Stadtwerke als neuen Spitzenwert einstufen. Besonders heftig traf es laut dem Unternehmen den Bereich Saarlandstraße und Heinrich-Lanz-Ring. Hier wurden zwischen 18 und 20 Uhr rund 65 Liter pro Quadratmeter gemessen – davon 40 Liter allein zwischen 19 und 20 Uhr.
Das Kanalnetz wurde bis an seine Grenzen beansprucht.
Im übrigen Stadtgebiet lagen die Regenmengen etwas darunter: Am Tiefpumpwerk im Norden wurden knapp 20 Liter, im Südosten etwa 30 Liter pro Quadratmeter registriert, so die Stadtwerke Viernheim nach weiteren Auswertungen. Zur Einordnung: 20 Liter pro Quadratmeter entsprechen einer Regenhöhe von 20 Millimetern – auf einem Quadratkilometer sind das rund 20.000 Kubikmeter Wasser, die in kürzester Zeit abfließen oder versickern müssen. Bei einer versiegelten Fläche von über 3 Quadratkilometern mussten in Viernheim allein in der kritischen Stunde zwischen 19 und 20 Uhr 60.000 bis 90.000 Kubikmeter Wasser abgeleitet werden. „Eine enorme Belastung für das Entwässerungssystem“, so Ralph Franke, der Geschäftsführer der GmbH am Freitag.
Die Stadtwerke bestätigen die starke Beanspruchung der Infrastruktur: Die Wassermassen mussten unter Hochdruck abgeführt werden – ein Kraftakt für Entwässerungssysteme und Einsatzkräfte zugleich. Franke: „Die maximale Pumpleistung des zentralen Tiefpumpwerks liegt bei etwa 900 Kubikmetern pro Minute, also 54.000 Kubikmeter pro Stunde. Das Kanalnetz selbst verfügt über eine Gesamtaufnahmekapazität von rund 65.000 Kubikmetern, inklusive aller Rückhalteanlagen, Sammler und dezentralen Becken.“ Mit diesen Zahlen will er deutlich machen: „Das Kanalnetz wurde bis an seine Grenzen beansprucht.“
Ab 20 Uhr entspannte sich laut den Stadtwerken die Lage
„Wäre der Niederschlag gleichmäßiger gefallen, hätte das System noch mehr aufnehmen können. Doch der extreme Platzregen kurz vor 19:30 Uhr traf auf bereits gut gefüllte Leitungen. Als alle Speichervolumen erschöpft waren, war die Ableitung allein von der maximalen Pumpkapazität abhängig. An vielen Stellen kam es dadurch zu kurzzeitigen Rückstaus“, so Franke weiter. Ab etwa 20 Uhr entspannte sich demnach die Lage.
Dass die Situation dennoch weitgehend beherrschbar blieb, sei nicht zuletzt auch dem neuen, 19 Millionen teuren Entlastungssammler und den in den vergangenen Jahren geschaffenen Speicherkapazitäten zu verdanken. Sie mussten sich nun unter realen Extrembedingungen erstmals bewähren. Dazu zählt auch die im Tivolipark geplante Versickerungsfläche, die das Regenwasser gezielt aus dem Bereich der Beethovenstraße ableiten und aufnehmen soll. Dass sich dort im Zuge des Unwetters vorübergehend ein kleiner „See“ bildete, zeige deutlich: „Die Fläche erfüllt ihren Zweck“, so der Stadtwerke-Chef. Ohne besagte Investition in das Kanalsystem wären die Wassermengen im Straßenraum spürbar höher gestiegen und deutlich länger stehengeblieben.
Unwetter in Viernheim: Stadt dankt für Einsatz
Der Ursachen-Erklärung vorangeht eine Position der Verwaltungsspitze: „Unser Dank gilt all jenen, die während und nach dem Unwetter mit großem Einsatz, Umsicht und Zusammenhalt geholfen haben.“ Die Reaktion darauf und der Umgang der Menschen mit der Situation hätten gezeigt, „wie stark unsere Gemeinschaft in Viernheim ist“.
Nach den Starkregen-Ereignissen von 2007, 2008, und 2009 hat die Stadt das Stauvolumen des Kanals um das Vierzehnfache auf über zwei Kilometern Strecke erweitern lassen. Nach vier Jahren Bauzeit wurde das neue System gerade erst vollständig in Betrieb genommen. Im Vergleich zu Mittwoch die jeweiligen Zahlen der Feuerwehr-Einsätze nach besagten Starkregen: 366, 277 und 132. Auch hier ging es vor allem um vollgelaufene Keller.
Stadt und Stadtwerke vermeiden offenkundig tunlichst den Begriff Überlastung. Tatsächlich aber war die Kanalisation zwischenzeitig überlastet am Mittwochabend, sonst wären nicht fast 70 Keller nicht vollgelaufen. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Investition verfehlt ist. Man stelle sich mit Blick auf die vorgenannten Zahlen nur die Folgen dieses Mittwochabends ohne den Entlastungssammler vor. Dagegen wären die Starkregen zuvor Peanuts gewesen.
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